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Joe Bonamassa   03.03.2016   Chemnitz, Messehalle
von rls

Das neue Studioalbum "Blues Of Desperation" noch gar nicht auf dem Markt, dazu Eintrittspreise, die zumindest für den Chemnitz-Gig erst jenseits der 70-Euro-Marke beginnen, was zumindest hier im Osten Superstar-Niveau darstellt - besteht Gefahr, daß sich Joe Bonamassa mit halbleeren Hallen begnügen muß? Offenbar nicht: Etliche Konzerte der bescheiden "The Guitar Event Of The Year" getauften Tour müssen gedoppelt veranstaltet werden, um die Nachfrage zu befriedigen, und auch in Chemnitz ist die Messehalle an einem Donnerstagabend relativ gut gefüllt. Um auch den gebrechlichen Altbluesern Gelegenheit zum Konzertbesuch zu geben, ist die Halle übrigens komplett bestuhlt, allerdings wurden zwei Blöcke falsch beschildert, so daß zehn Minuten vor Konzertbeginn eine Ansage durchgegeben wird, daß die Besucher in diesen beiden Blöcken die Plätze tauschen sollen, was mancher zunächst für einen Scherz hält, aber in der Tat ernstgemeint ist und zu einem unnötigen Kuddelmuddel samt entsprechend geknickter Stimmung führt.
Selbige ist allerdings schnell vergessen, als Bonamassa relativ pünktlich 20 Uhr in seinen Set einsteigt - das heißt, das stimmt nicht so ganz: Erst kommt "Ring Of Fire" vom Band (in der Originalfassung, obwohl sich gerade in Chemnitz auch die Fassung von Jiri Brabec And His Country Beat angeboten hätte), dann spielt Keyboarder Reese das "Locomotive Breath"-Intro, das sich allerdings nicht in den Hauptteil ebenjenes Jethro-Tull-Klassikers weiterentwickelt, sondern in die Bonamassa-Eigenkomposition "This Train", mit der dann auch der Rest der Band inclusive des Chefs selbst ins Geschehen eingreift. Von selbigem Rest hört man die beiden Bläser zunächst kaum durch, aber nach zwei, drei Songs hat der Soundmensch dieses Problem zunächst im Griff, und der vielschichtige Bluesrock des Sextetts schallt klar und bedarfsweise druckvoll aus den Boxen. Im akustischen Mittelpunkt steht aber natürlich Bonamassa selbst, sein klarer, nur selten verzweifelt wirkender Gesang und selbstredend sein Gitarrenspiel, das ausführliche Solospots bestreiten darf, wobei bis auf den Basser aber auch alle anderen Instrumentalisten solistisch zum Zuge kommen - Bonamassa weiß, welche Qualitäten seine US-übergreifend zusammengesetzte Band (die beiden Bläser wohnen an der Westküste, Bassist und Keyboarder in Nashville und der Drummer an der Ostküste) hat, und ist klug genug, diese auch entsprechend einzusetzen, ohne natürlich seine unbestrittene Führungsrolle zu beeinträchtigen. So entsteht ein eindrucksvolles Bild modernen Bluesrocks - auch die diversen Coverversionen werden in diesen Stil überführt, ohne freilich ihre Trademarks komplett aufzugeben (ein Boogie bleibt ein Boogie). Lustigerweise gönnt sich Bonamassa nach dem einleitenden Eigenkompositionenblock einen mit lauter Coverversionen von Musikern nachnamens King: "See See Baby" von Freddie King, "Never Make Your Move To Soon" von seinem Ziehvater B.B. King und schließlich "Angel Of Mercy" von Albert King - auf Lynyrd-Skynyrd-Nummern von Ed King oder gar Slayer-Songs von Kerry King verzichtet er allerdings (letzteres wäre doch mal eine Herausforderung), dafür kommt B.B. King mit dem traurigen "Nobody