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Locas In Love, Rats   22.04.2016   Jena, Glashaus im Paradies
von jmt

"Jubilierender Noise-Rock ertönt, My Bloody Valentine spielen mit Stereolab, es jauchzt und kracht. Die Flaming Lips treffen auf Suicide; Velvet Underground spielen Technicolor-Pop. Seit über 13 Jahren und sieben von der Presse gefeierten Alben gibt es Locas In Love als Band, eine halbe Ewigkeit, gemessen beispielsweise an den Beatles oder Nirvana. Hier ist alles enthalten: Die radikale Forderung, der Drang nach Relevanz, Hass und große Liebe." Da kann sich also jeder das für seinen Geschmack Passende raussuchen. Mich hat dieser Flyer-Text zumindest nicht abgeschreckt, am Freitagabend ins Glashaus zu kommen, gelockt haben mich aber vor allem die bizarre Schildkröte auf der Flyer-Vorderseite und der Veranstaltungsort selbst. In der Tat gehört die heimelige WG-Wohnzimmeratmosphäre (wenn die WG denn in einem Probenraum wohnt) unbedingt zum Konzerterlebnis dazu.
Der Flyer zur Veranstaltung
Beim Betreten des Glashauses steht der Verfasser dem Sänger-Gitarristen der Hauptband gegenüber (von dem er zu dem Zeitpunkt noch nicht weiß, dass es der Sänger-Gitarrist der Hauptband ist) und wird von diesem mit den Worten "Tolle Frisur!" begrüßt. Na danke, das fängt ja richtig nett an! (Der Verfasser lässt seiner Frisur ungefähr so viel Pflege angedeihen wie eine bekannte literarische Gestalt von Heinrich Hoffmann - Anm. d. Verf.) Das Glashaus füllt sich mit Gästen, der Hipster-Anteil (Typ bebrillter bärtiger oder Hut tragender oder bebrillter bärtiger und Hut tragender mitteljunger Mann) ist recht hoch. Die Rats aus Los Angeles/Kalifornien, ein Gitarrist, eine Bassgitarristin und ein Saxofonist, platzieren sich sehr schön symmetrisch auf dem Bühnenteppich. Trotz der einigermaßen klassischen Besetzung greifen hier die Begriffe Rock, Pop oder Jazz nicht; die drei spielen eine sehr besondere Kammermusik, verspielte Miniaturen im Satieschen Geiste. Nach ihrem recht kurzen Programm Abgabe an Locas In Love aus Köln. Drei sympathische MusikerInnen, die man von irgendeiner durchmusizierten WG-Party oder ähnlichem zu kennen meint. Durch Einsatz des Schlagzeuges wird es nun rockiger, allerdings auch etwas konventioneller. Das trifft freilich nicht auf das Intro zu - wie oft bekommt man schon ein orgiastisches Duett auf zwei Bassgitarren geboten. Dann wechselt Björn (besagter Sänger-Gitarrist) zu seinem angestammten Instrument, Stefanie bleibt am Bass und Saskia am Schlagzeug, und es geht sozusagen richtig los mit gepflegtem Liedermaching mit einem Schuss Punkrock und allerlei weiteren Zutaten. Schöne deutsche Alltagstexte. Sehr charmante, intellektuell und sprachlich ausufernde Ansagen. Wohldosierte extatische Gitarrenausbrüche. Bassistin und Gitarrist haben zu ihren Füßen je ca. ein Dutzend Effektgeräte, sie etwas weniger, er etwas mehr. Sie singt auch einige Lieder. Er lobt wiederholt die Atmosphäre hier in dieser außergewöhnlichen Location - er fühle sich wie im Wohnzimmer mit guten Freunden. Gestern starb Prince - zum Gedenken geht der Schluss eines Liedes in einige Takte "Purple Rain" über. Mich ereilt irgendwann die Erkenntnis, dass der Flyer-Text doch zutrifft. Alles. Wer weitere Namen zum Vergleich braucht: Tocotronic & Co. fielen mir noch ein. Vielleicht Element Of Crime, als sie noch jung waren. Und Velvet Underground mögen auch mal so angefangen haben (außerdem erinnert mich Bassistin Stefanie visuell an Nico). Viele im Publikum erleben Locas In Love nicht zum ersten Mal; für die Zugabe werden so viele Wünsche zugerufen, dass die Band sich einige Minuten beraten muss, welche Auswahl sie in welcher Reihenfolge spielt. Vielleicht spielen sie extra für solche alten Säcke wie mich, der noch keines ihrer Lieder kannte, auch den 80er-Jahre-Hit "Smalltown Boy" von Bronski Beat. Natürlich fehlen auch Mitsinge-Lieder nicht. Zu guter Letzt lässt Björn seine Kolleginnen ein extra langes Intro spielen, damit er durchs Publikum gehen und sich von jeder und jedem einzelnen im Raum mit einer herzlichen Umarmung verabschíeden kann. Nach dem Konzert wird draußen noch geplaudert, Plattenstand inspiziert, sich in den Kalender eingetragen, der der LP "Kalender" beiliegt. Welch schöner Abend!

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