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Das Märchen von Zaren Saltan   17.10.2015   Dresden, Staatsoperette
von rls

Der "Hummelflug" erfreut sich einer ziemlichen Popularität, und auch die Aufgabe, den zugehörigen Komponisten, nämlich Nikolai Rimski-Korsakow, zu benennen, sollte noch eine erkleckliche Anzahl von Menschen fertigbringen. Aber das Wissen, daß das Stück aus der Oper "Das Märchen vom Zaren Saltan" stammt, dürfte schon deutlich weniger verbreitet sein, und wenn es um die Anzahl von Menschen geht, die diese Oper schon einmal auf der Bühne erlebt haben, dürfte die Quote weiter sinken. Aber sie steigt aktuell wieder: Die Staatsoperette Dresden bringt in ihrer letzten Spielzeit im Leubener Theater ebenjenes Werk auf die Bretter.
Ab Herbst 2016 wird die Staatsoperette ihr neues Domizil im Kulturkraftwerk Mitte bespielen, und ebendort zieht auch das tjg., das theater junge generation, ein - in dieser Oper nun kommt es erstmalig zu einer Kooperation der beiden Institutionen, indem die Puppenspieler Anna Menzel und Patrick Borck für einen Teil der phantastischen Elemente der Märchenoper verantwortlich zeichnen, für die die Staatsoperette ansonsten tief in die Effektkiste hätte greifen müssen. Freilich beschränken sie sich nicht darauf, wie gleich im Prolog deutlich wird. Der besteht aus einer klassischen Aschenbrödeliade: Zar Saltan belauscht drei Schwestern und heiratet daraufhin die jüngste, weil diese ihm einen Sohn gebären will, während die beiden anderen eher versorgungstechnische Avancen hegen und zwar mit in den Palast umsiedeln dürfen, aber ebenda mit entsprechenden Aufgaben in der Küche respektive dem Zeughaus betraut werden, worauf sie zusammen mit der intriganten Base Babaricha Rachepläne spinnen. Ein solcher gelingt auch, und die frischgebackene Zarin und Mutter wird mitsamt Prinz Gwidon in einem Faß eingeschlossen und ins Meer geworfen, aber wundersam errettet. Gwidon steigt letztlich zum Herrscher eines nicht weniger wundersamen Inselkönigreiches auf und bringt zu seiner Hochzeit eine Familienzusammenführung seiner Eltern zustande. Wer in dieser Kurzzusammenfassung die Hummel vermißt: In eine solche wird Gwidon verwandelt, als er inkognito den Zarenhof besucht und den Besuch des Zaren auf der Insel einfädelt. Ebenjenen Stoff verarbeitete Alexander Puschkin zu einem Kunstmärchen, und kurz vor Ende des 19. Jahrhunderts schuf Rimski-Korsakow die Oper auf ein weitgehend Puschkins Vorlage treues Libretto von Wladimir J. Bjelski, das wiederum August Bernhard ins Deutsche übertrug - und das ist die Fassung, die es in Dresden zu hören gibt; der Rezensent sieht und hört die Zweitbesetzung, die einen Tag nach der Premiere die insgesamt zweite Vorstellung gibt.
