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Jewish Monkeys   23.02.2016   Leipzig, Moritzbastei
von rls

"Global Warming" hatten Jewish Monkeys ihre aktuelle Tour getauft und damit in bester jüdischer Humor- bzw. Philosophietradition gleich mehrere Ziele aufs Korn genommen. Der Klezmer Punk, so die Eigendefinition, eignet sich jedenfalls hervorragend, um die Körpertemperaturen der vor der Bühne Anwesenden zu erhöhen, unabhängig davon, wo auf der Welt die israelische Band nun spielt (gut, es mag Länder und/oder Kontexte geben, in denen sie nicht gern gesehen sind, wiederum aus mehreren Gründen: weil sie aus Israel kommen, weil sie erfrischend unkonventionell an die Musik herangehen, weil sie sich von Stilgrenzen nicht einengen lassen, weil sie sich einen gesunden kritischen Blick auf all das, was in der Welt jüdischer- wie nichtjüdischerseits so falsch läuft, bewahrt haben ... die Liste ließe sich fortsetzen). Den aktuellen Beweis hierfür liefert der Gig in der Moritzbastei in Leipzig, der zugleich das klassische Paradoxon von Gigs mit bewegungsinduzierender Musik deutlich macht: Eigentlich wünscht man der Band eine volle Halle, aber dann könnte man das Tanzbein nicht mehr schwingen, ohne permanent mit den Gliedmaßen der Umstehenden in Konflikt zu geraten. Ist die Halle aber nur zur Hälfte gefüllt wie an diesem Abend, so bleibt zwar jede Menge Platz, das Tanzbein zu schwingen, auch ohne die hübsche dunkelhaarige Nachbarin zur Linken ungewollt niederzustrecken, aber dafür wird die Bandkasse nicht angemessen gefüllt ...
Da die vorgelagerte Veranstaltung des Rezensenten deutlich länger gedauert hat als vorgesehen, trifft er erst 50 Minuten nach planmäßigem Gigbeginn in der Moritzbastei ein - der erste Song, den er komplett mitbekommt, ist dann aber auch gleich ein Highlight, das den Qualitätsstandard für den Rest des Gigs definiert: "Banana Boat", populär geworden in der Fassung von Harry Belafonte, wird hier um expressive Vokalintro- und -outroparts bereichert, während sich dazwischen der tatsächlich prima als solcher zu bezeichnende Klezmer Punk breitmacht, wobei Punk nicht nur für das Genre an sich, sondern auch für einen unbedarft-unkonventionellen Umgang mit dem Originalmaterial steht und nicht als spielerischer Dilettantismus zu verstehen ist. Im Gegenteil: Sowohl die fünf Instrumentalisten als auch die beiden Sänger erweisen sich als Könner ihres jeweiligen Fachs, wobei Gitarrist Omer Hershman interessanterweise nicht nur in der Bühnenanordnung in der hinteren Reihe steht, sondern auch im Gesamtmix keine vordergründige Rolle spielt - und trotzdem leidet der Energietransport nicht darunter, sondern klappt tadellos. Klezmer-untypisch verzichten die Jewish Monkeys auf Holzbläser, stattdessen hat Ran Bagno, musikalischer Kopf und Akkordeonist der Band, mit Moran Baron einen Posaunisten an seiner Seite (bzw. auf der gegenüberliegenden Bühnenseite) stehen - und auch diese Mischung funktioniert bestens, wie der Hörer spätestens nach ein paar Minuten feststellt, zumal der Soundmensch auch ein erfreulich transparentes Soundgewand zimmert (er hatte vor dem Eintreffen des Rezensenten ja auch ausreichend Zeit zum Einpegeln ...) und nur gegen Ende des regulären Sets mal kurz in die alte Soundmenschkrankheit verfällt, die Regler unkontrolliert nach oben zu schieben und damit das Gesamtbild zu verunklären. Dem fleißig bewegten Tanzbein tut freilich auch das keinen Abbruch, wobei sich die Jewish Monkeys auch von der ganz großen Tempoattacke fernhalten (immerhin, so kommentiert Sänger Jossi Reich, sei er jetzt schon 53, und da funktioniere nicht mehr alles im Körper so wie früher, weswegen man mittlerweile etwa auch Songs über Prostatabeschwerden im Repertoire habe) und auch das dem Unterhaltungs- wie Tanzbarkeitsgrad des Gigs keinen Abbruch tut, zumal von der elegischen Ballade bis hin zu treibenden Tempi knapp unter der Speedgrenze immer noch ein breites Spektrum an Beatmustern zu hören ist. Apropos Jossi Reich: Der hat zusammen mit Roni Boiko die Band gegründet (beide kennen sich aus dem Frankfurter Synagogalchor, wo sie vor x Jahrzehnten gemeinsam aktiv waren) und sorgt auch für die Ansagen, wobei er im Gegensatz zu den meisten seiner Bandmitglieder der deutschen Sprache mächtig ist und das auch nutzt, um lustige Geschichten zu erzählen, die nicht alle Bandmitglieder lustig fänden, wie er verschmitzt meint (er übersetzt ihnen nur das, was sie hören sollen ...). So besteht auch zwischen den Songs ein hoher Unterhaltungswert. Von den drei hauptamtlichen Sängern, die das Oktett besitzt, sind nur zwei mit auf Tour - neben Reich agiert nicht Roni Boiko (der aber offensichtlich immer noch Bandmitglied ist), sondern Gael Zeidner, und der erweist sich als enorm stimmgewaltig und mit expressivem Gestaltungsvermögen ausgestattet, so daß er immer wieder verdienten Sonderapplaus erntet. Eigenkompositionen, Arrangements jüdischer und jiddischer Traditionals und andere Coverversionen geben sich munter die Klinke in die Hand, die Stimmung in der Veranstaltungstonne der Moritzbastei ist prima, auch der Rezensent sieht das Glas lieber halbvoll als halbleer (heißt praktisch: Er ärgert sich nicht, daß er die ersten 50 Minuten verpaßt hat [wobei die, wenn man auf die Setlist schaut, vermutlich nicht ganz komplett mit Musik gefüllt waren, sondern es einen etwas späteren Konzertbeginn gegeben haben dürfte - oder waren die ersten Stücke tatsächlich so lang?], sondern freut sich, daß er die hintere Stunde erleben durfte), und ohne zwei Zugaben wird das Septett auch nicht von der Bühne gelassen. Und welche Klezmer-Punk-Band käme schon auf die Idee, als Setcloser ausgerechnet ein Stück von The Violent Femmes zu covern? Eben!

Setlist:
Intro
So Nice
Black But Sweet
Johnny Is The Goi For Me
Luba Lubavica
Banana Boat
Misirilou
Spreitzig Mir
Hit Me
Rumania
Titina
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Add It Up
Black But Sweet



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