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Anne Clark und herrB   23.03.2016   Jena, F-Haus
von jmt

Mit ihrer "Wasted-Wonderland"-Tour gibt Anne Clark nach 36 Jahren ihren Abschied von der Konzertbühne - zumindest "for the foreseeable future". Mein viertes Anne-Clark-Konzert,- sollte es mein letztes gewesen sein? Das bleibt abzuwarten - sie wäre nicht die erste, die später wieder Abschied vom Abschied nimmt, und "auf absehbare Zukunft" klingt durchaus nicht nach absolutem Schlussstrich.
Das erste Mal live erlebte ich Anne Clark 1991 in Dresden. Mauerfall und Abschaffung der DDR lagen noch nicht lang zurück, ich war noch richtig jung, eine House&Techno-Welle schwappte durch Medien und Clubs. Ich entsinne mich an die Vorband Psyche (gesprochen ['saik']) - zwei junge Machotypen hüpften mit nacktem Oberkörper über die Bühne und animierten das Publikum zum Mithüpfen. Zur nach meinem Empfinden eher introvertierten, manchmal auch engagiert-aggressiven, immer sehr lyrikbetonten Musik von Anne Clark wollte dieses Rumgerave nicht so recht passen, die hüpfenden Technotypen um mich beeinträchtigten meinen Konzertgenuss doch erheblich. Welch immensen Einfluss Anne Clark auf die Entwicklung der elektronischen Tanzmusik hatte, war mir damals noch nicht bewusst. Beeindruckt hat mich ihre "Anti-Bühnenshow" - kein Gepose, kein Anheizen der Massen, ruhig stand sie in Alltagsjeans auf der Bühne und trug ihre Texte vor, allzu überschwengliches Mitsingen der Fans an falschen Stellen bedachte sie mit einem milden Lächeln.
2009 kam sie mit einer ganzen Band nach Jena in die Kulturarena, auch da wieder mit ihrem Anti-Show-Auftreten - äußerlich unbewegt, sich ganz auf die Kraft ihrer ausdrucksstarken Rezitation verlassen könnend, oft in den Hintergrund tretend, um einfach mal die Band machen zu lassen. Das Konzert hat mir so gut gefallen, dass ich meinen Freunden und mir sagte: Wenn's in 18 Jahren wieder so passt,- lass ich's gern zur Tradition werden!
So lang musste ich nicht warten - 2015 hatte Anne Clark einen Auftritt in der schon lange zuvor ausverkauften Friedenskirche in Jena. Begleitet wurde sie nur von Pianist Murat Parlak. Es war mehr ein musikalisch untermalter Rezitationsabend denn ein Konzert (eigentlich sind ihre Konzerte ja immer musikalisch untermalte Rezitationen), wenngleich sie gegen Ende des Auftrittes doch nicht ganz auf stampfende Techno-Beats verzichten mochte, wodurch die zuvor eher intensiv-andächtige Atmosphäre in der Kirche dann in eine bewegt-ausgelassene Stimmung überging. Insgesamt aber hielt sich die Musik hier so zurück, dass noch deutlicher wurde, wie hörenswert allein schon Anne Clarks unverwechselbare Rezitation ist. Mein Englisch reicht leider bei weitem nicht aus, um ihre Lyrik inhaltlich voll zu erfassen, jedoch die phonetische Schönheit ihrer Sprache spricht mich auch ohne Textverständnis an.
