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Leipziger Universitätsorchester   13.07.2014   Leipzig, Gewandhaus
von rls

Französisch dominiert ist das Programm des Sommersemesterabschlußkonzertes 2014 des Leipziger Universitätsorchesters - und das, obwohl der Komponist des ersten Werkes ein in Deutschland lebender Portugiese ist. Manuel Durao wählte für "Feuilleton" allerdings einen Titel verbal französischer Herkunft und nahm sich für dessen Grundstruktur die Orgelstimme der 3. Sinfonie von Camille Saint-Saëns zum Vorbild. Es entwickelt sich ein erstaunliches Stilsammelsurium, das dem Werktitel durchaus entspricht und durchaus angenehm durchhörbar, allerdings auch mit einer grundsätzlichen Harmlosigkeit ausgestattet ist, wie man sie in der feuilletonistischen Berichterstattung eben auch findet - die Tageszeitung will mit ihrem Feuilletonteil ja auch nicht zur Revolution aufstacheln. So hebt Duraos Werk mit einem fast klassischen Intro an, und es ist wie bei Neuer Musik üblich nicht möglich festzustellen, ob die eine Störstimme so gewollt war oder irgendeiner der Musiker danebengelegen hat. Der folgende Blechchoral jedenfalls hat keine Störstimme und leitet in das genannte Stilsammelsurium über. Durao weiß die Schlagzeuge strategisch geschickt einzusetzen, bekommt im Mittelteil eine brütende Atmosphäre hin, die etwas an eine unheimlichere Version von Debussys Faun-Nachmittag erinnert (dessen markantes Thema er auch zitiert), kombiniert auch wirkungsvoll Streiche rund Blech und kann nicht verhehlen, daß Schostakowitsch ihm wohl kein Unbekannter ist. Für mehr als freundlichen Applaus des vielleicht zur reichlichen Hälfte gefüllten Gewandhauses reicht das freilich nicht.
Nicht minder merkwürdig, wenngleich dem Publikum bereits bekannt ist das zweite Werk des Abends, die "Rapsodie espagnole" von Maurice Ravel, der damit seine spanischen Wurzeln offenlegen wollte, wobei diese allerdings im Baskenland liegen, also einem weiland bitterarmen, klimatisch ungemütlichen und vom restlichen Spanien stark abgesonderten Areal (man erinnere sich an den Fußballklub Atletico Bilbao, der jahrzehntelang die Politik pflegte, nicht nur keine Ausländer, sondern auch keine Spieler aus den nichtbaskischen Regionen Spaniens zu verpflichten, und der damit lange Zeit durchaus erfolgreich war). So gibt es in den vier Sätzen denn auch alles andere als eine fröhliche Fiesta, nicht mal einen Widerstreit zwischen Villariba und Villabajo, sondern gleich im ersten Satz düster-brütendes Gegrübel mit mannigfachen Variationen über ein viertöniges und - natürlich - absteigendes Thema. Da Dirigent Raphael Haeger den Satzbeginn sehr weit zurücknimmt, bleibt ihm nach unten hin ausreichend Platz, die drohende Monotonie wenigstens durch dynamisches Auseinanderziehen etwas zu mildern, während es nach oben hin erst im zweiten Satz "Malaguena: assez vif" mit seinem kuriosen Hin und Her einen Ausbruch gibt, der sich aber als Strohfeuer erweist. Auch der dritte Satz, eine Habanera, endet in Trägheit, die alle Animationsversuche nicht befeuern können, und nur im vierten Satz "Feria: assez animé" kommt etwas Leben ins Geschehen, auch wenn die Cellisten eine Art Gähnmotiv spielen müssen, das nur den Auftakt zu großen Gähnmomenten in verschiedensten Orchestergruppen darstellt. Haeger läßt im Schlußteil die bisher angestaute Energie geschickt frei und animiert auch die Zweifler zu Applaus, die mit der Einschätzung als "Charakterstudie Spaniens", welche man im Programmheft liest, entweder ganz und gar nicht konform gehen oder in deren Hirn sich böse alte Vorurteile vom faulen und trägen Südeuropäer, der daher zu Recht in der Wirtschaftskrise steckt, aus ganz weit hinten gelegenen Schubladen ein Stück nach vorn arbeiten. Ob das spanische Tourismusministerium mit diesem Stück glücklich wird, bliebe zu hinterfragen ...
