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Carmina Burana   18.07.2014   Altenburg, Markt
von rls

Open-Air-Sommerkonzerte sind als Saisonabschluß bei vielen Klangkörpern sehr beliebt, und auch Theater & Philharmonie Thüringen stellen anno 2014 ein solches auf die Beine: Sie intonieren Carl Orffs mit Abstand bekanntestes Werk, die szenische Kantate "Carmina Burana". Nun beschränkt sich diese Bekanntheit allerdings im wesentlichen auf die ersten vier Minuten des Werkes, also das Stück "O Fortuna!", dem freilich noch reichlich 60 weitere Minuten folgen, ehe seine Wiederkehr den Rahmen um das Gesamtwerk schließt. Von daher war die Frage spannend, auf welches Interesse die Gera-Altenburger mit diesem Werk stoßen würden. Sie konnte schon einige Wochen vor den Konzerten zumindest partiell positiv beantwortet werden: Die zunächst maximal verkaufbare Ticketanzahl, die den Plätzen im Ausweichspielort für Schlechtwetterfälle, dem Altenburger Theater entspricht, war für die erste der beiden Altenburger Aufführungen (eine Woche zuvor hatte es deren zwei in Gera gegeben), die der Rezensent miterlebte, schnell erreicht gewesen, und da sich angesichts eines wunderbaren Sommerabends auch noch einige weitere Menschen zum spontanen Besuch entschlossen, war der altehrwürdige Altenburger Markt zu Füßen des dieses Jahr sein 450jähriges Jubiläum feiernden Rathauses sehr gut gefüllt.
Pünktlich nach den 9-Uhr-Glockenschlägen von diversen Altenburger Türmen geht es los. Das Konzert wird abgenommen und verstärkt; der Rezensent befindet sich in unmittelbarer Nähe des Mischpultes und erlebt von dort aus einen durchaus ausgewogenen Klang, während ganz hinten naturgemäß die Energie der Bombastparts etwas verloren geht (obwohl der schlauchförmige Markt noch recht gute Bedingungen bietet, um den Sound nicht in die Breite diffundieren zu lassen). Die anfänglich noch ein wenig breiige Abmischung dieser Bombastparts weicht schnell einem ziemlich klaren Klanggewand, das die Wahrnehmung einer großen Detailfülle ermöglicht, und nur beim Einmischen neu einsetzender Gesangsparts haben die Techniker bisweilen Schwierigkeiten, so etwa beim Baritonsolisten Johannes Beck in Track 4 "Omnia sol temperat" oder dem Chor im folgenden "Ecce gratum", wo es anfangs zu starken Abweichungen entweder in den Laut- oder in den Leise-Bereich kommt, bevor die Einpegelung richtig sitzt. Dieses Problem verliert sich im weiteren Verlauf des Stückes aber ebenfalls schnell und taucht nur gegen Ende nochmals in merklicher Form auf.
Auf der Bühne hat ein ziemlich vielschichtiges Ensemble Platz genommen, was die gesangliche Zusammensetzung angeht (das Philharmonische Orchester Altenburg-Gera dagegen arbeitet ungeteilt, wenngleich aber auch mit einigen seltenen Zutaten wie einem Klavier, das einige der 25 Nummern auch stark prägt). Der Opernchor von Theater & Philharmonie Thüringen koaliert mit dem Philharmonischen Chor Gera, im dritten Großkomplex des Werkes kommt auch noch der Kinderchor des Theaters hinzu, und schließlich gibt es drei Gesangssolisten. Der Kinderchor singt so solide, wie man das von einem Kinderchor auf lateinische Texte erwarten kann, die Erwachsenenchöre leiden bisweilen unter der grassierenden Krankheit des Männerstimmenmangels, wobei die Tenöre hier alles geben (mit allen Vor- und Nachteilen, die das hat), aber das Baßfundament insgesamt etwas dünn ausfällt, was allerdings auch an der Abmischung liegen könnte. Die Chordamen müssen sich hier und da hörbar quälen, etwa in den Höhenlagen von "Floret silva nobilis", aber auch die Tenöre plagt Orff bisweilen mit Arbeit an der Grenze ihrer höhentechnischen Leistungsfähigkeit, etwa im vierteiligen "Reie" mit seinen äußerst eleganten Orchesterpassagen. Überhaupt weiß das Orchester über weite Strecken zu überzeugen, einerseits mit Vielfarbigkeit, andererseits aber auch mit Treffsicherheit, die nur hier und da, etwa in den Klangflächen von "Chramer, gip die varwe mir", einige Holperer aufweist. Zu was die Beteiligten in der Lage sind, beweist "In taberna quando sumus" am Ende des zweiten Großkomplexes, wo Männerchor und Orchester durch schwierige Tempowechsel hetzen und diese rasante Kurvenfahrt locker und leicht bewältigen.
