www.Crossover-agm.de
Durch die Wand   17.11.2015   Zedtlitz, Pfarrscheune
von rls

Nach langer Zeit schafft es der Rezensent wieder einmal zur "Nacht für den Frieden", die Kirchenbezirksjugendwart Andreas Bergmann alljährlich am Abend vor dem Buß- und Bettag im Nachbardorf auf die Beine stellt - allerdings nur zum abschließenden Programmpunkt, und der ist in traditioneller Weise musikalischer Natur und stilistisch durchaus nicht festgelegt. Diesmal gibt es mit Durch die Wand eine Ton-Steine-Scherben-Coverband, allerdings macht schon der Bandname deutlich, daß neben den alten Scherben-Werken auch Rio Reisers Soloschaffen eine Rolle spielen dürfte, hat die Truppe den Namen doch vom vierten Reiser-Soloalbum entliehen. Selbige Vermutung stellt sich während des Gigs dann auch als korrekt heraus - überraschender ist da schon die Umsetzung bzw. das Line-up: Durch die Wand sind eine Fraktionierung des Crazy-Generation-Chores aus Leipzig, der vom traditionellen Chorsatz bis zum Queen-Hit alles singt, was gute Stimmung bringt. Wand-Chefdenker Sven ist dort "nur" einfacher Sänger, bei seiner eigenen Truppe aber auch noch Alleinunterhalter im instrumentalen Bereich, nämlich am E-Piano und in einem Falle auch an der Gitarre. Nun sind allerdings Durch die Wand nicht etwa ein Soloprojekt, sondern ein Septett, was praktisch bedeutet, daß die anderen sechs Mitstreiter sich ebenfalls der Sangeskunst befleißigen, und das tun sie mal als "klassischer" Backingchor, mal bestimmte instrumentale Melodielinien mitvollführend oder auch komplett übernehmen, mal geräuscherzeugend und im Fall von Altistin Diana auch mal mit Leadfunktion. Das Gros der Leadvocalarbeit übernimmt Sven allerdings selber, und seine Stimme ähnelt der Rios tatsächlich ziemlich: schnoddrig, aber ausdrucksstark - und, wie Andreas und der Rezensent unabhängig voneinander im Geiste formulieren, immer haarscharf am angepeilten Ton vorbei. Das paßt beim Scherben-/Reiser-Repertoire prima, bei einer (insgesamt allerdings etwas bemüht wirkenden) eingestreuten Eigenkomposition auch, bei Meat Loafs "You Took The Words Right Out Of My Mouth" indes weniger: Hier bedürfte es für eine adäquate Umsetzung einer opernhaften Stimme, und die hat Sven nicht, weshalb die angedachte Repertoireausweitung in dieser Richtung äußerst bedenklich anmutet - da böten sich zahlreiche wahrscheinlich besser passende Alternativen, Udo Lindenberg etwa oder, wenn man partout von der deutschen Sprache wegwill, vielleicht auch ein Grantler wie His Bobness aka Robert Zimmermann. Oder Sven überträgt noch mehr Leadfunktionen an das Sextett hinter ihm - die beiden Herren etwa deuten durchaus an, daß sie mehr können, als sie hier zeigen (müssen). Aber das ist noch Zukunftsmusik - mit dem Scherben-/Reiser-Set dieses Abends machen Durch die Wand jedenfalls ordentlich Laune, spielen diverse Hits (wobei sie auf "Macht kaputt, was euch kaputt macht" verzichten - vier Tage nach den Anschlägen von Paris wäre das auch in gewisser Weise unpassend gewesen) neben Tracks aus der zweiten Reihe und mischen auch die politischen Botschaften Marke "Wir müssen hier raus" oder "Krieg" geschickt mit der insgesamt deutlich dominierenden persönlich-emotionalen Lyrik, auf die Reiser schon zu mittelfrühen Scherben-Zeiten einzuschwenken begann. Auch Spontaneität bricht sich Bahn - auf Wunsch aus dem Publikum erklingt "Junimond" und später als Setcloser auch noch "Keine Macht für Niemand", in dem Sven das E-Piano gegen eine Akustikgitarre eintauscht. Humor gibt's auch - bei "König von Deutschland" tragen die Bandmitglieder Kronen, und das Hintergrundsextett steuert seinen einzigen instrumentalen Teil bei: Richard Strauss' "Also sprach Zarathustra"-Intro (!) wird auf sechs Kämmen (!!) mit schwarz-rot-goldenem Papier (!!!) geblasen. Das Experiment, das Flötensolo von "Der Traum ist aus" auch noch auf dem Kamm zu blasen, bleibt allerdings aus, und interessanterweise verzichtet Sven hier auch auf die pianistische Umsetzung des originalen Outros, nämlich "Tochter Zion freue dich". Von einigen Unsicherheiten an den Tasten (und dem wenig geglückten Meat-Loaf-Cover) abgesehen gelingt ein gleichermaßen unterhaltsamer wie für das überwiegend junge bis sehr junge Publikum lehrreicher Gig, der zu Recht mit viel Beifall (und einer Extrazugabe) endet.



www.Crossover-agm.de
© by CrossOver