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„Love & Hate“ – das Rocktheater    10.04.1999    Grünstädtel, St. Annen
von Steffen Hoffmann

Als am 10. April 1999 in der St. Annenkirche von Grünstädtel bei Schwarzenberg gegen 19.15 Uhr sieben düstere, in Mönchsgewänder gehüllte Gestalten ein weiß gekleidetes junges Mädchen in Richtung Altar abführten, waren nicht wenige überrascht: Schwarze Messe im Gotteshaus, und alles auch noch unter der Regie eines Gemeindepädagogen. „Jetzt ist die Stunde der Wahrheit gekommen! Es bleibt abzuwarten, ob das Publikum in der Lage ist, die Funken des Lichts in der Dunkelheit wahrzunehmen.“
Thomas Kunz ist ebenso wie seine Mitstreiter gespannt auf die Reaktionen des Publikums, denn schließlich soll an diesem Abend etwas völlig Neues aufgeführt werden, was durchaus Maßstäbe zu setzen vermag: das Rocktheater „Love & Hate“.
Wochenlang probte er mit einer eigens dafür aufgestellten Combo namens DIE BAND. Und wochenlang probte er mit den Darstellern des Rocktheaters, auch jenen Darstellern, die am Anfang der Show als Mönche erschienen.
DIE BAND besteht aus fünf Leuten, deren Kopf Thomas Kunz ist. Er ist Sänger, Gitarrist und nicht zuletzt auch Songwriter. Am Keyboard saß der Chemnitzer Alexander Koch, am Schlagzeug Steffen „Svob“ Svoboda und am Baß Waldemar „Waldo“ Konrad. (Was, der Bassist saß auch? – Anm. rls) Und natürlich Gitarrist Andreas Weißflog. Wobei letzterer neben seinem Gitarrespiel auch mit zu den Darstellern zählte – er war es, der mit einer bizarren Maske und einem schwarzen Umhang verkleidet das Böse in der Show symbolisierte. Groteskes Bild: mit einem Geigenbogen bearbeitete er seine Gitarre.
Die Darsteller des Rocktheaters sind allesamt Schüler aus Johanngeorgenstadt (mit einigen Ausnahmen), die sich mit einer ungewöhnlich hohen Präzision auf „ihr“ Rocktheater vorbereiteten. Neben der meist düsteren Rockmusik war ihr darstellerisches Spiel so plaziert, um trotz aller Dunkelheit das Licht der Lebendigkeit nicht untergehen zu lassen. Und wie hell dieses Licht brannte, zeichnete sich bereits Wochen vorher bei den Proben ab: Sie rezitierten, sie sangen, sie tanzten und sie schrien mit einer derartigen Vehemenz, dass dank einer perfekt abgestimmten Akustik die ganze Kirche zu zerbersten drohte.
Entscheidenden Einfluß auf das Gesamtergebnis hat natürlich der Gesang. Und so singen neben Thomas Kunz die Schülerin Connie Kraus aus Johanngeorgenstadt, auch Christian Trautmann aus Aue und nicht zuletzt ein langjähriger musikalischer Partner von Thomas Kunz – Matthias Theile.
Doch als was stellt sich „Love & Hate“ dem geneigten Zuschauer dar? Ist es nur ein Rockkonzert? Gewiss nicht. Ist es Theater? Nicht wirklich. Hat es eine eingängige Handlungsabfolge? Nicht in diesem Sinne. Oder ist es nur eine abstrakte Unterhaltungsform? Auch das nicht. Was ist aber „Love & Hate“ dann?
Regisseur Thomas Kunz zitiert für seine Definition die Worte Bertolt Brechts, der einmal provokant zu seinem Publikum sagte: „Glotzt nicht so romantisch!“ – wohl wissend, dass diese Zuschauer nur der Unterhaltung willen ins Theater kamen. Und so soll es auch hier sein. Thomas Kunz verzichtet auf eine klare Handlung, die mit Hilfe der Musik verdeutlicht wird, statt dessen wird dem Publikum eine lose Aneinanderreihung verschiedener Effekte, ein Panoptikum skurriler Einfälle und bizarrer Erscheinungen geboten. Ein breites Feld also, das sich selbstverständlich auch musikalisch so darstellt: Von verträumten Synthieklängen über das a-cappella-Lied „Der schönste Tag in meinem Leben“, Songs im eher klassischen Liedermacherstil, mystischer, „spätgotisch“ angehauchter Rockmusik bis hin zum „Indianertanz“, der deutlich an Rammstein-Klänge erinnert und der als Finale auch den Höhepunkt von „Love & Hate“ darstellt.
Dieses Rocktheater trägt so viele Facetten wie das Leben selbst. Und wer hier eine offensichtliche Botschaft sucht, einen offensichtlichen Sinn, der wird sie vergeblich suchen – genau wie im richtigen Leben. Dennoch hat auch „Love & Hate“ eine Botschaft, einen tieferen Sinn. Aber zu tief sitzt die wahre Botschaft, um sie mit bloßen Worten zu ergründen. Oder, um es mit anderen Worten zu formulieren: die Botschaft muß jeder in sich selbst suchen. Bei „Love & Hate“ ist der Zuschauer gefordert, und zwar jeder einzelne. Thomas Kunz lotet dabei die grenzen des menschlichen Verstandes aus. Nie gab es vorher ein solch düsteres Zerrbild, gezeichnet von Gegensätzen und Dualismen. Nie wurde vorher auf solch düstere und groteske Art eine Botschaft rübergebracht. Nie war das Publikum an diesem Ort mehr gefordert, Dinge zu durchschauen, Antagonismen miteinander zu verbinden. Und nie wurde das Publikum mehr gefangen in sich selbst, in seiner eigenen Psyche, als hier.
„Love & Hate“ ist für den Betrachter eine intensive Erfahrung, eine Erfahrung, die weniger von Bildern herrührt, vielmehr entsteht sie durch das In-sich-selbst-hineinblicken. „Love & Hate“ ist eine Art Seelenwanderung, die sich nicht über Worte definieren läßt. Und selbstverständlich erlebt jeder diese Erfahrung ganz auf seine Art und Weise.
 






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