Die Sänger singen also in Deutsch. Leider muß man sich oft sehr anstrengen, um das mitzubekommen. Das liegt einesteils an Rimski-Korsakow, der, an Wagners Instrumentierung geschult, auch das klassische Wagner-Problem mit übernommen hat, daß sich die Sänger an besonders dramatischen Stellen irgendwie gegen das brodelnde und tobende Orchester durchsetzen müssen - im "Saltan" gibt es dieses Problem zwar nur in abgeschwächter, aber doch noch deutlich spürbarer Form. Andererseits aber singen fast ausnahmslos alle Sänger der an diesem Abend aktiven Besetzung sehr linienhaft und wenig textorientiert, und da es auch keine Übertitelung gibt, fällt das Verstehen des Gesungenen oftmals enorm schwer. Kommt dann auch noch ein eher zähes Stück Handlung dazu, etwa der Großteil des 1. Aktes, der zwar handlungsgemäß zäh sein muß (man wartet am Zarenhof auf Botschaften des im Feld stehenden Zaren), so lernt man die deutlich kompaktere und zugleich stringentere Handlung in vielen anderen Teilen der Oper umso höher zu schätzen. Zudem schafft es Regisseur Arne Böge bis zur Pause, die zwischen dem zweiten und dritten Akt angesiedelt ist, die märchenhaften Elemente gekonnt einzubauen, den Prolog und einige Teile des 1. Aktes sogar richtiggehend mit einem gefährlichen Unterton auszustatten (Babaricha, aber auch die beiden älteren Schwestern furchteln nicht selten mit Hieb- und Stichwaffen herum, und beim Zuschauer beginnt sich hier und da ein flaues Gefühl breitzumachen) und die gelegentlichen humoristischen Elemente nicht in den Klamauk abgleiten zu lassen. Selbst die Idee, die neue Stadt Gwidons durch mit verschiedenartigsten Lichterketten behängte Chormitglieder symbolisieren zu lassen (einige tragen zudem Beschilderungen wie "Licht ist Leben" oder "OPEN"), wozu ein gigantischer Choralgesang tritt, ist völlig ernstzunehmen, auch wenn einige im Publikum das anders sehen. Viel zu lachen gibt es in diesem ersten Teil der Inszenierung also eigentlich nicht, aber dessen bedarf es ja auch nicht. Umso unverständlicher ist das Umkippen der beiden letzten Akte. Daß die Handelsgesellschaft mit einem russischen U-Boot reist, ist noch kein Problem - aber muß man eine bisher stimmige Inszenierung unbedingt selbst torpedieren, indem man an allen möglichen Stellen ironische Brechungen anbringt und die Vorlage damit nicht mehr ernstnimmt? Der Horrorkomödienversuch der Hummelattacken (übrigens ohne Hummel, obwohl diese als Handpuppe durchaus existiert) führt ebenso ins Lächerliche wie die erstmalige Verwandlung Gwidons in die Hummel (auch wenn letztere möglicherweise als Hommage an "Die Fliege" gedacht war), die verbannte Zarin gebärdet sich, als Gwidon ihr ihre Schwiegertochter vorstellen will, zunächst ähnlich kratzbürstig wie Babaricha, ohne daß einem dafür ein Grund einfiele, und der unfaßbare Ausfall, das goldene Nüsse knackende Eichhörnchen durch Anna Menzel in breitem Berlinerisch einen Kommentar über seine Ausbeutung ans Publikum sprechen zu lassen, macht aus einer stilvollen Inszenierung endgültig eine Schmierenkomödie. Das ist schade, bedenkt man, wie selten sich die Gelegenheit bietet, dieses Werk hierzulande mal live zu erleben. So bleibt als Fazit nach den zweieinhalb Stunden nur, daß dem hervorragenden Orchester unter Andreas Schüller (es entledigt sich der Aufgabe, die enorm vielfarbige und teils recht "naturalistische" Musik adäquat darzubieten, in überwiegend erstklassiger Manier, von den kleinen geschilderten Dominanzproblemen mal abgesehen) und dem von Radek Stopka gekonnt choreographierten Ballett, das im wesentlichen die langen Orchestereinleitungen der Akte auszugestalten hat (und man versteht irgendwann auch, was mit dem Kampf der Doppeldecker gegen die Monster, der in der Einleitung zu Akt 1 dargestellt wird, gemeint ist), keine gleichwertigen weiteren Komponenten entgegengestellt werden konnten. Wer testen will, ob er das Werk in dieser Form trotzdem verträgt: www.staatsoperette-dresden.de verrät die weiteren Termine.



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