Daran hat natürlich auch Laurent Wagner seinen Anteil: Der mittlerweile auch nicht mehr ganz so neue Generalmusikdirektor des Theaters hat die Aufführung gut im Griff und kann es sich auch erlauben, gegebenenfalls ordentlich Tempo zu machen, ohne daß seine Musiker ins Schwimmen geraten oder etwa überhastete Wirkungen entstehen. Daß er insgesamt nur 65 Minuten für das Stück braucht, bildet nur das äußere Anzeichen für diesen Fakt, aber Wagner nimmt im richtigen Moment Tempo heraus, etwa in "Veris leta facies" an Position 3, das dadurch erstaunlich düster daherkommt und interessante Wirkungen zeitigt, allerdings auch noch ein wenig an Spielsicherheit hätte zulegen können (gerade das Holz wackelt hier noch etwas). Das hohe Niveau nicht halten kann Tenor Erik Slik, der mit seiner Soloaufgabe als gebratener Schwan in Track 12 hörbar überfordert ist und besonders in den Höhen extrem angestrengt wirkt (falls das ein Gestaltungsmittel gewesen sein sollte, hätte er dieses perfekt angewendet, nur halt nicht zum Hörgenuß beitragend). Bariton Johannes Beck stürzt den Hörer in ein Wechselbad der Gefühle: Gerade hat man sich über seine angenehm weiche Stimme in "Omnia sol temperat" gefreut, da beginnt diese zu wackeln. Das extreme Vibrato in "Ego sum abbas" dürfte wiederum Geschmackssache gewesen sein (Gestaltungsmittel hin oder her), und auch "Circa mea pectora" schwankt zwischen richtig begnadeten und holprigen Momenten hin und her. Zum Haupttrumpf entwickelt sich dann die erst im dritten Hauptkomplex eingreifende Sopranistin Katie Bolding, eine der besten Sängerinnen dieses Fachs, die der Rezensent in letzter Zeit gehört hat: weiche und angenehme Stimme, treffsichere Gestaltungskraft schon in ihrem Antrittsstück "Amor volat undique" - und wie sie in "Dulcissime" auch noch die extremsten Höhen mit spielerisch wirkender Leichtigkeit singt, das nötig allerhöchsten Respekt ab. Schade, daß dieses Gesangsjuwel nach nur zwei Jahren aus familiären Gründen das Altenburg-Geraer Theater in Richtung Berlin verläßt.
Solcher Gestaltungskraft will Wagner mit dem Orchester natürlich nicht nachstehen, und so packt er in "Veni, veni, venias!" eine Extraportion jenes zu Zeiten der 1937er Uraufführung gescholtenen "bayrischen Negerjazzes" und nimmt in den letzten beiden Nummern, "Ave formosissima" und der Wiederholung von "O Fortuna!", das Tempo noch einmal heraus, dadurch eine Extraportion Wucht und schleppenden Bombast ermöglichend, dem nicht mal der gesanglich wegklappende Schlußton etwas anhaben kann. Lang anhaltender Applaus belohnt die Mitwirkenden denn auch, auf eine Zugabe (die allenfalls in der Wiederholung einer der 25 Nummern hätte bestehen können) verzichtet Wagner aber.



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