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Wenzel & Mensching   09.10.2016   Weimar, Deutsches Nationaltheater
von jmt

Wenzel & Mensching - ein Mythos. Anarchistisches Clownspaar, absurd-poetisches Dada-Kabarett. Einzigartig spiegelten sie die "entwickelte sozialistische Gesellschaft" der 1980er Jahre, den Postsozialismus der 1990er, bis sie zur Jahrtausendwende Abschied nahmen und fortan eigene Wege gingen, Steffen Mensching zunächst mit Soloschauspielprojekten, als Autor und schließlich Theaterintendant, Hans-Eckhardt Wenzel als Autor, Liedermacher, Musiker. Mir war es leider nicht mehr vergönnt, die beiden im Duett auf der Bühne zu erleben. Mit dem Film "Das letzte aus der DaDaeR" gibt es immerhin eine konservierte Hinterlassenschaft. Und nun sind sie wieder da! Wenn auch auf fünf Vorstellungen limitiert, Premiere zum Republikgeburtstag in Berlin, 2 Tage später DNT Weimar. Die Erwartung ist groß.
Weimar, Zwiebelmarkt, Lärm, Trubel, schiebende Menschenmassen allüberall. Drin im DNT eine andere Welt. Habe sehr guten Platz bekommen, Reihe 9 Mitte. Im restlos ausverkauften Saal um mich herum überwiegend ältere Bildungsbürger - klassisches Theaterpublikum eben. Auf der dunklen Bühne ein Flügel, eine Gitarre, ein Rettungsring, Pappeinkaufstüten.
Durch einen Spalt im schwarzen Vorhang lunzen zwei weiß geschminkte Gesichter, dann schlurfen Weh und Meh auf die Bühne, gegensätzliche Gestalten, Meh klein und drahtig, in schäbiges, verbeultes Schwarz gekleidet, mit Vogelscheuchenhut auf dem Kopf, Weh groß und athletisch, in schäbigem weißem Sackgewand, das Akkordeon umgeschnallt, auf dem Kopf eine Badekappe, darunter hervorquellende blonde Locken. Sie passen noch, die alten Kostüme. "Das Spiel geht weiter" - eines ihrer alten Lieder, bestürzend in seiner Aktualität. "Die eine Welt verschweizt, die andre wird verheizt, was übrigbleibt, verhungert." Es folgen abwechselnde Solonummern. Zunächst Meh mit einem bitterbösen Monolog, alles Übel, alles Leid unserer Welt, unserer Zeit verdichtet in rasanten Sprachkaskaden. Applaus, Abgang, Weh übernimmt, setzt sich an den Flügel, hebt an zum Spiel - die Hände reichen nicht an die Tasten. Steht auf - jeder weiß, was jetzt kommt -, holt einen Zollstock, misst nach - richtig: der Flügel steht zu weit weg. Also hinter das schwere Instrument gestemmt und kräftig geschoben. Singt nun mit krächzender Stimme zu Klavierbegleitung: "Überall die gleiche Scheiße". Im Clownskostüm vorgetragen wirkt das doch nochmal anders als im konzertüblichen Matrosenpulli. Das Sch-Wort wird im Verlauf des Abends noch ausgiebig zu hören sein. Endlich gemeinsames Spiel von Weh & Meh. Wiederbegegnung mit altbekannten Szenen. "Puma hat Geburtstag" z.B., von Meh immer noch nicht aufgegeben, von Weh als "Scheißszene" abgelehnt. Die "Ordensverleihung", in der sie sich unter zweifelhaften Lobhudeleien ("ausgezeichnet durch Kleinwuchs und Großmäuligkeit") gegenseitig Orden in die Brust spießen, bis sie daran krepieren. Dachte man früher, die Gepflogenheiten der DDR würden damit trefflich aufs Korn genommen, merkt man jetzt einmal mehr: So viel geändert hat sich nicht - "alte Scheiße in neuen Schläuchen". Eine herrliche Nummer: Weh besucht seine Penner-Eltern, beide gespielt von Meh, unter ihrer Brücke. Sind maßlos enttäuscht, was aus ihrem Sohn geworden ist. "Da zahlt man sein ganzes Leben keine Steuern, und dann sowas!" Bundespräsident! Weh versucht kläglich, sich zu rechtfertigen: "Aber Mutter, es hat doch nicht jeder das Zeug, so anständig zu leben wie ihr!" Wer in jüngerer Zeit ein Wenzel-Konzert erlebt hat, weiß, welch spezielles Verhältnis Wenzel zum derzeitigen (Noch-) Bundespräsidenten hat. Sehr böse Szene: Weh hatte ein gutes Geschäftsjahr und möchte daher die Patenschaft für ein verhungertes Kind in der Dritten Welt übernehmen, steuerlich absetzbar, versteht sich. Aber keine längerfristigen Zahlungen, wer weiß, ob das nächste Jahr auch so gut wird. Dazwischen erklingen viele Lieder. "Seemanns Braut ist die See" passt immer. Weh begleitet an Klavier, Akkordeon, Gitarre, Meh fügt perkussionistische Akzente hinzu. Eindrucksvoller Duettgesang. Ihr Motto: "Die Kaputten sind die Nutten von den Ganzen." Ihre Losung: "Es gibt nur eine Lösung für die Bundesrepublik: Es ist die ostdeutsche Volksmusik!" Viel zu selten gehört: Die Brecht-Eislersche Hymne "Anmut sparet nicht noch Mühe". Weh & Meh machen sich Sorgen um die Demokratie. "Lasst sie uns retten ...", das Publikum muss mitsingen: "Aber wie, aber wie?" Und macht gut mit, wenn auch der Jodler "Dudödidadudädudie Demokratie" (sinngemäß zitiert) kaum zu bewältigen ist. Weh und Meh umwickeln ihre Köpfe mit dämmender Westwatte, um all die Scheiße nicht mehr hören zu müssen. Zerpflücken die Watte, werfen sie unters Volk. Verwandeln die Bühne in ein Chaos. Kredenzen nicht nur böse Satire und absurdes Dada-Theater, sondern schrecken auch vor herrlich albernem Klamauk nicht zurück, es darf herzhaft gelacht werden. Weh bekommt ein Geschenkpaket, packt einen Notenständer aus: "Eine elektrische PIKO-Eisenbahn! Sogar mit Adapter!" Meh klettert auf Weh herum, wird von diesem minutenlang über die Bühne getragen. Das beeindruckt viele im Saal besonders, sorgt im Anschluss für Gesprächsstoff: wie man mit Sechzig noch so fit sein kann! Zum Abschluss: "Die Menschen und das Wetter werden besser ..." - "wir müssen nochmal das Fahrrad erfinden." "Schweig!" Stehend Applaus. Kurze Zugabe: "Lasst sie uns retten" - das Publikum verpasst seinen Einsatz, wird getadelt: besser aufpassen!
Sehr kurzweilige 100 Minuten mit langer Nachwirkung.
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