www.Crossover-agm.de
UniBigBand Leipzig   27.02.2016   Leipzig, UT Connewitz
von rls

Unter den Ensembles, die offiziell zur Leipziger Universitätsmusik zählen und sich überwiegend aus Studenten der dortigen Alma mater rekrutieren, ist die UniBigBand das jüngste, aber auch sie existiert mittlerweile schon seit zehn Jahren bzw. 20 Semestern, und das gibt den Grund für ein großes Jubiläumskonzert im altehrwürdigen und sehr gut gefüllten UT Connewitz ab, bei dem auch so mancher ehemalige Mitstreiter noch einmal zu seinen alten Kumpanen auf die Bühne klettert, gleichzeitig aber auch wieder für einige, genauer drei Mitglieder ihre Bandära endet. Das mit dem Auf-die-Bühne-Klettern ist übrigens gar nicht so einfach: Die diversen Personalwechsel erfordern eine logistische Glanzleistung, da es auf den Brettern äußerst eng zugeht und Bandkopf Reiko Brockelt teilweise mehr mit Utensilienhinundherräumen als mit dem Dirigat beschäftigt ist, zumal die meisten musikalischen Gäste von rechts außen kommen und, wenn sie nach links außen müssen, um ihren Einsatzort zu erreichen, sich einmal quer durch die ganze Band quetschen dürfen - auch die Bläsersoloparts erfordern, wenn sie unmittelbar nacheinander geschaltet sind, was durchaus häufig vorkommt, einiges an Flexibilität.
Die Grundbesetzung entspricht dem, was man hierzulande von einer Bigband gewohnt ist, und auch die Sitz- bzw. Stehordnung ist "klassisch": rechts fünf Saxer vorn, dahinter vier Posaunisten und ganz hinten sechs Trompeter, links außen das Klavier, in der Mitte hinten der Drummer, links hinten die Percussion, davor Gitarre und Baß (mal E-, mal Kontra-), und da Brockelt irgendwo in der Mitte positioniert ist und versucht, möglichst wenig im Wege zu stehen, aber gleichzeitig seinen Aufgaben nachzukommen, bleibt für die Sangesfraktion nur noch wenig Platz links vorn übrig. Zunächst geht's allerdings mit dem flotten Instrumentalstück "High Maintenance" von Gordon Goodwin los - ein von Brockelt sehr geschätzter Komponist, der folgerichtig öfter im Repertoire der UniBigBand auftaucht. Erste Sängerin ist dann Laura Böhm, die "Big Time" leider etwas zu gestaltungswillig angeht: Sie hat eine hübsche Stimme, versucht aber mit der Mikrofon-Mund-Entfernungsvariabilität auch für Dynamikvariabilität zu sorgen, und das geht schief, da das Mikro so punktgenau eingestellt ist, daß man schon bei geringer Entfernung den Gesang nicht mehr hört, ergo ein löchriger Eindruck entsteht. Dafür überzeugt auf instrumentaler Seite der verschleppte Mittelteil in dieser sonst ebenfalls eher flotten Nummer. "Birth Of Blues" von Ray Henderson sei musikwissenschaftlich gesehen gar kein Blues, doziert Brockelt in einer seiner äußerst unterhaltsamen Ansagen hernach, aber die massive Midtemponummer klingt trotzdem so, wie man sich landläufig einen Blues vorstellt, und Sängerin Nadja Fritz macht auch eine prima Figur, wenngleich nicht als versoffene Bluesröhre, sondern mit einer starken Mixtur aus Energie und Wärme, im Finale auch etwas mehr Expressivität. Das instrumentale "After Dark" sieht Christian Dähne als Gastbassisten - ein Mensch mit einer typischen "Karriere" rings um die Band, wie sie an dem Abend noch mehrfach zur Sprache kommt: Als er in die Band kam, studierte er Mathematik und Physik auf Lehramt, brach das dann aber ab, bestand die Aufnahmeprüfung an der Musikhochschule und ist heute studierter Jazzbassist. Das lange verträumte Blechintro mündet in etliche breite Exzelsiors, bevor die Nummer Fahrt aufnimmt und neben den Bläsern auch der Gitarrist und der Drummer Solospots eingeräumt bekommen. Dann greift Elisabeth Auenmüller ins vokale Geschehen ein, und zwar zum letzten Mal vor ihrem Bandabschied. In der Duke Ellington zugeschriebenen, aber von Billy Strayhorn geschriebenen Ballade "Day Dream" zeigt sie die streichelnden Stärken ihrer Stimme, in "There Will Never Be Another You" (mit Ur-Saxophonist Mark, auch so ein Wechsler, nämlich vom Musikwissenschaftler zum Profi-Saxophonisten), das von der Ballade in einen flotten Swing umschlägt, demonstriert sie auch Können in den lauteren Höhenlagen. Laura reproduziert dann im allerdings auch so eher durchschnittlichen "This Can't Be Love" die Gesangslöchrigkeit von "Big Time", und Gordon Goodwins "Get In Line" demonstriert das andere Soundproblem des Abends: Selbst im Solo hört man den Gitarristen kaum mal (wobei angemerkt sei, daß ansonsten ein sehr ausgewogenes und gut abgemischtes Klangbild herrscht, was bei der Fülle der Instrumente keine ganz einfache Angelegenheit darstellt). Der Song selbst stellt relativ harten Funk dar, oftmals trocken, spröde und fast nervös wirkend, aber besonders im Schlußteil energisch zupackend und mit viel Zug zum Tor. Zu "You Are So Beautiful" kommt Ur-Sängerin Marie Bräunig auf die Bühne und zeigt allen anderen Sängerinnen, was eine Harke ist: eine exzellente Stimme, viel songdienlich eingesetzter Gestaltungswille - tja, und Resonanzraum bleibt halt doch Resonanzraum. Dagegen sieht selbst die neutral betrachtet richtig gute Nadja blaß aus, wie der flotte Swing "Who Cares" als letzte Nummer vor der Pause zeigt (man hat halt Maries Stimme von eben noch im Ohr), was das Ganze aber natürlich immer noch im grünen Bereich beläßt - und mit einigen Gangshouts von den Bläsern geht es nach einer reichlichen Stunde in die Pause.
