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Downfall Of Gaia, Implore   12.08.2015   Leipzig, Institut für Zukunft
von rls

Die erste Aufgabe für den Rezensenten an diesem Abend besteht darin, den Club zu finden - seit der Zeit Ende des letzten Jahrtausends, als er sich regelmäßig in der Deutschen Bücherei in Leipzig aufgehalten hat und auch die Umgebung wie seine Westentasche kannte, ist das Areal westlich von dieser massiv umgestaltet worden, sowohl bau- als auch verkehrstechnisch. Der Kohlrabizirkus, wie die große Markthalle scherzhaft genannt wird, ist aber noch da, und es stellt sich heraus, daß der mit dem seltsamen Namen Institut für Zukunft belegte Club, in dem sonst übrigens hauptsächlich technozide und andere eher elektronisch geprägte Veranstaltungen stattfinden (und wo es kostenlose Kondome an der Bar gibt ...), die nördlichen Kellerräume der Markhalle nutzt und sich ein bis zwei Stockwerke unter dem Umgebungsniveau befindet. Selbige Kellerräume sind teilweise gefliest, haben also möglicherweise als Lager für Frischware gedient, der Hauptraum ist zwei Stockwerke hoch, und zudem funktioniert die riesige Belüftungsanlage gut, so daß die Temperatur trotz seit anderthalb Wochen anhaltender Sommerhitze in den Räumlichkeiten richtiggehend als angenehm zu bezeichnen ist.
Als Einlaßzeit war 20 Uhr angegeben worden, eine konkrete Konzertstartzeit ist hingegen nirgendwo zu finden, aber der Rezensent liegt mit seiner Vermutung richtig, daß es keinesfalls vor 21 Uhr losgehen dürfte. Implore steigen letztlich gegen 21.45 Uhr auf die Bühne und lärmen los, was wörtlich zu verstehen ist: Aus den Boxen kommt eine Wand aus differenzierten Höhen, nämlich dem bellenden bis kreischenden Gesang, den wenigen höheren Gitarrenpassagen und dem höheren Teil des Schlagzeugs, und einer mehr oder weniger einheitlichen tiefen Wand, die, so schließt man anhand der Bandbesetzung, aus der Baßgitarre sowie den verbleibenden Teilen von Gitarren- und Schlagzeugsound bestehen muß. Einzelheiten erkennt man in ihr nicht, auch dann nicht, als der Soundmensch sie ein wenig leiser dreht und dadurch ihre fast physisch spürbare drückende Präsenz verlorengeht. Implore spielen offenbar eine Mixtur aus Black Metal, Crustcore und etwas Doom, soweit man das erahnen kann, und sie halten ihre Songs oftmals sehr knapp, wenn die Fragmente nicht zu größeren Songs gehört haben sollten, was dem Nichtkenner des konservierten Materials nicht zu ergründen möglich ist. Für eine Hamburger Band überraschen zudem die englischen Ansagen, zumindest so lange, bis man feststellt, daß der Sänger Argentinier ist. Das Merchandising atmet teilweise die Ästhetik von Bathory, und auch musikalisch haben diese offenbar einige Spuren bei Implore hinterlassen. Aber eine genauere Analyse verunmöglicht das beschriebene Klanggewand, und da die Variationsbreite des zu Hörenden, von den eingestreuten Doomparts abgesehen, im marginalen Bereich liegt, erlahmt trotz der kurzen Gigdauer das Interesse des Rezensenten schon vor dessen Ende.
Bei Downfall Of Gaia sind eine Gitarre und mehrere Mikrofone zusätzlich abzumischen, aber trotzdem erschallt hier ein viel differenzierteres Klangbild, das aber in den richtigen Momenten immer noch "wandartig" aus den Boxen kommt. Das Quartett läßt sich zwar problemlos in die Postrock-Schublade stopfen, besetzt dort aber eine eigene Nische, indem man ihm seine Crust-Wurzeln noch deutlich anhört (auch nach dem zweiten Drummerwechsel noch) und die Band zudem eine sehr eigene, schroffe Vorstellung von Dynamik an den Tag legt, indem es die Wechsel ins schnelle Crustgeknüppel oftmals gar nicht erst vorbereitet, sondern den Hörer damit förmlich überfährt. Insgesamt dominiert allerdings die große epische Breite, häufig im Doomtempo ausgewalzt, allerdings für Sludge-Verhältnisse mit einer auffälligen Harmonik, die man eher im klassischen Doom bzw. Epic Metal suchen würde, ausgestattet. Die urlangen Songs, die von den beiden mit ebenso urlangen Titeln ausgestatteten Metal-Blade-Alben stammen, bleiben über weiteste Strecken spannend, obwohl oder vielleicht auch weil alle Gesangsmikrofone so weit in den Hintergrund gemischt worden sind, daß man den Gesang nicht nur nicht versteht, sondern ihn als irgendwie über dem instrumentellen Untergrund schwebend ansieht. Publikumskommunikation findet gleichfalls nur äußerst sparsam statt, zumal die Band zwischen fast allen Songs eines der Saiteninstrumente weiterspielen läßt, so daß quasi der gesamte Gig als ein einziges großes Ganzes zu interpretieren ist, wozu auch die Herangehensweise paßt, nach dem Setcloser noch Instrumente nachdröhnen zu lassen, bis der Schlußapplaus verklungen ist und nach Bühnengeräuschende nur noch so spärlich wieder aufflammt, daß keine Zugabe mehr eingefordert wird. Das Publikum weiß den kurz vor Mitternacht endenden Gig trotz alledem sehr zu schätzen, und die Band ist ähnlich wie Implore glücklich, daß an einem Mittwoch bei den herrschenden Wetterverhältnissen, bei denen man mit einer schönen Frau eher am Ufer eines Baggersees übernachten als auf Clubkonzerte gehen sollte, so viele Besucher erschienen sind (und die Frauenquote liegt, angefangen bei dem niedlichen dunkelhaarigen Wesen an der Abendkasse, in der Tat auffällig hoch). Kuriosum am Rande: Daß ein Gig nicht beginnen kann, weil das Saallicht nicht auszuschalten (!) geht, hat der Rezensent in den über 20 Jahren, die er jetzt auf Rockkonzerte geht, noch nicht erlebt ...



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