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Soweto Gospel Choir   23.12.2016   Leipzig, Gewandhaus
von rls

Der Name Soweto war in der Spätzeit der DDR omnipräsent, einerseits als Symbolname für die zu bekämpfende Apartheid in Südafrika, andererseits im Kontext der "Freiheit für Nelson Mandela"-Bewegung, in die man sich als DDR-Bürger mehr oder weniger freiwillig einzureihen hatte (und natürlich nicht zu wissen bekam, daß der ANC im Zuge des politischen Kampfes durchaus auch recht brutal gegen Abweichler im schwarzen Lager vorging), so daß das hehre Ziel einen gewissen erzwungenen Beigeschmack bekam, während Leute wie Whitney Houston oder Ruud Gullit ihr diesbezügliches Engagement aus ehrlichem Herzen speisten. So aber hatte man in der DDR den Begriff Soweto irgendwann mal satt. Ob das einer der Gründe ist, daß ein reichliches Vierteljahrhundert nach dem Untergang der DDR der Soweto Gospel Choir in Leipzig mit einem eher mäßigen Konzertbesuch zufrieden sein muß? Die unteren zwei Drittel des Parketts im Großen Saal des Gewandhauses sind gefüllt, weiter oben sieht es sehr dünn aus - die Besucherzahl hätte wahrscheinlich den Mendelssohn-Saal knackevoll gemacht und dort für knisternde Stimmung gesorgt, aber kurzfristig umzudisponieren wäre natürlich strukturell immer enorm schwierig, obwohl der Saal an diesem Abend frei gewesen wäre.
So steht der Chor also vor der Aufgabe, ein kopfzahlmäßig überschaubares Publikum zu begeistern, und der Bühnenbauer erschwert diese Aufgabe noch, indem der vordere Teil der Bühne unbeleuchtet bleibt und damit eine Distanz zwischen den Musikern im beleuchteten hinteren Teil der Bühne und dem Publikum entsteht, die der Stimmung während der ersten zwei Drittel des ersten Sets ganz und gar nicht förderlich ist, obwohl sich der Chor alle Mühe gibt. Er ist geschlechtsmäßig übrigens paritätisch besetzt, nämlich je acht Damen und Herren, wobei letztgenannte nicht nur singen, sondern auch die Instrumente beisteuern: Links steht ein Keyboard auf der Bühne, das gelegentlich zum Einsatz kommt, allerdings so weit in den Hintergrund gemischt worden ist, daß es praktisch nur zum Teppichlegen dient und keinerlei eigene Akzente setzt. Das ist bei der Schlagzeugbatterie auf der rechten Seite anders - die kommt fast in jeder Nummer zum Einsatz, wird von bis zu drei Spielern bedient und unterstützt die Rhythmik der Songs in erstklassiger Weise, zumal mit dem "Hauptdrummer", übrigens der einzige Rastabezopfte unter den Chormitgliedern, ein erstklassiger Vertreter seines Faches am Start ist, der allerdings seine Batterie auch gelegentlich verläßt, sich in die Sänger und Tänzer einreiht und auch dort eine prima Figur macht. "Tänzer" ist ein gutes Stichwort - es gibt einzelne Nummern, wo die Chormitglieder hinten stehen und allenfalls etwas Gestik einbringen, während vorn ein oder mehrere Solisten singen, aber ein guter Teil der Songs wird mit vielschichtigen Bewegungsmustern untermalt. Unglücklicherweise muß man oftmals erraten, worum es an der jeweiligen Stelle gerade geht, denn ein nicht geringer Teil des Sets speist sich aus südafrikanischem Repertoire in einer der elf Landessprachen, die bis auf Englisch und vielleicht noch Afrikaans dem Publikum komplett unbekannt sein dürften. In ebenjenen elf Sprachen begrüßen die Chormitglieder das Auditorium nach dem in Zulu gehaltenen Opener auch, aber das bleibt für geraume Zeit auch die letzte Ansage, und aufgrund der erwähnten optischen Distanz braucht es lange, bis der Funke von der Bühne in die Ränge springt. Dafür bereitet erst "Have A Little Faith", das man z.B. aus Joe Cockers Repertoire kennt, den Boden, bevor während des folgenden Medleys aus im Gospelkontext bekannten Nummern wie "Jesus On The Mainline" oder "When The Saints Go Marchin' In" der Bann endgültig gebrochen ist und sich eine Art Vertrauensbasis zwischen dem Chor und dem Publikum gebildet hat, auf der jetzt auch die unbekannten Nummern viel intensiver goutiert werden. Das heißt: Der Stimmungspegel steigt und kann auch nach der Pause auf enorm hohem Level gehalten werden. Fast jeder der Sänger ist an bestimmten Stellen auch solistisch eingebunden, und alle beweisen eine enorm hohe Stimmkultur, wobei man erstaunt ist, wie gut die unterschiedlichen Stimmfärbungen doch zueinanderpassen. Die schauspielerischen Einlagen reichen bis hin zu, ähem, Fruchtbarkeitstänzen, wofür die Chormitglieder bei Aufführungen in katholischen Kirchen vermutlich exkommuniziert würden - aber hier sind die Maßstäbe natürlich völlig andere, und obwohl die Lebensumstände auch im Soweto von heute keineswegs einfach sind, so versprühen die Sänger doch jede Menge Lebensfreude und auch Dankbarkeit dafür, daß sie in der Lage sind, international zu touren. Irgendwie wartet man gleich bei mehreren Songanfängen darauf, daß sich hieraus jetzt "The Lion Sleeps Tonight" entwickelt, aber das stellt sich jedesmal als Irrtum heraus. Der zweite Set wird, nachdem mehrere choralartige Stücke (darunter "Stille Nacht" in mehreren Sprachen, als Geste ans hiesige Publikum auch in Deutsch) etwas das Tempo herausgenommen haben, mit einer fulminanten Version von James Browns "I Feel Good" abgeschlossen, aber ohne Zugaben läßt das hellauf begeisterte Publikum die 16 Südafrikaner natürlich nicht ziehen und bekommt noch eine sehr ausgedehnte Fassung von Leonard Cohens "Hallelujah" vorgesetzt, an dessen teils sehr expressive weibliche Solobeiträge man sich mitunter erst gewöhnen muß, was aber dank entsprechender "Vorbereitungsarbeit" im Hauptset doch relativ schnell geht, vor allem da das Publikum hier schließlich zum Mitsingen aufgefordert wird. In diesem Stile hätte es gern noch lange weitergehen können, aber danach ist leider Schluß, und so bleibt der Eindruck eines nach langen Anlaufschwierigkeiten doch noch richtig starken Konzertes. Wer das Review gleich nach Onlinegehen liest, hat in der ersten Januarwoche noch einige Gelegenheiten, die Truppe hierzulande live zu erleben - die Dates und alles weitere Wissenswerte gibt's auf www.sowetogospelchoir.com



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