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Elias   23.01.2015   Leipzig, Hochschule für Musik und Theater
von rls

Zwei große Oratorien hat der Namensgeber der Leipziger Musikhochschule, Felix Mendelssohn Bartholdy, geschrieben, bevor er über der Komposition des dritten, "Christus" betitelten im Alter von nur 38 Jahren starb. Am besagten und dem folgenden Abend steht das zweite, nämlich "Elias", auf dem Hochschulprogramm und sorgt für extrem großes Publikumsinteresse: Beide Abende sind restlos ausverkauft, und viele Interessenten müssen unverrichteterdinge wieder nach Hause gehen.
Nun stellt ein solches Großwerk aber durchaus einige Anforderungen: Man braucht allein sangesseitig vier Hauptsolisten, zwei Nebensolisten, acht weitere Solisten und einen vernünftigen Chor in relativ großer Personalstärke. An der Hochschule bzw. in ihrem Umfeld wird man allerdings problemlos fündig, sogar so problemlos, daß außer Altistin Henriette Reinhold, die beide Abende singt, alle Hauptrollen doppelt besetzt werden können. Auch der Dirigent wechselt - das hat zwar in den Hochschulkonzerten Tradition, aber nicht in dieser Form: Am ersten Abend steht Matthias Foremny am Pult, der das Hochschulorchester üblicherweise leitet, am zweiten Abend aber kein Dirigierstudent wie sonst meistens, sondern Universitätsmusikdirektor David Timm. Der Rezensent ist am ersten Abend anwesend und erlebt zunächst einen nervösen Orchesterbeginn, aber die Aufregung beginnt sich bald zu legen. Auch Bassist Steven Klose als Elias muß seine Linie erst finden; den Eröffnungsfluch "So wahr der Herr, der Gott Israels lebet" nimmt er zwar deutlich, aber nicht zu niederschmetternd, obwohl gerade das die Basis für das komplette weitere Geschehen bildet. Der Chor (das Programmheft weist ihn als Erweiterten Hochschulkammerchor aus) beweist schon in seinen ersten Einsätzen, daß man eine gewisse massive Wirkung von ihm erwarten kann - wird er allerdings in Einzelstimmen zerlegt, läßt seine Durchsetzungsfähigkeit gegenüber dem Orchester bisweilen etwas zu wünschen übrig. Dafür entschädigt der hervorragende Stimmzusammenklang von Henriette Reinhold und Sopranistin Menna Davies in Nr. 2 bei "Zion streckt", und Reinhold entwickelt sich auch in der Folgezeit zu einem Haupttrumpf der Aufführung (eine schöne Stimme, hohe Textverständlichkeit und auch in tieferen Lagen noch genügend durchsetzungsfähig - und was für ein Gefühl in "Weh ihnen, daß sie von mir weichen!"), während Davies ebenfalls richtig schöne Klanglinien hinbekommt, aber einen Deut textlastiger agieren könnte und in einigen Höhenlagen Treffsicherheitsprobleme offenbart. Tenor Patrick Grahl schafft ähnliche Balancekunststücke wie Reinhold, und wenn man Steven Klose einige Ausflüge ins sächsische Idiom verzeiht, kann man sich auch mit seinem Elias-Baß anfreunden, zumal auch er sich erfreulich deutlich artikuliert und an den richtigen Stellen auch durchaus angemessene Bösartigkeit an den Tag legt (ein Musterbeispiel für interreligiöse Toleranz ist das Oratorium bekanntlich nicht, trotz seines neutestamentarischen Appendix), wenngleich er gerade dann, wenn er den Herrn mit einem Hammer die Felsen zerschlagen läßt, erstaunlich blaß bleibt, dafür aber die Vernichtung der Baalspriester zuvor mit Nachdruck angeordnet hat. Nicht überzeugen kann das Sangesoktett links außen, das in verschiedenen Besetzungen die markantesten Einzelnummern wie "Denn er hat seinen Engeln befohlen" oder "Wirf dein Anliegen auf den Herrn" zu bestreiten hat, aber viel zu dünn und distanziert agiert und, anstatt die wohl angestrebte ätherische Wirkung zu erzielen, selbst von einem weit zurückgenommenen Orchester noch überdeckt wird. Selbiges weiß, was die bisweilen geforderte instrumentale Lautmalerei (Elias' Wiederkehr, Niederschlag ...) angeht, durchaus zu überzeugen, während der Chor zwar recht viel Dramatik in den Streit mit den Baalspriestern legt, aber auch noch reichlich Reserven erahnen läßt.
Akt 2 beginnt mit Davies' Arie "Höre, Israel, höre des Herrn Stimme!", in der die Sopranistin die Höhenlagen deutlich besser unter Kontrolle hat, während der Chor in "Fürchte dich nicht, spricht unser Gott" das Kunststück fertigbringt, große Bögen mit fast groovigen Passagen zu koppeln. Das Bedrohungspotential, das er in "Er muß sterben!" abzurufen hat, bleibt allerdings abermals auf noch relativ übersichtlichem Niveau, wenngleich die Gewaltandrohung schon virulenter wirkt als vergleichbare Passagen im ersten Akt. Dafür entschädigt ein enorm plastisches "Es ist genug" von Klose-Elias samt eines guten Cellosolos, wenngleich letzteres eher süßlich-düster als richtig finster ausfällt (da ist man heutzutage anderes gewohnt). Markante Passagen in diesem zweiten Akt gehören wiederum Mitgliedern des Sangesoktetts links außen, aber sowohl das Engelsterzett als auch das Seraphimquartett brauchen jeweils Anlaufzeit, bevor sie sich jeweils endlich auf das überirdische Niveau hinaufschwingen können, das an dieser Stelle so nötig ist wie selten sonst. Und an den Grundeinschätzungen ändert sich bis zum Schluß nichts mehr. Foremny leitet souverän und verfällt in nicht zu schleppende Tempi (gerade der zweite Akt kann sich im negativen Fall auch wie Kaugummi ziehen), aber selbst in den großen Schlußchorpassagen wird man das Gefühl nicht los, hier wäre noch mehr gegangen (und mehr ist ja manchmal wirklich mehr), wenngleich gerade der Chor "Aber einer erwacht vor Mitternacht" aufgrund seines Kontrastes zum direkt vorgelagerten Material bombastischer wirkt, als er eigentlich ist. Aber auch in dieser Form weiß die Aufführung überwiegend zu überzeugen und sorgt auch beim Publikum für sehr positive Reaktionen.



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