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Vessels, Sea Moya   29.10.2015   Leipzig, Werk 2
von ta

Vessels aus Leeds haben es sich nicht leicht gemacht. Der stilistische Bruch zwischen "White Fields And Open Devices" und "Dilate" ist tief wie der Marianengraben. Anno 2015 betouren sie "Dilate" in Europa und die Halle D des Werk 2 wurde sicherheitshalber durch einen langen Vorhang in der Mitte halbiert - eine gute Entscheidung, denn nun haben die Musiker auf der provisorischen Bühne zwischen all den Geräten zwar kaum Platz, aber das übersichtliche Publikum verliert sich nicht in der großen Location. Allerorten zeigen Gesichter und Gespräche noch große Fragezeichen - was zu Hölle haben die fünf aus Leeds sich bei ihrer Metamorphose eigentlich gedacht?

Das Vorprogramm bestreiten Sea Moya, laut Eigenaussage "emerging from in between the shipping containers of a German Harbour". Die Band punktet von Anfang an mit Authentizität: Sympathische Trio-Besetzung, Old-School-Tennisklamotten, wackelnde Locken, schüchtern bis zum Anschlag, völlig in der Musik versunken. Diese ist im Steinzeitelektro à la Tangerine Dream mit starker Schlagseite zum Psychedelic der 70er wie zum Synthie-Pop der 80er zu verorten, mit weichen Beats, viel Melodie und verhaltenem Live-Gesang. Unter den vier dargebotenen und durchweg hochwertigen Stücken sticht eins hervor: "Slow Down" ist ein Late-Night-Hit, smooth, melancholisch, die Hook ein echter Ohrwurm, die Tonwerdung eines Michael-Mann-Films. Ergebnis: Nostalgisch und herrlich zugleich. Ein perfekter Einstieg und auch darüber hinaus eine Gruppe, die es weiterzuverfolgen gilt.

Was folgt, ist eine Lehrstunde in Sachen Massenhypnose. Vessels anno 2015, das ist Rausch ohne Grenzen. Egal ob im sanften Rave-Bereich ("Vertical"), im Downtempo ("Echo In"), komplett instrumental oder mit Gesangssamples ("On Monos"), es regiert der Beat und der ist ein Mahlstrom, dem man sich, einmal eingetaucht, unmöglich entziehen kann.
Die Bühne ist vollgestellt mit Sequenzern, Synthies und - notabene - mehreren akustischen wie elektronischen Drum- und Percussionsets, die von bis zu vier Personen simultan bedient werden, deren Einsätze ultrapräzise kommen. Früher wurden die technischen Fertigkeiten der Beteiligten in Math-Rock-Episoden verpackt, heute stecken sie in den Unisono-Percussions. Und die regieren an diesem Abend den Club. Nach einer kurzen Eröffnungsansage folgen erstmal 50 Minuten Hypnose ohne Pause zwischen den Einzelepisoden. In deren Verlauf verschmelzen die Menge vor wie auf der Bühne zu einer wabernden, wogenden, zappelnden, schwitzenden Einheit. Songtitel? Egal. Getränk alle? Egal. Ein Moment der Abwesenheit würde bedeuten, bei voller Fahrt aus dem Fahrstuhl nach oben auszusteigen, den diese Band so kunstvoll zu führen weiß.
Jede Sekunde ist den Musikern die diebische Freude am neuen Sound und der neuen Technik anzusehen und jede Sekunde wird klarer, dass an diesen Abend absolut kein Post Rock gehört und auch nicht zu hören ist. Lediglich "Come Out Of The Sky And Fight This" von der "Elliptic"-EP, die 2013 den Übergang der alten zu den neuen Vessels markierte, erklingt in einer verelektronisierten Variante, die ersten beiden Alben werden komplett ausgespart. Als Cover ist in der Mitte des Gigs das melodiöse "The Sky Was Pink" von Nathan Fake platziert, das sich mit ätherischen, warmen Beats perfekt ins eigene Set der Band einfügt.
Die Sogwirkung dieses Auftritts ist so groß, dass er endlos dauern könnte, doch er endet irgendwann. Als Zugabe dient mit Modelselektors "Blue Couds" nochmal ein Cover, dessen brachialer D'n'B-Groove die letzten Reserven aktiviert und einen unerwartet harten, aber deshalb besser verschmerzbaren Abschluss darstellt. Nach 80 Minuten endet ein hochintensiver Live-Trip, der eine glatte 10/10 auf der Punkteskala einfahren würde, wenn es bei CrossOver eine gäbe. In dieser Form sind Vessels state of the art. Keine Fragen offen.



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