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Axel Altenburg: Stinkehose
von mh anno 2007

Axel Altenburg: Stinkehose

Ein alt, bizarr wirkendes, verwohntes Treppenhaus ziert den Einband des Buches. Das Bild ist so authentisch, dass der Betrachter meint, Kindergeplärr zu hören und ihnen der Geruch von Kohlsuppe in die Nase zu steigen scheint. Immer präsent treppensteigende Leute mit Einkaufstüten, die Post unter dem Arm geklemmt und nach dem Wohnungsschlüssel in der Tasche fahndend, die Hauswartsfrau den Flur wischend, im sinnlosen Kampf gegen den Unrat. Häusliche Gewalt, Alkohol, Drogen, alles hautnah dabei ... in meiner Assoziation, aber auch im tatsächlichen Leben.
In einer ähnlichen Umgebung wächst der kleine Axel auf. Sein Vater ist oft betrunken, seine Mutter ist mit der Erziehung der vier Kinder und den ungeordneten Familienverhältnissen total überfordert. Ärmliche Verhältnisse begleiten den Jungen, machen ihn krank.
Seine frühesten Erinnerungen außerhalb sind Ablehnung und Ausgrenzung der anderen Kinder, auf Geheiß ihrer Eltern, im Kleinkindalter auf dem Spielplatz. Unverständnis und Einsamkeit seinerseits sind, gemeinsam mit einer Tbc-Erkrankung, seine ständigen Begleiter. Realistisch schildert Axel Altenburg die Erfahrungen des Jungen im Kinderheim. Eine Gesundung in der Berliner Umgebung ist aussichtslos. Eine Darmerkrankung im Kinderkurheim und deren Folgen sind es, die dem Titel des Buches zugrunde liegen.
Dem unbedarften Lesenden, der keine Berührung zum geschilderten Milieu hat, scheint die Sprache in "Stinkehose" beängstigend brutal. Erstaunlich aktuell ist sie, wissen unter anderem Sozialarbeiter der Neuzeit.
Gefühlsmäßig scheint es, als würde intervallmäßig sprachlich eine Art von Geschwür zusammengezogen und platze nach der Reifezeit auf, stinkenden Eiter auch auf die Menschen, die soviel und hautnahe Einblicke eventuell doch nicht haben wollten, verspritzend.

- Hier ist die Quelle für Sozialwissenschaftler, die sich im ungestörten Raum auf Sozialrecherche begeben wollen.
- Hier ist es möglich, knallharte Informationen zu bekommen.
- Hier ist zu erfahren, wie es ist, wenn Kinder wegen Banalitäten und Frust schon im Kleinkindalter verdroschen werden und ihnen nicht anderes übrig bleibt, als trotz allem Schutz bei diesen Eltern zu suchen. Sie haben und kennen ja nichts anderes.

Das ist der Bodensatz für spätere Gewalt. Die Geschwister werden zu Rivalen um Essen, Kleidung, Elternliebe.
Im Buch ist zu erfahren, wie es kommt, dass diese Kinder in der Schule versagen und ungewollt in eine "Karriere" gedrängt werden, die für sie nicht steuerbar ist.
Das alles ist nicht überheblich und weltfern aufgezeichnet, sondern genau so brutal und knallhart, wie das Leben in solcher Situation eben ist. Es gebiert Gewalt und Kälte und das Empfinden, "nichts machen" zu können. Logisch reiht sich Begebenheit an Begebenheit. Genau in dem Turnus und der Unbeweglichkeit eines emotionslosen Zuschauers. Man kennt solche Schilderungen von KZ-Insassen.
Diese Lektüre ist nichts für zarte Gemüter. Für "Stinkehose" braucht man starke Nerven und eine sichere Umgebung, um sich ab und zu im bürgerlichen Leben wieder aufzuwärmen.
Wegen der unterschwellig beschriebenen Gewalt und der Ausweglosigkeit, in der sich die beschriebenen Menschen befinden, fühlen sich selbst abgebrühte Gemüter zutiefst betroffen. Man spürt: Das ist kein Roman, sondern eine Sozialstudie über Menschen, die nichts anderes kennen als diese Art zu leben. Man meint, die wimmernden Kinder mit schützend über den Kopf gehaltenen Armen zu sehen. Die Schläge wehren sie so nur ungenügend ab. Wesentlich scheint es zu sein, dass normale Erwachsene im Umfeld sind, die den Kindern uneigennützig in ihrem Menschwerden helfen. Hauptsache scheint es zu sein, dass die Kinder ihr angeborenes natürliches Empfinden für Gerechtigkeit behalten oder es wieder bekommen, damit die Welle der Gewalt unterbrochen wird, sie selbst nicht roh und gefühlskalt werden.
Der 50er-Jahre-Mief mit dem hoffnungsvollen sozialen Aufbruch der 60er Jahre weht durch das Buch ins Jahr 2007 hinüber. Es macht betroffen, warnt vor einer sozialen Verrohung, die ihre Wurzeln dort hat, wo Axel Altenburg sie aufzeigt.
Um aufzurütteln, auf immer noch bestehende soziale Missstände aufmerksam zu machen, scheint mir keine Sprache zu krass zu sein.

Der Filmemacher Florian Hoffmeister ("3 Grad kälter") hat sich bereits die Drehbuchrechte gesichert. Bei www.hoerbar-berlin.de wird Axel in Kürze zu hören sein.
Der Autor Axel Altenburg wurde 1958 in Berlin geboren. Nach seiner über 20-jährigen Tätigkeit im Lebensmitteleinzelhandel lebt er heute als freier Autor in Kreuzberg. Mit einer Kurzgeschichte gewann er 2003 beim Erzählwettbewerb des Tagesspiegel. "Stinkehose" ist sein Debütroman.

"Stinkehose" von Axel Altenburg ist im Klingenstein Verlag Stuttgart erschienen, hat 250 Seiten und ist unter der ISBN 3-937813-03-9 in jeder Buchhandlung erhältlich.






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