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Inroad, Unter Strom, N.E.T. & Psychonoise   25.09.2015   Grimma, Alte Spitzenfabrik
von rls

Das Leben sorgt bisweilen für diverse Kuriosa. Da gibt es seit 1999 eine Band namens Inroad, die laut Eigendefinition "in-your-face-crossover" fabriziert, keine 25 Kilometer vom CrossOver-Redaktionssitz entfernt probt und auch schon beim Crossover-Festival gespielt hat - und trotzdem ist sie die ganzen 16 Jahre nie beim CrossOver vorgekommen. Das ändert sich mit diesem Abend erst-, allerdings auch letztmalig: Inroad spielen nach besagten 16 Jahren Existenz ihren Abschiedsgig und laden aus diesem Grund sozusagen zum finalen Familientreffen.
Als der Rezensent eintrifft, ist selbiges bereits im vollen Gange, allerdings überwiegend noch vor und nicht in der Halle, woselbst sich eine Kombination aus N.E.T. (Neo Edding Terror) und Psychonoise aus Gera bemüht, den leeren Halbkreis vor der Bühne nicht größer, sondern kleiner werden zu lassen. Das gelingt dem Trio zwar nicht so richtig, aber die Anwesenden spenden durchaus mehr als wohlwollenden Applaus, zumal die Mitglieder des Konglomerats lokal einschlägig bekannt sind, da sie bereits mehrfach mit Inroad die Bühnenbretter geteilt haben. Irgendwie erinnert das Hardrock-Punk-Core-Gemisch ein bißchen an Danko Jones, allerdings mit deutlich stärkerer Core-Schlagseite, die sich auch im engagierten Textgut wiederfindet, wenngleich man den Sänger nicht immer so ganz versteht. Der Basser sorgt nebenbei noch mit fürs Backinggebrüll, und der Drummer ist zwar akustisch da, aber die etwas merkwürdige Ausleuchtung der Bühne sorgt dafür, daß deren hintere Hälfte und damit eben der Arbeitsplatz des Taktgebers weitgehend im Dunkel liegt.
Bei Unter Strom wächst sich letztgenannter Umstand dann zum Problem aus, denn die haben einen ziemlich extrovertierten Drummer, und der kommt sich offensichtlich optisch arg unterrepräsentiert vor (man muß sich in der Tat arg anstrengen, um seine diversen Verkleidungen, u.a. eine gewagte Kombination aus Angus-Teufelshörnern und irgendwelchen bunten Schulterkränzen, überhaupt wahrnehmen zu können) und benutzt daher sein Backingmikro häufig zu verbalen Einwürfen, leider nicht selten auch in völlig unpassendem Moment, wenn seine drei Mitmusiker z.B. eine Art romantischer Stimmung hervorzuzaubern versuchen und er die mit einer platten Bemerkung sofort wieder einreißt. Unglücklicherweise versteht man das, was er sagt, auch noch, während der Sänger und der Bassist so mäßige Mikrofoneinstellungen haben, daß man sie zwar ab und zu singen bzw. brüllen hört, aber die Ansagen zumindest in den ersten drei Setvierteln nahezu komplett unverständlich sind - erst gegen Setende bekommt die Soundfraktion dieses Problem langsam in den Griff, während das andere große Problem bis zum Schluß ungelöst bleibt: Die vom Sänger gespielte Rhythmusgitarre hört man im wesentlichen nur dann, wenn alle anderen drei Instrumentalisten pausieren. Das macht den Deutschrock des Quartetts natürlich schwer bewertbar. Kurioserweise beginnen Unter Strom ihren Set trotz ihres Bandnamens mit fünf Akustikrocksongs, bevor sie dann doch noch die heftigere Schiene fahren und gegen Setende auch die ersten wilderen Tanzaktivitäten im Areal vor der Bühne hervorrufen können. Spielerisch reißen sie allerdings auch keine Bäume aus, und so wird ein Song namens "Das Problem" auch spieltechnisch zu einem solchen. Den Enthusiasmus der Jungs in allen Ehren (der Leadgitarrist spielt sogar mit einer Handverletzung weiter) - aber hier ist noch deutlich Luft nach oben, auch wenn schon viele gute Ansätze zu erkennen sind und am Ende laute Zugabeforderungen ertönen, die allerdings nicht erfüllt werden, weil, wie der Bassist in einem der wenigen verständlichen Momente bereits angesagt hatte, die beiden Zugaben kurzerhand ohne Pause am Ende des Hauptsets angehängt worden sind.
