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Ensemble Amarcord    18.10.1998    Rochlitz, Petrikirche
von rls

Daß Amarcord wahre musikalische Chamäleons sind, dürfte der eine oder die andere bereits wissen. Bot die erste CD "Insalata a cappella" ein umfangreiches weltliches Programm von Schumann über eine Opernparodie bis zu den Comedian Harmonists, wurden auf der zweiten CD ausschließlich Weihnachtslieder vertont - und an diesem schönwettrigen Sonntag kam in Rochlitz ein geistlicher A-Cappella-Set zur Aufführung (erwartet man ja von Ex-Thomanern, daß die das auch noch können), dessen Bestandteile dem unbedeutenden Zeitraum 11.-20. Jahrhundert entstammten ...
Erstes Prachtstück war der Opener "Herr, lehre doch mich" des Dresdener Kreuzkantors Rudolf Mauersberger, dessen Harmonien es einem eiskalt den Rücken herunterlaufen ließen - eine absolut brillante Umsetzung eines kongenialen Stückes! Dem Höhepunkt sollte aber auch gleich ein Downer folgen: Der hiesige Pfarrer - dem Akzent nach ein Schlesier - baute nicht nur in Abkündigungen und Predigt einige Versprecher ein, die dem alten Freud den akuten Verdacht von nach ihm benannten Fehlleistungen beschert haben dürften, sondern hielt beides auch noch in einem extrem merkwürdigen "singenden" Ton, der einem nach kurzem Zuhören nur noch auf die Nerven ging. Ob sich auch Amarcord davon anstecken ließen, weiß ich nicht, aber das erste von vier Liedern nach Franz von Assisi-Texten von Francis Poulenc zeigte temporäre Unkonzentriertheiten bei den Sängern, die bei den restlichen drei Liedern allerdings wieder verschwunden waren. William Byrds "Ave verum corpus", singtechnisch brillant umgesetzt, brachte eine weitere negative Überraschung in Gestalt von kleinen Ausspracheproblemen. Mit Orlando di Lassos "Miserere mei Deus" beschloß man den ersten Teil des Konzertes und holte aus diesem kompositorisch überladen wirkenden Stück noch das Beste heraus.
Der zweite Teil begann mit Darius Milnards "Psaume 121" - eine ausgesprochen riskante Wahl, doch Amarcord sind Vollprofis, und sie hatten keine Schwierigkeiten, den ultratiefen Anfangsakkord zu bewältigen, ohne sich zuvor noch einmal warmgesungen zu haben. Klasse! Auch der Rest des Stückes, ausgestattet mit eigenartiger französischer Melodik, die für deutsche Sänger keineswegs einfach zu reproduzieren ist, wußte voll zu überzeugen, ebenso wie das fulminante "Te decet laus" von Pierre de la Rue oder all die anderen folgenden Stücke. Nur einen Downer hielt der Set noch bereit, und zwar das abschließende "Bist du bei mir" vom ollen Bach, dessen Originalversion ich leider nicht kenne, weshalb ich nicht beurteilen kann, ob es sich hierbei um Fließbandware des Thomaskantors oder lediglich um eine schwache Leistung desjenigen Menschen handelte, der das Stück für einen Männerchor arrangierte. Aber all das von mir Bekrittelte schaffte es nicht, die feierlich-besinnliche Atmosphäre, die Amarcord in der vollbesetzten Kirche aufgebaut hatten, zu zerstören - dies blieb dem abschließenden Applaus vorbehalten. Ich habe ja nun wirklich nix gegen Beifallsbekundungen, aber hier waren sie einfach unpassend, und man hätte eigentlich ebenso betroffen wie geistig erbaut nach Hause schleichen sollen. Und da wir einmal beim Bekritteln sind: Auf so einer unbequemen Kirchenbank wie in St. Petri habe ich lange nicht gesessen. Aber die fast optimale Leistung der fünf Amarcordler wog die Rückenschmerzen doppelt auf.
 






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