Mit Sammy Nesticos "Ya Gotta Try ... Harder" bleibt man auch nach der Pause noch im Swing der klassischen Sorte, erst im gehobenen Midtempo, dann plötzlich losflitzend. Die nächsten Gäste prägen "Come By Me" von Harry Connick Jr.: Pianist Nils Baumbach (auch so ein Ex-Mathematiker) und vor allem Sänger Arnfried Auge, den es nach anderweitigen Studienanfängen dann auch an die Musikhochschule verschlagen hat - und das ist gut so, denn sonst wäre der Welt vielleicht ein richtig guter Jazzsänger vorenthalten geblieben. Besonders im langen Einleitungsteil, der nur von Piano, Gitarre, Baß und Drums untermalt wird, hat der Sänger große Entfaltungsmöglichkeiten, die er natürlich auch nutzt, bevor dann großer Swingbombast aus der Nummer wird und die Saxer ihre Instrumente rhythmisch zu schwingen beginnen, was sie in der Folge oft und gern tun. In "Accentuate The Positive" stehen sie dazu sogar auf, allerdings erst nachdem die Nummer aus einem langsam-bedächtigen Swing (mit gestrichenem Kontrabaß und einem hypernervösen Trompetenintro) nach oben gefahren worden ist. Der Kick bleibt trotzdem wieder Arnfried vorbehalten, hier in Form eines Step-Solos. Nächster Gast ist Saxer Tobias, der das Werk von Yoko Kanno ins Repertoire der Band eingebracht hat, von dem hier "Tank" erklingt, ein ziemlich wildes Stück mit einem bekannten Zentralthema und einem finalen Saxophon-Solo ohne instrumentale Begleitung, das ins Schlußinferno führt. Räumlich und strukturell näher liegt das Schaffen von Universitätsmusikdirektor David Timm, mit Brockelt schon seit Ewigkeiten in verschiedensten Projekten verbunden und somit natürlich auch am Repertoire der UniBigBand nicht unbeteiligt. Zur d-Moll-Samba, natürlich beruhend auf Toccata und Fuge d-Moll BWV 565 des großen Sebastian, genügen prinzipiell wie auch auf die Darbietung an diesem Abend bezogen die drei Stichworte auf dem Notizzettel des Rezensenten: "flott", "typisch", "gut". Da kann "I Can't Believe That You're In Love With Me" trotz abermaliger starker Gesangsleistung Elisabeths nicht mithalten, und auch im Klassiker "When I Fall In Love" herrscht unabhängig von der Tatsache, daß nicht alle Bandmitglieder die gleiche Transponierungsvariante auf ihren Notenpulten liegen haben, zuviel Unruhe, um etwa eine Seelenstreichelvariante wie die von Sjaella aus dem Hinterkopf zu vertreiben. Überhaupt ist nach dem bis dahin schon recht langen Programm die Luft mittlerweile ein bißchen raus: Henry Mancinis "It Had Better Be Tonight" (mit Laura am Mikro, der in der Pause offenbar jemand das Lochproblem geschildert hat, so daß sie dieses jetzt umgeht - und schon hinterläßt ihre Stimme einen viel besseren Eindruck), "Ain't No Mountain High Enough" (mit Laura, Elisabeth und Arnfried als Gesangstrio) und "And Here Tears" (auch als Gesangstrio mit verteilten Strophen, aber mit Marie statt Arnfried, und von allen Bandmitgliedern gemeinsam gesungenem Refrain) hinterlassen allesamt einen nicht schlechten, aber auch nicht weltbewegenden Eindruck, und dann wird's sowieso erstmal ganz informell: Die Band spielt vom Blatt für Brockelt "Tequila" und überreicht dem Bandleader zum Zehnjährigen auch eine Flasche desselben samt einer Platinschallplatte (eine Goldene hatte er schon zum Siebenjährigen bekommen), drei Bandmitglieder werden verabschiedet, und ein Fotograf bemüht sich, alle Musiker so eng zu gruppieren, daß sie auf ein Bild passen. Bevor sich aber alles in ein fröhliches Durcheinander auflöst, gibt's nochmal Musik: Brockelts "I'm Gonna Live Till I Die" schließt den regulären Set ab, und da das Publikum auch nach knapp zweieinhalb Stunden Nettospielzeit noch nicht genug hat, packt die Band als Zugabe noch das kostarikanische "Curubandé" aus, das dem Vernehmen nach an diesem Abend zum letzten Mal gespielt wird. Wäre schade drum, denn dieses sehr perkussiv geprägte Stück gehört definitiv zu den Highlights des Abends - und das keineswegs nur wegen des originellen Elements, daß alle vier Posaunisten zum Solieren nach vorn kommen und nicht nur einer wie sonst üblich. So endet ein denkwürdiges Konzert auf sehr hohem Niveau und macht Appetit auf weitere Taten in den kommenden Semestern.



www.Crossover-agm.de
© by CrossOver