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Stephanie von Aretin, Nikolaus Müller, Thomas Klemm: Leipzig und seine Kirchen
von rls anno 2007

Stephanie von Aretin, Nikolaus Müller, Thomas Klemm: Leipzig und seine Kirchen

Der Titel läßt schon vermuten, worum es sich hierbei handelt: einen Führer durch die Leipziger Gotteshäuser. Der Nicht-Leipzig-Kenner verbindet, wenn er die Termini "Leipzig" und "Kirche" hört, damit assoziativ im wesentlichen zwei Bauten (wenn er zur Generation der über 50jährigen gehört, eventuell auch drei): die Thomaskirche als Heimstatt des weltberühmten Thomanerchors und als Haupterinnerungsstätte an das Wirken des großen JSB in der Stadt, sodann die Nikolaikirche als der Ort, von dem die friedliche Revolution des Herbstes 1989 ihren Ausgang nahm, und (das ist der Punkt, wo die Älteren zum Zuge kommen) vielleicht noch die Universitätskirche, deren staatlicherseits angeordnete Sprengung anno 1968 einen sondersgleichen suchenden Akt der Kulturbarbarei darstellte. Dem Leipzig-Semi-Kenner fallen darüber hinaus noch ein paar weitere Gotteshäuser ein, beispielsweise die Peterskirche südlich der Innenstadt, die markante Michaeliskirche auf dem Nordplatz, die Reformierte Kirche am Tröndlinring oder auch die Lutherkirche am Clara-Zetkin-Park, der Leipzig-Kenner kommt beim gedanklichen Addieren auf vielleicht 20, 30 oder 40 Bauten, und nur der absolute Insider ist nicht überrascht, wenn er auf dem Vorsatzpapier eine Karte sieht, auf der stolze 78 Gotteshäuser eingezeichnet sind, und da fehlen sogar noch diejenigen, von denen heute nichts mehr zu sehen ist, wie die Matthäikirche im Nordwestteil des Stadtkens oder eben die Universitätskirche. Gut, man muß in die Rechnung die Gotteshäuser einbeziehen, die durch die großen Eingemeindungen in den 90er Jahren zum Stadtgebiet hinzugekommen sind, so daß Leipzig plötzlich über einen relativ reichlichen Bestand teilweise uralter wertvoller Dorfkirchen verfügt. Trotzdem ist die Zahl schon relativ stattlich, zumal wenn man bedenkt, daß im Buch nur die evangelisch-lutherischen, evangelisch-reformierten, evangelisch-methodistischen, katholischen, anglikanischen und russisch-orthodoxen Kirchen aufgenommen worden sind, während die anderen Konfessionen bzw. Kongregationen, sofern in Leipzig präsent, außen vor gelassen wurden. Wie diese Auswahl begründet wird, verrät der Text nicht (übrigens auch nicht, warum z.B. die methodistische Bethesdakirche zwar im Text zur methodistischen Kreuzkirche erwähnt wird, aber keinen eigenen Eintrag spendiert bekommen hat).
Nun hat das Buch gerade mal 144 Seiten, zudem auch noch in relativ kleinem Format (das sich im praktischen Sinne notwendig machte, denn wenn man es tatsächlich seiner Bestimmung als Führer gemäß auf einer Erkundungstour mitnimmt, will man ja keinen Brocken von Hohlblocksteingröße mitschleppen). Daraus folgt, daß die Kunst des Weglassens beim inhaltlichen Erstellen zwingend anzuwenden war, denn allein das einführende Kapitel, das auf neun Seiten durch die Stadt- und Kirchengeschichte Leipzigs galoppiert, hätte man natürlich locker im multiplen Umfang abhandeln können, und so kann dieses Kapitel logischerweise nur einen Kompromiß darstellen, den es mit der Fokussierung auf bestimmte wichtige Aspekte herzustellen versucht. In ähnlichem Umfang werden anschließend die drei eingangs erwähnten assoziativen "Leuchttürme" Thomaskirche, Nikolaikirche und Universitätskirche behandelt (wenngleich der letztgenannte nicht mehr leuchtet). Der Mathematiker bemerkt nun natürlich, daß das Volumen der noch zur Verfügung stehenden Seiten schon stark geschrumpft ist, und so sinkt danach der Umfang der einzelnen Kirchenkapitel auf im Regelfall eine, in wenigen Fällen zwei bis vier Seiten. Da jedes Gotteshaus abgebildet wird (mit Farbbildern, sofern vorhanden), bleibt für das Gros eine Zweidrittelseite Text übrig, und die dadurch notwendige starke Verknappung der Schilderung bekommen die drei Autoren in den meisten Fällen gut hin, ohne den Eindruck einer Amputation