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Schon wieder Weihnachten   20.12.2014   Leipzig, Hochschule für Musik und Theater
von rls

Den titelgebenden Stoßseufzer dürfte wohl manch einer im Dezember 2014 wie auch schon in den Dezembermonaten der Jahre zuvor bereits des öfteren ausgestoßen haben: Irgendwie weiß ja eigentlich jeder, daß am 24.12. Heiligabend ist - und doch stellt man das erst wenige Tage zuvor mit mehr oder weniger großem Schrecken fest. Anno 2014 gewinnt diese Deutung noch dahingehend Auftrieb, daß zumindest außerhalb der Hochgebirge eine verschneite Landschaft, wie man sie gemeinhin mit Weihnachten assoziiert, in den Tagen vor dem 24.12. komplett abwesend ist und statt dessen bisweilen zweistellige Plusgrade herrschen. Man kann den Titel aber freilich auch anders interpretieren, indem man den Unterton nach vorne stellt und damit der Handlung dieser Weihnachtsrevue an der Leipziger Hochschule für Musik und Theater, die 2013 zwei ausverkaufte Vorstellungen erlebt hat, daher 2014 erneut aufs Programm gesetzt wurde und abermals zwei ausverkaufte Vorstellungen erlebte, schon ziemlich nahe kommt: Familie Lorz durchleidet alle möglichen organisatorischen wie strukturellen Katastrophen, die man Weihnachten so erleben kann, aber am Ende geht dann doch alles wieder gut aus. So banal, wie sich diese Beschreibung liest, so banal ist das Ganze letztlich auch - aber genau das hatte Regisseur Frank Leo Schröder wohl auch im Sinn und nicht etwa eine der weiteren Optionen, die der Plot noch so hätte bieten können (vom Bauerntheater bis zur Dystopie, inszenierbar in allen möglichen Intensitäts- und Tiefgangsstufen). Kurz zusammengefaßt können sich diverse Familienmitglieder scheinbar nachhaltig nicht leiden, Ehepaar Lorz macht sich selber mit einer kuriosen Mixtur aus Geiz und Pantoffelheldentum das Leben schwer, die älteste Tochter Elena und ihr schwerreicher Gatte Thorben kämpfen mit einer Mixtur aus Eifersucht und Spieltrieb, die mittlere Tochter Amelie hat aus einem Entwicklungshilfeprojekt in Bolivien nicht nur ihren neuen Freund Rogelio mitgebracht, sondern ist von diesem auch noch schwanger, die jüngste Tochter Emilia steckt mit 14 mitten in der Pubertät und interessiert sich im wesentlichen für ihr Smartphone, und dann ist da noch die einsame Irina Kurotschkina, die von der Kirchgemeinde als Weihnachtsgast der Familie "zugeordnet" worden ist, was im Vorweihnachtsstreß aber in Vergessenheit geraten war. Diese Figuren agieren schauspielerisch, aber man wird das Gefühl nicht los, daß die Handlung im wesentlichen dazu dient, die Beteiligten nicht am Stück singen und die Revue somit nicht zum reinen Konzert werden zu lassen. Denn so richtig nimmt das Geschehen im ersten Teil nicht Fahrt auf, und als man sich nach den ersten drei Nummern im zweiten Akt über eine große dramatische Zuspitzung freut, fällt der Spannungsbogen mit einer sehr frühen und simplen Auflösung (Emilia stellt anhand einer Smartphonenachricht fest, daß es schneit, und plötzlich haben sich alle wieder oder auch erstmals lieb) auch schon wieder ab. Zum Glück besitzen viele der einzelnen Gesangsnummern genügend Drive und auch Humorpotential, um der Revue einen hohen Unterhaltungswert zu sichern. Zwar war bei der Besetzung offenbar nicht als Kriterium ausgegeben worden, daß jede Person auch ihrer Rolle gemäß singen kann (sonst hätte Carolin Jahns mit ihrer recht voluminösen Altstimme nie die 14jährige Tochter werden dürfen, in die man sie optisch allerdings gekonnt verwandelt hat), aber blendet man diesen Aspekt aus, so machen alle Sänger ihre Sache mindestens gut, wobei erstaunlicherweise die besten Qualitäten zutagetreten, als sie unmittelbar vor der Pause a cappella einen astreinen "Stille Nacht"-Satz intonieren. Freilich bedeutet das nicht, daß die Bigband der Hochschule, die in der hinteren Bühnenhälfte agiert, nur zum Stützen und "Zudecken" der Sänger da sei: Rolf von Nordenskjöld und seine Studentinnen und Studenten leisten gute Arbeit, setzen auch eigene Akzente und bringen selbst gewagteste Arrangements, etwa die mollglühende Jazzversion von "Es ist ein Ros entsprungen" (mit besagter Carolin Jahns am Leadgesang), gekonnt über die Bühne, wobei sich Nordenskjöld auch manchen Spaß gönnt, etwa wenn er mal eben das Thema von "Ihr Kinderlein kommet" in andere Songs einflechten läßt. Die Moderation der Revue übernehmen Berivan Kernich als Barry White und Fabian Bothe als Coco, und auch diese beiden haben im zweiten Teil noch zwei Gesangsnummern zu bestreiten, wobei sich Kernich in "I'm Dreaming Of A White Christmas" auch als brauchbare Rapperin erweist, während Bothe an selbiger Stelle etwas angestrengt wirkt. Hier und im folgenden "Sleigh Ride", einer auch darstellerisch gekonnt umgesetzten Dreiernummer aus Oma Anna und den beiden älteren Töchtern, ist dann auch die Publikumsstimmung am Kochen, während mancher vielleicht noch den Optionen hinterhertrauert, die Opa Horsts Version von "Jingle Bells" ermöglicht hätte: Er singt eine deutsch betextete Variante und preist das Lied dem "Indianer" Rogelio als deutsches Weihnachtslied an - aber dabei bleibt es dann auch. Auch aus anderen Elementen der Konstellation hätte man noch mehr herausholen können - interessanterweise ist Irina (von Barry übrigens irrtümlich als Kirgisin angekündigt, obwohl sie rein russische Namen trägt und Emilia später auch korrekterweise fragt, ob sie eine Mail nach Rußland schicken will) anfangs die einzige, die sich mit Amelie über deren Schwangerschaft freut, was eine sehr genaue Beobachtungsgabe von Texter Schröder offenbart, aber als Konfliktpunkt ebenfalls im Ansatz steckenbleibt. So bleibt eine vergnügliche, aber nicht weltbewegende Revue (letztgenanntes wollte sie ganz offenkundig ja auch nicht sein), in deren Finale sich wilde Orgelklänge mischen und das Publikum noch zum kollektiven Singen von "O du fröhliche" animiert wird, übrigens mit "Nummerngirl"-Textunterstützung für alle, die die ersten beiden Strophen nicht auswendig beherrschen (die dritte wird kurzerhand weggelassen). Die nicht erlahmen wollende Publikumsbegeisterung führt dann schließlich zur Wiederholung von "Sleigh Ride" als Zugabe, und dann machen sich die gut unterhaltenen Zuschauer auf den Weg in den wettermäßig so ganz und gar unweihnachtlichen Abend.



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