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Alcest, Lantlôs   12.09.2015   Leipzig, UT Connewitz
von ta

Wie lieb darf Black Metal sein, fragten wir uns, als Formationen wie Wolves In The Throne Room, Liturgy oder Deafhaven uns ihre frischen Ideen in die Lauscher pusteten. Mit einem Mal hieß es Seitan statt Satan, wurde der anstrengende Marsch durch das eisige Blashyrkh zum lauschigen Sonntagsspaziergang auf der Heide, ersetzte ein nachhaltiger Umgang mit der Welt die Zerstörung derselben. Hilflose Schubladisierungsversuche wie Cascadian Black Metal, Transcendental Black Metal, Post Black Metal oder Blackgaze überschwemmten den Feuilleton und die skandinavische Szene spuckte Gift und Galle, dass Black Metal nicht ins Wohnzimmer, geschweige denn die Proberäume von Gutmenschen gehöre.
Wir halten es in der Angelegenheit gelassener: Jeder nach seiner Fasson. Dennoch ist der Bruch unabhängig von Fragen der Bewertung offenkundig. Am äußersten Rand dessen, was noch sinnvoll als Wie-auch-immer-Black bezeichnet werden kann, bewegen sich von jeher Alcest aus dem schönen Avignon in der südfranzösischen Provence. Dasselbe Land, das mit Deathspell Omega eine der dissonantesten und ideologischsten orthodoxen Black-Metal-Bands hervorgebracht hat, ist auch die Heimat einer der verträumtesten Bands des Wie-auch-immer-Black.
Das Stichwort "Heimat" möchte ich als gewieften Übergang zu Lantlôs nutzen. Deren Name ist Programm, denn als Land- und Heimatloser versteht sich Markus "Herbst" Siegenhort, Gesicht und Stimme bei Lantlôs. Lantlôs sind das deutsche Spiegelbild von Alcest, mit einer ähnlichen Entwicklung aufwartend, ähnliche Themenfelder behandelnd, sich zeitweise auch personell überschneidend. Und so schwärmte Stéphane "Neige" Paut, Gesicht und Stimme bei Alcest, vor einigen Jahren im Interview mit dem Rock Hard davon, wie herrlich eine Tour mit Lantlôs doch wäre.
Zu der ist es nun, anno 2015, gekommen. Die Location am 12. September ist das UT Connewitz, einer der schönsten Clubs Leipzigs. Das alte Gemäuer, der zum Tor geformte Stuck an der Wand und die große Steinkuppel sind ein beeindruckendes Ambiente für jegliche Art von Konzert und ihrem Charme kann sich auch Alcest-Mainman Neige nicht entziehen, der zwischendurch bemerkt, dieses Konzert sei schon allein der Location wegen besonders.

Lantlôs
Aber da sind wir schon mittendrin im Geschehen. Der Abend beginnt um kurz nach 21 Uhr mit Lantlôs. Deren jüngste polycarbonateske Ausgeburt "Melting Sun" bietet atmosphärischen Breitwandsound, der sehr von Schichtung (drei Gitarren!), hintergründigen Melodien und elegischem Gesang lebt. "Azure Chimes", "Cherry Quartz" und "Jade Fields" geben heute am Stück gespielt einen Einblick in dieses Album und entwickeln live eine überraschend rockige Seite, die insbesondere durch den präsenteren Groove von Bass und Schlagzeug herrührt. Die sechsköpfige Band liefert dazu eine interessante und passende Performance, wagt auf der einen Seite kaum einen Blick ins Publikum, geht auf der anderen aber permanent mit dem Puls der Musik mit. Die technische Umsetzung der Stücke ist hervorragend und auch die zweistimmigen Passagen, die sich "Herbst" Siegenhort mit Gitarrist/Keyboarder Cedric Holler teilt, sitzen. Höhepunkt des Sets ist trotz der zweifellos vorhandenen Qualität des Neumaterials das kältere "Pulse/Surreal" von ".neon", bei dem sich die Band im Mittelteil geradezu in einen Rausch spielt. Das zahlenmäßig starke Publikum goutiert die gelungene Vorstellung neben lautem Jubel auch mit dem einen oder anderen entrückten Blick. Außer den zu erwartenden Metallern und Post-Rockern sind allerlei unauffällige Schattengestalten erschienen und für ein Metal-Konzert ungewohnt viele in Pärchen-Konstellation. Die Stimmung ist hervorragend und auch in den Pausen zwischen den Stücken herrscht ein kontinuierlicher Geräuschpegel.

Alcest
Das ist bei Alcest, die vom ersten Ton an gefeiert werden, nicht anders. Dieser Ton stammt aus "Opale" vom aktuellen Album "Shelter", mit dem Alcest nicht nur im Post Rock wildern, sondern sich dort zwischen Mogwai, My Bloody Valentine und Slowdive dauerhaft eingerichtet haben. Davon zeugen auch "Délivrance" und "L'eveil des muses" an späterer Stelle im Set, die mit eingängigen Melodien, akustischen Klimpereien und kompakter Bauart aufwarten und einen Black-Faktor von ungefähr minus zweihundert aufweisen. Stéphane "Neige" Paut blickt dazu aus traurigen großen Kulleraugen ins Auditorium und seinem Mund, in den das melancholische Lächeln eingemeißelt ist, entfleucht eine französelnde Botschaft der Zuneigung nach der anderen. Da kotzt der Fan im Marduk-Shirt zornig aufs Parkett. Doch der ist heute eh zuhause geblieben.
Ich selbst bin hin- und hergerissen. Mir sind die neuen Alcest auch live zu einschläfernd, aber dabei jede Sekunde glaubwürdig, und das gerade in der Live-Situation. Spätestens "Sur l'océan couleur de fer" an vorletzter Stelle des Sets zeigt, dass die neuen Alcest in den alten schon immer angelegt waren, ist ein achtminütiger Ruhepol nur aus sich sanft die Bälle zuspielenden Gitarren und zartem Gesang und stammt doch vom Debüt der Band. Die Performance lässt von den langen Matten abgesehen alle Metal-Klischees aus. Und am Ende kommt es gar zu der paradoxen Situation, dass gerade auf der Bühne die harte Seite von Alcest sich nicht glaubwürdig entfaltet. Das vielschichtige Epos "Làoùnaissent les couleurs nouvelles" von "Les Voyages de l'Âme", dem Höhepunkt in der Discographie von Alcest, wirkt trotz tadelloser technischer Umsetzung gebremst und unterkühlt, ebenso "Les Iris" vom selben Album.
Den Rezensenten abgezogen sieht das der Pulk vor der Bühne natürlich völlig anders, jubelt Alcest für eine Zugabe auf die Bühne zurück und wird mit "Autretemps" behäbig verabschiedet. Nach gut zweieinhalb Stunden trete ich in eine milde Spätsommernacht und stelle überrascht fest, dieses Konzert weniger entrückt zu verlassen, als ich es mir ausgemalt hatte. Am Ende des Tages sind Lantlôs und Alcest vielleicht doch Musik für den Kopfhörer. Aber ist das dann eigentlich noch black?



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