zu erwecken, wenngleich hier und da natürlich Lücken in den Schilderungen bleiben müssen und sich wohl jeder Leser an manchen Stellen noch eine Vertiefung gewünscht hätte. Aber die kann man bei Interesse ja dann vor Ort vornehmen, wobei der Nutzwert des Führers hier durchaus mit einfachen Mitteln noch hätte gesteigert werden können. Angegeben sind nämlich zwar die Adresse der Kirche und die des zuständigen Pfarramts, aber keinerlei weitere Kontaktdaten, so daß man sich die erst mühevoll im Internet zusammensuchen oder halt auf gut Glück losmarschieren muß, dann aber Gefahr läuft, vor verschlossener Tür zu stehen. Wenn man das schon nicht noch mit auf die einzelnen Seiten nehmen wollte (und neben den Bildern wäre durchaus oft noch Platz gewesen), hätte man das sehr großzügig layoutete Personenregister per zweispaltigem Satz und verkleinertem Zeilenabstand locker auf ein Drittel seines jetzigen Umfangs von acht Seiten (!) zusammenstauchen und den restlichen Platz noch für Kontaktdaten verwenden können, zumal zumindest die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Sachsens mittlerweile mit der Herstellung der Onlinefähigkeit aller Pfarrämter fertig ist. Und wenn wir einmal beim Meckern sind: Doppelverwendungen von Bildern im Vorwort und im Hauptteil hätten nicht unbedingt sein müssen (Andreaskirche), und daß sich auch eine Handvoll Fehler eingeschlichen hat, ist zwar bei einer derartigen Informationsdichte fast unvermeidlich, aber trotzdem nicht weniger ärgerlich. So wurde die wertvolle historische Schweinefleisch-Orgel in Möckern durch die dortige gerade selbständig gewordene Gemeinde zwar tatsächlich von der reformierten Kirche gekauft - aber sie stand vermutlich nicht in deren Kirche am Tröndlinring, sondern im vorherigen reformierten Gemeindesaal neben der Thomaskirche. Die vertauschten Bildlegenden auf S. 37 werden auch dem Nicht-Leipzig-Kenner auffallen, die falsche Blickrichtung in der Bildlegende auf S. 12 aber nur dem Leipzig-Semi-Kenner, dem Leipzig-Kenner und dem absoluten Insider (der historische Stich ist von Nordwesten aufgenommen und nicht etwa von Südwesten). Auch über die Qualität einzelner Fotos darf man zweifelnder Meinung sein (etwa gleich der recht trübe Blick über die Leipziger Innenstadt als Auftakt des Einführungskapitels auf S. 5, der zudem noch die inhaltliche Rückfrage aufwirft, ob er motivseitig so passend gewählt wurde, sind doch ausgerechnet die beiden optischen Dominanten des Bildes nun gerade keine Kirchen, sondern das Universitätshochhaus und der Turm des Neuen Rathauses - im gleichen Atemzug wäre die Frage zu stellen, warum von einzelnen Kirchen wie der Bethanienkirche in Schleußig nur Innenansichten gewählt wurden, das sonst vorherrschende Prinzip der Außendarstellung mit eventuell ergänzenden Innenfotos somit durchbrochen wurde), wohingegen das Gros durchaus überzeugt und einen einladenden Eindruck macht, was ja auch Sinn und Zweck dieses Buches ist. Positiverweise wissen die Texte auch sehr viel über Restaurierungen in den vergangenen anderthalb Jahrzehnten zu berichten, nachdem Krieg und DDR-Zeit auch viele Kirchengebäude in mehr oder weniger große Mitleidenschaft gezogen hatten. So entsteht das Bild einer lebendigen Kirchen-Kulturlandschaft, die in den heutigen Zeiten von Gemeindezusammenschlüssen und Kirchenstillegungen gar einen Neubau einer ganz normalen Pfarrkirche in Angriff nimmt, nämlich der im Krieg zerstörten Erlöserkirche in Thonberg (Wiederaufbauprojekte wie das der Frauenkirche in Dresden taugen hier nicht zum Vergleich), und damit ihre Lebendigkeit aufs neue unter Beweis stellt. Zur Erkundung dieser Kirchen-Kulturlandschaft leistet das Buch einen wichtigen Beitrag, den man aber wie beschrieben mit geringer Mühe noch nutzbringender hätte gestalten können.

Stephanie von Aretin, Nikolaus Müller, Thomas Klemm: Leipzig und seine Kirchen. Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2006. 144 Seiten. ISBN 3-374-02366-5. 12,80 Euro
 






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