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8. Sinfoniekonzert   16.04.2015   Chemnitz, Stadthalle
von rls

Vor allem (aber nicht nur!) die späten Sinfonien von Gustav Mahler bilden aufgrund des benötigten großen Orchesterapparates eine strukturelle Herausforderung für viele vom Stellenabbau geplagte oder bedrohte Orchester. Auch die Robert-Schumann-Philharmonie Chemnitz agiert diesbezüglich keineswegs im sorgenfreien Raum - aber deswegen auf die Werke des wohl bedeutendsten Sinfonikers der beiden um den Wechsel vom 19. zum 20. Jahrhundert gelegenen Jahrzehnte verzichten? Nein, das kommt nicht in Frage, und so stemmt man in gewissen Abständen doch ein solches Großwerk, am betreffenden Abend und demjenigen zuvor nun die Siebente Sinfonie, allerdings nicht mit Stammdirigent Frank Beermann am Pult, sondern mit Gast Christoph Gedschold, dessen aktuelles Tätigkeitsfeld das Staatstheater Karlsruhe ist - heißt praktisch: Er wirkt als Operndirigent, wie Mahler weiland im Hauptjob auch. Die Siebente ist allerdings eine der gesangslosen Sinfonien Mahlers, und so kann sich Gedschold ganz auf die instrumentale Formbildung konzentrieren. Im ersten Satz spielen ihm einige Blechholperer (so gleich das Tenorhorn am Anfang) dabei Streiche, auch nicht jede Tempoverschärfung kommt bei allen Musikern so aus dem Ärmel, wie es der Dirigent gerne hätte - aber es gelingt viel, etwa die scheinbare Harmlosigkeit der einleitenden Schichtungen, in der nur die große Trommel schon späteres Unheil erahnen läßt, das gnadenlose Niedermähen eines schwärmerisch-entspannten Trugbildes, eine ins Nichts gehende Steigerung oder ultrafinsteres Gegrolle. Freilich hat Gedschold mit den Tücken der Saalakustik zu kämpfen und kennt diese möglicherweise nicht in jedem Detail: Die Bühnen- und Saalform zieht den Klang sehr in die Breite, nimmt ihm viel Wucht, und so bleibt gerade in diesem ersten Satz so manches ein wenig arg unverbindlich, gerät zu eher harmlosem Geplänkel, wenngleich andererseits die besagte Form natürlich auch die Transparenz begünstigt. Freilich hätte man vermutlich auch so die Piccoloflöte im Satzfinale herausgehört und sie als extrem vorschmeckend empfunden ...
"Nachtmusik" hat Mahler den zweiten und den vierten Satz überschrieben - natürlich nicht als Reminiszenz an Mozart, dem ein derartiges Duell oder Duett aus Solohorn und Fernblech, das in ein Vogelkonzert übergeht, wohl kaum in dieser Form eingefallen wäre. Gedschold versucht hier so gut wie möglich zwischen Idylle und deren (Zer-)Störung zu lavieren; eine Hauptlinie findet er nicht, aber Mahler hat ja auch keine vorgezeichnet, so daß der Satz im wesentlichen von Einzelleistungen lebt. Und da lassen sich die Chemnitzer nicht lumpen: Aus dem Solohorn kommt in der Wiederholung richtig Entrückendes, der Harfensoloeinwurf steht dem in nichts nach, und die Nacht wird somit durchaus kurzweilig.
Das Scherzo wollte Mahler "in den Anfangstakten noch etwas zögernd" haben - ein Wunsch, den ihm Gedschold auch erfüllt, aber der ihn natürlich nicht daran hindert, die Tanzgrooves schon zu Beginn maßgeschneidert einzupassen. Mit etwaiger Gemütlichkeit hat das natürlich nichts zu tun, auch mit ihrer krachledernen Variante nicht - der Satz ist noch stärker fragmentiert als der Rest der Sinfonie, er soll ja auch "schattenhaft" wirken, wie es der Komponist wünschte. Und abermals erfüllen Gedschold und seine Musiker ihm diesen Wunsch.
Im zweiten Nachtstück bleibt die Idylle lange erhalten, aber auch hier findet sich eine gelegentliche Einmischung anderer Ebenen, die zu einer fast unmerklichen schrittweisen Verdüsterung führt, welche freilich nicht von Dauer ist. Trotzdem bleiben atmosphärische Störungen, und die arbeitet Gedschold sehr deutlich heraus, bisweilen fast ein wenig überdeutlich. Bis das Ohr die Mandoline und die Gitarre wahrnehmen kann, vergeht trotz des erwähnten transparenten Klangbildes ein wenig Zeit, aber diese beiden im Sinfonieorchesterkontext eher exotischen Zutaten entfalten ihre Wirkung dann schrittweise doch noch, und gerade die Mandoline sorgt an diesem Abend phasenweise für eine betörende, aber ohne Gondolieri-Pathos auskommende Stimmung, die Gedschold ebenso fein herausarbeitet wie die erwähnten Störelemente.
Über den Finalsatz streiten sich die Musikgelehrten noch heute: Wie ernst hat Mahler diese weder in die Sinfonie noch überhaupt in sein Werk passende Zuckerstange gemeint? Gedschold entscheidet sich für eine Deutung, die ihn als pure Ironie sieht. Man höre: Schon in der Einleitung stören die Pauken den Monumentalcharakter eher, als daß sie ihn fördern, das folgende Konglomerat von Süßigkeiten nascht der Dirigent genußvoll aus, bis die Tüte leer ist, das Schicksal schlendert fröhlich vorbei, und irgendwie fühlt man sich bisweilen ans Finale von Schostakowitschs 5. Sinfonie erinnert, wenngleich die Ausgangslage dort eine völlig andere war und hier bei Mahler vom "erzwungenen Jubel" Schostakowitschs natürlich überhaupt nichts zu bemerken ist. Freilich, atmosphärische Störungen gibt es auch hier, aber nicht mal der große Gong verkündet Unheil oder auch nur sonstiges Wichtiges, und wenn die Glocken eine Dramatisierung andeuten, geht das Ganze gleich wieder in einen simplen radetzkymarschähnlichen Part über und spottet damit jeglichen Grundsätzen der Dramatikentwicklung. Das Grinsen des Publikums wird immer breiter und breiter, und spätestens als die Herdenglocken einsetzen und die Schafherde anspielungstechnisch die Meistersinger-Wiese kahlfrißt, ist klar, daß Mahler das aussagetechnisch nicht ernst gemeint haben kann. Ernstzunehmende Musik ist es aber natürlich trotzdem, und obwohl Gedschold wieder keinerlei Wucht in den Schluß bringt (das dürfte nicht an der ironischen Sichtweise, sondern wieder an den beschriebenen saalakustischen Gegebenheiten gelegen haben), so kann er sich samt seinen Musikern für diesen Satz (und das Gros der anderen) nach dem Schlußwitz eine ausgezeichnete Leistung gutschreiben lassen, die mit etlichen Bravi und viel Applaus belohnt wird.



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