Loves Me But My Mother" später noch ein weiteres Mal zum Zuge. Hatte Bonamassa anfangs einen noch fast distanziert wirkenden Eindruck hinterlassen, so ändert sich dieser Eindruck, als er in der Setmitte zwischen dem Hendrix-Cover "Hey Baby" und der grandiosen Eigenkomposition "Oh Beautiful!" eine ausführliche Ansage macht (und zu selbiger seine Sonnenbrille abnimmt), seine Bandmitglieder vorstellt und seine Versuche schildert, den Namen der heutigen Gastgeberstadt richtig auszusprechen (wobei er froh sein kann, daß ihm niemand versucht hat beizubringen, wie man "Karl-Marx-Stadt" auf Sächsisch ausspricht :-)), was den Eindruck der Distanz im Handumdrehen wegwischt, zumal Bonamassa in "Oh Beautiful!" dann auch nochmal direkt aufs Publikum eingeht, indem er im extrem ruhigen Soloteil einem lärmenden Zwischenrufer ein simples "Pssst"-Zeichen entgegnet, und der ist danach auch tatsächlich ruhig, so daß sich die ergreifende Stimmung dieser Passage voll und ganz entfalten kann. Den emotionalen Höhepunkt markiert aber trotzdem (und trotz des nach "Oh Beautiful!" wieder verwaschener gewordenen Klanggewandes, da der Soundmensch offenbar in die alte Berufsstandskrankheit verfallen ist und die Regler unkontrolliert nach oben gerissen hat, so daß außer den Bläsern auch die Tastensounds in den härteren Passagen weitgehend im Abseits landen) das Tim-Curry-Epos "Sloe Gin", dem nur noch eins folgen kann, nämlich die traditionell gewordene Abschlußfrage eines jeden Bonamassa-Gigs, wer John Henry umgebracht habe. Hatte das Publikum bis dahin brav auf seinen Sitzen verharrt, so springen hier im Soloteil auf eine Geste Bonamassas hin, die eigentlich nur Jubel für seine solierenden Mitmusiker erzeugen soll, praktisch alle Anwesenden von ihren Plätzen auf und verbleiben die letzte reichliche Viertelstunde auch in der Senkrechten - auf "The Ballad Of John Henry" folgt als Zugabe noch die Muddy-Waters-Nummer "All Aboard", auch wieder mit endlosen, aber nie langweiligen Soli auf eine zweistellige Minutenspielzeit gebracht. So bekommt man weit über zwei Stunden modernen Bluesrock von einem immer noch relativ jungen Mann (Bonamassa ist noch keine 40, auch wenn er mit seinen Geheimratsecken ein bißchen älter wirkt), der diesen Stil massentauglich gemacht hat, aber immer noch ein hervorragendes Händchen dafür hat, die Massen rezeptionstechnisch durchaus zu fordern - und um zur Einleitung zurückzukehren: Ja, seine Eintrittspreise sind relativ teuer - aber dafür bekommt der Besucher auch sehr viel starke Musik geboten.

Der Meister und sein Baß-Adlatus  Die Bläserfraktion

Nur scheinbar vor leeren Rängen solierend: Joe Bonamassa (der Block rechts neben der Bühne war unbesetzt)  Der rechte vordere Bühnenteil

Joe und Reese  Bewegungsstudie

Joe und Anton  Die Bühne als Ganzes

Fotos: Gerd Rödel

Setlist:
Intro (Ring Of Fire)
Locomotive Breath (Intro)
This Train
Mountain Climbing
Blues Of Desperation
No Good Place For The Lonely
See See Baby
Never Make Your Move Too Soon
Angel Of Mercy
Hey Baby
Oh Beautiful!
Love Ain't A Love Song
Nobody Loves Me But My Mother
I Gave Up Everything For You, 'Cept The Blues
Going Down
Sloe Gin
The Ballad Of John Henry
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All Aboard



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