Wieder ein Jahr später nun also das Abschiedskonzert. Das F-Haus war erwartungsgemäß sehr gut gefüllt. Zumeist schwarz gekleidete Mittvierziger bis Endfünfziger dominierten natürlich das Publikum, aber es gab auch jüngere und ältere Frauen und Männer, nur richtige Jungspunde so um die 20 konnte ich nicht entdecken. Einigermaßen pünktlich etwas nach acht ging's los - von hinten angeleuchtet zeichneten sich die Schatten von Anne Clark und herrB auf einer Leinwand ab, sie rezitierte einen Text. Dann kamen sie hervor, von jubelndem Applaus empfangen. Es wurde eine Art Best-of-Konzert, wie es sich wohl für eine Abschiedstournee gehört. HerrB kleidete Anne Clarks Lieder in für meinen Geschmack manchmal etwas sehr poppige Gewandungen, dazu wurde im Saal dezent-gepflegt getanzt (Erinnerungen an die 80er-Jahre-Schuldiskos kamen auf, zu denen allerdings niemals Musik von Anne Clark lief), ein schätzungsweise 70jähriger ging allerdings richtig ab (wollte ich mir meinen Vater zu Elektronikbeats springend vorstellen - nein, unvorstellbar); sehr eindrucksvoll nicht nur auf mich wirkten die tiefen Bässe, die, ohne übermäßig laut zu sein, den Boden derart vibrieren ließen, dass die Vibration die Beine herauf den ganzen Körper erfasste. Um mich herum guckten sich einige begeistert-erstaunt an. Von den beiden Künstlern auf der Bühne blieb die Begeisterung im Publikum offenbar nicht unbemerkt, doch einige Male schlich sich auf ihre Gesichter ein Lächeln. Anne Clark war heute in Tanzlaune: Sie nickte im Takt mit dem Kopf und trat auch mal von einem Fuß auf den anderen - für ihre Verhältnisse also fast schon Extase. Sie wechselte auch die Bühnenposition, hatte verschiedene Mikrophone zur Auswahl; in manchem Titel sang sie sogar richtig mit Melodie, das klang für mich zuweilen wie eine weibliche Version der Pet Shop Boys, was keineswegs abwertend gemeint ist. HerrB griff für einige Lieder zur Gitarre, wobei die Elektronik weiterlief. Ist natürlich immer so eine Frage bei Konzerten mit elektronischer Musik (und wahrscheinlich nicht nur da): Wieviel ist live, wieviel vorgefertigt? Das Ganze wurde illuminiert von einer Video- und Lichtshow von Rick Kay. Die Musikvideos - ein Mondphasen im Zeitraffer durchlaufender Mond zu "Full Moon", Originalszenen aus Fritz Langs "Metropolis" zu "Sleeper In Metropolis", computergenerierte Evolutionen, Panzer und anderes Militärgerät, Sport treibende Gymnasten- wurden dreifach auf die altarartig dreigeteilte Leinwand projiziert. Wie schon gesagt, bleiben mir wegen mangelnder Sprachversiertheit leider die meisten der oft politischen Textinhalte verschlossen, und so bildeten die Videos eine hilfreiche Illustration, um zu erfassen, worum es in den Stücken gehen mag. (Ich entsinne mich an ein Konzert von Laurie Anderson: Ihr war so am Verständnis ihrer Texte gelegen, dass sie die deutschen Übersetzungen einblenden ließ - ein Konzert zum Mitlesen.) Für mein Empfinden wurden viele Titel ziemlich kurz abgehandelt, vielleicht hatte mich auch nur mein Zeitgefühl verlassen, aber einige Male lief der Film auf der Leinwand weiter, als die Musik schon zu Ende war. Natürlich gab es Zugaben. Als letzte den "Hit" (wenn man bei Anne-Clark-Titeln, die nie die breite Masse bedienten, denn von Hits sprechen kann) "Our Darkness", auch dieser leider in einer Kurzfassung. Und das war's dann auch schon, das letzte (und mit 24 Euro sehr erschwingliche) Konzert einer Künstlerin, die Musikgeschichte mitgeschrieben hat, ging familienfreundlich gegen 21:30 Uhr zu Ende. Der jüngste Konzertbesucher war ein neunjähriger Junge, der mit seinen Eltern mitgekommen war, und ihm hat es sehr gut gefallen.



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