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Die Prinzen   22.03.2015   Gera, Theater
von rls

"Die gibt's noch?" fragt mich ein Freund, bei dem ich am Nachmittag vor dem Konzert vorbeischaue. Ja, Die Prinzen gibt's noch, auch wenn sie sich auf dem Tonträgermarkt rar gemacht haben - das aktuellste Studioalbum stammt immerhin bereits aus dem Jahr 2008, aber dieser Zustand soll sich wohl noch 2015 wieder ändern, ist eine der Erkenntnisse dieses Konzertabends. Untätig war das Sangesquintett plus Rhythmusgruppe in den letzten sieben Jahren natürlich nicht, und zudem beweist man immer wieder ein Gespür für ungewöhnliche Auftrittsorte. Eine Kirchentour liegt bereits hinter der Formation, und nun bricht man zu einer Tour durch die Theater der Republik auf und macht als siebente Station in Gera halt, wo der Konzertsaal des Theaters im Gegensatz zum Großen Saal des Altenburger Theaters, der sechs Tage zuvor auf dem Tourplan gestanden hatte, nicht ganz ausverkauft, aber doch sehr anständig gefüllt ist.
Das Spieluhr-Intro geht in "Der Mond ist aufgegangen" über, aber einen klassischen Set gibt es natürlich nicht, sondern statt dessen einen mit Klassikern im Sinne von Bandklassikern gespickten, und der Weg zu "Mann im Mond" ist dementsprechend auch nicht weit. Am Ende der zweieinhalb Stunden Bruttospielzeit wird man feststellen, daß das halbe Debütalbum "Das Leben ist grausam" im Set gestanden hat und das Gros des Materials aus dem letzten Jahrtausend stammt. Klar, auch Die Prinzen leben von ihrer Vergangenheit (es geht weiter mit "Mein Fahrrad" und "Alles mit'm Mund"), aber auch auf jüngeren Alben finden sich hochinteressante Stücke wie das klavieruntersetzte "Angst, daß du gehst" (die Lapidarität einer Passage wie "einfach so" derart gekonnt hinzubekommen ist irre schwer) oder das von Jens Sembdner leadvokalisierte "Wo bin ich" mit seinem schicksalsschwangeren Gongschlag zu Beginn und seinem leichten Artrock-Touch, und auch hier spendet das Publikum viel Applaus, wenngleich die Mitsingaktivitäten natürlich geringere Ausmaße annehmen wie etwa bei "Schwein sein", das mit schrägen Synthieklängen Marke Farfisa-Heimorgel einen speziellen Farbtupfer in den a-cappella-geprägten, aber dieses Konzept nicht sklavisch behandelnden Pop einbringt. "Kein Gefühl" überrascht mit leichtem Reggae-Touch, "Bombe" macht viel Druck, hätte aber mit einer etwas dominanter abgemischten Gitarre seine Wirkung noch verstärkt, und zu "Wir sind überall" kommen die Bandmitglieder in Anzügen mit Reflektoren auf die nur punktuell ausgeleuchtete Bühne, was einen enorm psychedelischen optischen Effekt erzeugt, der perfekt zum ebensolchen musikalischen paßt, unterstützt durch ein zumindest am Sitzplatz des Rezensenten im Parkett perfekt abgemischtes Klanggewand - auf den Rängen soll es im bühnennahen Bereich allerdings auch Bereiche gegeben haben, in denen man außer Ali Ziemes Drums wenig andere Komponenten hörte.
Nach der Pause ertönt die Spieluhr erneut, geht diesmal aber in ein spaciges Intro über, aus dem sich "Ich will dich haben" entwickelt, das Multiinstrumentalist Wolfgang Lenk abermals an der Gitarre sieht. Über "Süleyman" erreicht der Set die Bandmitgliedervorstellung, in der sich mit dem Hinweis, Sembdner sei "noch nicht richtig integriert" (er war als einziger der Sänger kein Thomaner, sondern Kruzianer, und außerdem ist sein Wiedereinstieg 1990 der bisher letzte Besetzungswechsel der Sängerriege gewesen, er somit das jüngste Bandmitglied, wenn man die erst später dazugestoßene Rhythmusgruppe nicht mit betrachtet), ein verdeckter Seitenhieb gegen die Pegida-Umtriebe findet. Die Prinzen sind für ihr politisches Engagement bekannt, und bis dahin richtet dieses auch keinen Schaden im Set an. Der geht zunächst mit der Fortsetzung der Debütstory von "Gabi und Klaus" weiter und erreicht dann "Er steht im Regen", einen exzellenten melancholischen Track, bei dem das Publikum noch nicht mitsingen kann - er ist noch unkonserviert und wird sich erst auf dem neuen Album befinden, macht aber durchaus Appetit auf dieses. Was allerdings danach passiert, ist umso unerklärlicher: Das bis dahin starke Konzert kippt völlig um. Es folgen nämlich etliche der politisch angehauchten Tracks, und darunter finden sich auch etliche, die eher in die Kategorie "gut gemeint" fallen oder aber richtig gute und eben gut gemeinte Aussagen zu einem völlig ungenießbaren Ganzen verquicken, wie etwa "Das alles ist Deutschland". Außerdem meint die Band plötzlich, sich für jeden Homosexuellenwitz entschuldigen zu müssen, und ebenso plötzlich fällt ein Problem viel stärker ins Gewicht, das man schon in "Mein Fahrrad" bemerkt, aber ihm noch wenig Bedeutung beigemessen hatte: Sebastian Krumbiegel ist entweder temporär nicht gut bei Stimme - oder er hat generell so abgebaut, daß er viele Passagen, die ihn früher nur ein Lächeln gekostet hätten (Paradebeispiel: der Refrain von "Küssen verboten"), nur noch mit viel Mühe oder gar nicht mehr bewältigt. Etliches ist schon tiefer gelegt worden, aber wie er sich an diesem Abend an vielen Stellen nach oben kämpft, das erzeugt ein gewisses unangenehmes Gefühl, vor allem dann, wenn der Gesang auch noch so affektüberladen daherkommt wie bereits in "Mein Fahrrad". Komischerweise fällt das im Publikum niemandem auf, oder man ignoriert es und singt dafür selber lauter (und nicht immer melodiekorrekt, wie der Rezensent in seiner Umgebung leidvoll feststellen muß) mit, was im Falle von "Millionär" zu einem durchaus beeindruckenden Publikumschor führt. Eine ähnlich beeindruckende Wirkung des regulären Setclosers "Alles nur geklaut" verhindert der Soundmensch, der die Anlage kurioserweise herunter- statt aufdreht, so daß anstatt der krachenden Rockversion, die man kennt und liebt, nur ein laues und zudem klangmulmiges Lüftchen von der Bühne kommt. Damit hat die Band aber auch ihr Hitpulver verschossen, die drei Zugabensongs zählen alle nur zur zweiten oder dritten Reihe, und es fällt mal wieder auf, daß Vicki Vomit die Grundidee von "Vergammelte Speisen" Jahre später in "Still gammelt der Joghurt" viel treffsicherer umgesetzt hat. Mit dem wenigstens wieder geringfügig klarer abgemischten "Ich will nur dich" endet ein äußerst zwiespältiges Konzert, dessen viele starke Momente von einem tiefen Absturz überschattet werden.



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