Die zweite Programmhälfte bleibt komplett in Frankreich, nämlich mit der bereits oben erwähnten 3. Sinfonie von Camille Saint-Saëns, der die Nachwelt den Beinamen "Orgelsinfonie" gab, obwohl die Orgel über weite Strecken der Spielzeit schweigt, auch in ihren Einsatzmomenten keinesfalls die Rolle eines traditionellen Soloinstruments spielt und somit statusseitig eigentlich so weit im Orchester verschwindet, daß das Programmheft nicht mal den Namen der Organistin Marie-Luise Augsten angibt. Das nur zweisätzige, aber in diesen zwei Sätzen eine Subgliederung aufweisende Werk beginnt an diesem Abend in mehreren Stimmen eher nervös, aber Haeger bekommt schnell Ruhe ins Geschehen und entwickelt nach dem einleitenden Adagio durchaus einigen Zug zum Tor, läßt aber in der Monumentalität des Hauptthemas noch deutlich Luft nach oben. Das laute Kindergähnen von der linken Orgelempore im Poco-adagio-Teil ist aus musikalischer Hinsicht unberechtigt: Das Orchester bringt exzellentes Geschwelge über warmen Gedackt-Registern der Schuke-Orgel im Großen Saal des Gewandhauses zustande, und auch der elegisch-warme Fortgang weiß trotz einiger nicht ganz paßgenau sitzender Akkorde zu überzeugen, bevor sich ein stimmungsvoll-verträumtes Satzfinale entspinnt.
Satz 2 hängt nicht attacca an Satz 1, aber die sägenden Streicher erfüllen die Weckrufrolle trotzdem exzellent. Freilich bilden sie nur den Auftakt zu lange vor sich hin mäandernden Entwicklungen, deren Dynamikmanagement keine leichte Aufgabe darstellt. Aber Haeger ist ihr gewachsen, zumal der Orgelprinzipal abermals als Wecker fungiert. Gibt ihm Saint-Saëns dann noch Steilvorlagen wie die, den großen Choral erst in Streichern plus Klavier, dann aber im ganzen Orchester durchzuexerzieren, dann läßt sich der Dirigent diese Chance nicht entgehen und führt sein Orchester zu Klängen, die man sich auch in "Star Wars" vorstellen könnte. Danach schaltet Haeger nicht mehr ganz nach unten, was der Entwicklung hin zum Finale einen nur kleinen, aber prima ausgenutzten Dynamikspielraum gewährt, und der Bombastschluß sitzt wie eine Eins, auch wenn man ahnt, daß der riesige Orchesterapparat noch mehr können müßte.
Die Programmplanungsfraktion dieses Konzertes hat mit sicherem Blick entdeckt, daß es der Tag des Finales der Fußball-Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien ist, und auch wenn die Selecao fünf Tage zuvor vom deutschen Panzer mit 1:7 überrollt worden ist, so zollen die Musiker dem südamerikanischen Land doch ihren Tribut, indem sie den Samba-Klassiker "Tico Tico no Fubá" von Zequinha de Abreu aufs Parkett legen, wie üblich garniert mit mancherlei Gimmicks. Die Cellisten lassen ihr Instrument diesmal nicht nur rotieren, sondern legen auch noch einen Hüftschwung aufs Parkett, worin ihnen die Flötenfraktion nicht nachstehen will. Diverse Brasilien-Flaggen sind natürlich Pflicht, aber auch umgehängte Kränze in den deutschen oder (bei der Konzertmeisterin) holländischen Nationalfarben; eine Papp-Palme steht inmitten der Cellisten, und die Bratscher machen eine Brasilien-Bar auf. Musikalisch ist das Stück natürlich durch eine große Vielfalt an Schlaginstrumenten geprägt, aber auch eine Vuvuzela darf nicht fehlen. Daß die Gesamtpower eher übersichtlich ausfällt und die Fiesta nicht zum vollen Ausbruch gelangt, darf man vielleicht sogar als Fingerzeig auf das Ausscheiden der brasilianischen Mannschaft oder aber auf die Symbolisierung der Erschöpfung nach einem langen Turnier unter anspruchsvollen und wechselhaften Klimabedingungen werten. Jedenfalls kommt von den Rängen viel Applaus, dann aber eilt das Publikum zu den Bildschirmen - noch eine knappe Stunde verbleibt den Fußball-Enthusiasten, um den heimischen Fernseher oder eine Public-Viewing-Lokalität rechtzeitig vor Anpfiff des Finales zwischen der deutschen und der argentinischen Mannschaft zu erreichen.



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