Bei Inroad wird der Sound dann ziemlich gut, abgesehen von einem "Grundbrummen" auf der Bühne, das im Auditorium aber nicht weiter stört. "Die Band ist schon ganz hibbelig", hatte der Kassenwart dem eintreffenden Rezensenten verraten, und die Spannung entlädt sich denn auch prompt in einem äußerst energischen Gig; besonders Bassist Pudding springt wie von der Tarantel gestochen über die Bühne. Wie es sich für einen Abschiedsgig gehört, spielen sich Inroad kreuz und quer durch ihr Schaffen, das aus drei Alben besteht, und es fällt auf, daß sie im Laufe der Zeit immer sicherer geworden sind, was die Verschmelzung der verschiedensten Stilistika, die man sinnvoll mit der Core-Basis kombinieren kann, angeht. Aber auch wenn die Rap-Parts in einigen der älteren Songs bisweilen ein wenig bemüht wirken, so geht doch gerade von dieser Ungehobeltheit ein unverkennbarer Charme aus, und wenn man wie der Pulk von Leuten links neben dem Rezensenten offensichtlich in einer musikalisch prägenden Entwicklungsphase mit diesen Songs in Berührung gekommen ist, dann bricht sich gar unbändige Begeisterung Bahn. Mit "Der Baum und seine Wurzeln" haben sich Inroad auch an eine Art Halbballade herangewagt, die wirkungsvoll mit halbminütigem grindangehauchtem Gepolter wie "Lebendigkeit" kontrastiert. Des weiteren darf natürlich auch fleißig gehüpft werden, und der Moshpit vor der Bühne agiert sowieso ziemlich unkontrolliert. Das politische Bekenntnis gegen den latenten wie realen Rechtsradikalismus ist dem Quartett seit jeher ein großes Anliegen gewesen (ein wichtiges Thema gerade in der Nähe einer "national befreiten Zone", als die das 20 Kilometer weiter nördlich gelegene Wurzen mal gegolten hat), und Sänger Lunge (welch passendes Pseudonym) weist darauf auch nochmal explizit hin. Der Schalk sitzt ihm allerdings auch im Nacken: "Wer von euch war vor 14 Jahren beim ersten Gig in Naunhof am See schon dabei?" Es kommen einige Handzeichen. "Ihr seid ganz schön alte Säcke. Und wer sieht Inroad heute zum ersten Mal?" Es kommen wieder einige Handzeichen, darunter auch das des Rezensenten. "Ihr habt die Zukunft noch vor euch." Das haben die Inroad-Mitglieder auch; sie werden der Szene sicherlich in der einen oder anderen Form erhalten bleiben, und Gitarrist Hauni beispielsweise hat ein Projekt mit einem anderen Gitarristen namens Rico am Start, der dann auch bei einem Song als Gast auf der Bühne erscheint, wohingegen Ur-Drummer Uwe nicht anwesend zu sein scheint (bis auf den Drummerwechsel von Uwe zu Ulfo ist die Besetzung während der gesamten 16 Jahre im wesentlichen stabil geblieben). Nach elf Songs, deren letzter die melancholisch-angezähte Hymne "Im Schatten der Liebe" ist, verschwindet das Quartett von der Bühne, aber das kann es natürlich noch nicht gewesen sein, meint das feierfreudige Publikum, und Inroad packen dann auch noch fünf Zugaben überwiegend älteren Datums aus. Während des Gigs hat der Rezensent bereits geknobelt, ob Lunge, Hauni, Pudding und Ulfo "Roots Bloody Roots" oder doch "Killing In The Name" covern würden, und es stellt sich beim zweiten Zugabesong heraus, daß er im letzteren Fall zumindest in puncto Bandauswahl nicht falsch gelegen hat. "Satisfy" befriedigt kurz vor Ende der Geisterstunde zwar noch nicht die letzten Gelüste des Publikums (es ertönen weiterhin intensive Zugabeforderungen), aber es setzt trotzdem den musikalischen Grabstein für Inroad. "Irgendwie dachte ich, ich würde mich trauriger fühlen", meint Lunge in seiner letzten Ansage, aber gemäß den chinesischen Philosophen bringt die Trauer über die Vergangenheit für die Zukunft sowieso nichts, und so warten wir, was die neuen (oder auch nicht mehr ganz so neuen) Aktionsfelder der Inroad-Mitglieder in Zukunft an Aktivitäten entfalten werden. Und vielleicht gibt's zu irgendeiner besonderen Gelegenheit ja mal einen Reunion-Gig (machen andere ja auch :-)).

Setlist Inroad:
1. Hoffnung
2. Gegen die Ohnmacht
3. Stereotypen
4. Die Flamme brennt
5. Awake Again
6. Der Baum und seine Wurzeln
7. Und die Augen bleiben offen
8. Lebendigkeit
9. Reaktionen
10. Herzschlag
11. Im Schatten der Liebe
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1. No More
2. Sleep Now In The Fire
3. Faith
4. Awake
5. Satisfy



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