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Johannes Behr: Johannes Brahms - Vom Ratgeber zum Kompositionslehrer
von Alexander Meinel anno 2009

Johannes Behr: Johannes Brahms - Vom Ratgeber zum Kompositionslehrer

"Ich habe nie Kompositionsunterricht gegeben", stellte Johannes Brahms einmal fest, und hatte insofern recht, dass er niemals im offiziellen Rahmen etwa eines Konservatoriums lehrte. Dass er aber informell zeitlebens und in vielfältiger Weise als "Begutachter" vorgelegter Kompositionen wirkte, war bislang kaum bekannt und wird von Johannes Behr erstmals umfassend dargestellt. Die fünf Kapitel des Buches widmen sich Brahms' Funktionen als privater und öffentlicher Ratgeber, als Gutachter für verschiedene Stipendien und Preisausschreiben, als "Meister", um den sich junge Musiker wie "Jünger" scharten, und schließlich als inoffizieller Kompositionslehrer, der zumindest einen Schüler (Gustav Jenner) über Jahre hinweg kontinuierlich unterrichtete. (Anmerkung des Verlages)

Diese von der Philipps-Universität Marburg 2006 als Dissertation angenommene Schrift über Brahms' Wirken als musikalischer Gutachter und Berater stellt eine umfassende Abhandlung über ein bisher wenig erschlossenes Gebiet der Brahms-Forschung dar. Sie entstand nicht zuletzt in der Absicht, den bis ins 20. Jahrhundert teilweise hervorgebrachten Darstellungen entgegenzuwirken, laut derer Brahms den Werken jüngerer Komponisten wenig Interesse und oft schroffe Ablehnung entgegenbrachte oder gar seinen Einfluss bei Verlegern und Kritikern dazu gebrauchte, den Durchbruch nachwachsender Talente in Wien zu behindern.
Im Buch von Johannes Behr werden mit erstaunlicher Akribie und mit einer sorgfältig ausgewählten Fülle an historischen Belegen verschiedene Bereiche untersucht, die in vielen Brahms-Biografien nur marginal gestreift werden: die Korrespondenz von Brahms mit Komponistenkollegen (z.B. Richard Franz Joseph Heuberger, Julius Stockhausen, Heinrich von Herzogenberg) sowie das Wirken als Gutachter in Gremien zur Förderung jüngerer Komponisten in Zusammenarbeit mit Eduard Hanslick. Ein besonderer Schwerpunkt des Buches liegt auf dem Werdegang des Marburger Universitätsmusikdirektors Gustav Jenner (1865-1920), der von Brahms über Jahre hinweg instruktive Anleitung im Komponieren erhielt. Von spezieller Prägnanz sind dabei die zahlreichen Notenbeispiele, die belegen, wie sich Jenner als begabter, aber noch unerfahrener Student schrittweise die rhythmischen und satztechnischen Errungenschaften des älteren Meisters zueigen machten konnte. Dabei wird auch deutlich, dass sich Brahms durchaus herzlich und uneigennützig dem nach Vervollkommnung strebenden Komponistennachwuchs widmete.
Darüber hinaus zeichnet das Buch ein lebendiges, detailreiches Bild über die Musikgeschichte Wiens der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Insbesondere die Gutachten und Protokolle der Kommissionen, in denen Brahms mitwirkte, sowie die Briefe und teilweise umfangreichen Erinnerungen Gustav Jenners an die Begegnungen mit Brahms und seinem Umfeld geben wertvolle Einblicke in musikstilistischen und verbalen Gepflogenheiten jener Zeit. Dass der Autor weitestgehend darauf verzichtet, eigene musikalische Standpunkte zu formulieren, tut dem Informationswert des Buches keinen Abbruch, vielmehr beeindruckt die lückenlose Darstellung und die hervorragende wissenschaftliche Dokumentation aller den Gegenstand betreffenden Umstände.

Johannes Behr: Johannes Brahms - Vom Ratgeber zum Kompositionslehrer. Kassel et al: Bärenreiter 2007. Broschur, 426 Seiten, ISBN 978-3-7618-1919-7. 41,95 Euro






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