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Gero Ehlert: Architektonik der Leidenschaften. Eine Studie zu den Klaviersonaten von Johannes Brahms
von *tf anno 2005

Gero Ehlert: Architektonik der Leidenschaften. Eine Studie zu den Klaviersonaten von Johannes Brahms

Die drei Klaviersonaten von Johannes Brahms entstanden als frühe Meisterleistungen des kaum 20-jährigen Komponisten. Geboren und aufgewachsen in Hamburg, erhielt er frühzeitig Tonsatz- und Klavierunterricht und verdiente sich bald als Arrangeur populärer Musikstücke seinen Unterhalt.
Die Studie von Gero Ehlert gibt sehr detaillierte Einblicke in einen künstlerischen Werdegang, der seine stärkste Prägung durch die überragende Wirkung Ludwig van Beethovens im 19. Jahrhundert erfuhr. Somit erklärt sich auch die Verwandtschaft etwa des Beginns der C-Dur-Sonate op. 1 mit dem der Hammerklaviersonate Beethovens, die Neigung zu kontrapunktischen Verarbeitungstechniken und das stetige Ringen mit der Sonatenform, die nach Beethoven und Schubert "ihren Lebenkreis schon längst durchmessen hat" (Robert Schumann).
Das Buch erörtert in seinen umfangreichen Analysen eingehend gattungsgeschichtliche Besonderheiten und widmet sich dabei besonders den variativen Elementen innerhalb der einzelnen Abschnitte. So stellt es z.B. die experimentelle Bedeutung des ersten Satzes der f-Moll-Sonate op. 5 heraus, beleuchtet die harmonischen Schritte in der Durchführung desselben oder stellt umfassende Vergleiche der Variationssätze der Sonaten C-Dur op. 1 und fis-Moll op. 2.
Darüber hinaus wird die Rezeptionsgeschichte der Werke mit außerordentlicher Präzision aufgearbeitet. Nahezu alle relevanten zeitgenössischen Rezensionen werden in ihrer Gegensätzlichkeit, aber auch in ihren gemeinsamen Bezugspunkten sorgsam miteinander verglichen und zu einem lebendigen Bild der damaligen Landschaft an Musikzeitschriften verarbeitet.
Allerdings vermisse ich nach der wertvollen Lektüre dann doch Hinweise auf die Stellung der Sonaten im heutigen Konzertleben und auf die Interpretationen, die Pianisten ihnen angedeihen ließen. Welch unterschiedliche Seiten etwa dem B-Dur-Klavierkonzert op. 83, dem Violinkonzert op. 77 oder dem Klavierquintett op. 34 abzugewinnen sind, wird z.B. in Aufsätzen von Joachim Kaiser eindrucksvoll belegt - ähnliche Vergleiche würden die Popularisierung der weit seltener aufgeführten Klaviersonaten vielleicht auch unterstützen. Doch an diesen Einschränkungen wird man sich nicht lange aufhalten, betrachtet man die ungeheure Informationsfülle des Buches über strukturelle Zusammenhänge zwischen den einzelnen Motiven, Phrasen und Abschnitten, über den biografischen Kontext und über die ästhetischen Qualitätskriterien der romantischen Epoche.

Gero Ehlert: Architektonik der Leidenschaften. Eine Studie zu den Klaviersonaten von Johannes Brahms. Kieler Schriften zur Musikwissenschaft. Kassel: Bärenreiter 2005. ISBN 3-7618-1812-2, 615 Seiten, 59 Euro
 






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