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La Semiramide Riconosciuta   27.06.2014   Leipzig, Musikinstrumentenmuseum
von rls

Das Alte-Musik-Fest der Leipziger Musikhochschule und des Musikinstrumentenmuseums der Universität wird nicht selten mit einer Wiederaufführung einer an der Hochschule bereits zu sehen gewesenen Produktion eröffnet, und so geschieht es auch anno 2014, wenngleich in erweiterter Form: Es handelt sich diesmal um ein Kooperationsprojekt der Leipziger Hochschule mit der Kunstuniversität Graz, und so hat das erarbeitete Werk, die Oper "La Semiramide Riconosciuta" von Johann Adolph Hasse, bereits in beiden Städten Aufführungen erlebt.
Auf die Bühne im Zimeliensaal des Musikinstrumentenmuseums kommt an diesem Abend allerdings eine gekürzte Version der ziemlich langen und verwickelten Oper - nicht zuletzt um ein Problem zu umgehen: Der Operntext (ein Libretto des berühmten Pietro Metastasio, das auch von anderen Größen, allen voran Händel, vertont worden ist) ist Italienisch, und im Museum gibt es keine Möglichkeit, Übertitel einzublenden, so daß alle im Publikum, die der italienischen Sprache nicht mächtig sind, von vornherein auf verlorenem Posten stünden. Der Kunstgriff sieht nun so aus, daß eine "Tourfassung" aufgeführt wird, die weiland von der reisenden Truppe der Brüder Mingotti gegeben worden war, auch in Leipzig übrigens. Henry Jiménez von der Grazer Hochschule spielt Angelo Mingotti, der nach den ersten paar Takten auf die Bühne kommt, die einzelnen Figuren und die Konflikthandlung vorstellt (versehen mit aktuellem Kolorit, wenn er etwa das frühe Ausscheiden Italiens bei der Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien beklagt) und es so ermöglicht, daß fast der komplette erste Akt gestrichen werden kann und der Hörer trotzdem zumindest in den Grundsätzen versteht, worum es geht, wenngleich die Detailnachvollziehbarkeit, warum und in welcher Form sich beispielsweise Allianzen oder auch Konflikte zwischen den handelnden Personen ergeben, nach wie vor äußerst schwierig ist. Kurz zusammengefaßt regiert die babylonische Königin Semiramis nach dem Tod ihres Gatten inkognito in Männerkleidung weiter und steht vor der Aufgabe, Tamiri, die Prinzessin des tributären baktrischen Reiches (im heutigen Südostiran gelegen) standesgemäß zu verheiraten. Mit dem Ägypter Mirteo (Jugendliebe Tamiris und Bruder Semiramis'), dem Inder Scitalce (Jugendliebe Semiramis') und dem "kaukasischen Skythen" (ein Widerspruch in sich, aber so wird er tatsächlich eingeführt) Ircano stehen drei geeignete Prinzen Gewehr bei Fuß und versuchen nun in wechselnden Konstellationen, die Gunst bei Hofe zu erringen, wobei die intrigante Kammerdienerin Sibari noch ihr ganz eigenes Spiel aufzuziehen versucht. Wer dann am Ende wen bekommt, kann der geübte Leser sicherlich sofort anhand der Konstellation entschlüsseln. Die Inszenierung beschränkt sich angesichts des beschränkten Platzes auf phantasievolle Kostümierungen samt standesgemäßer Bewaffnungen (Ircano hat übrigens das breiteste Schwert, was angesichts der langen Tradition der Eisenverarbeitung in seiner kaukasischen Heimatregion eine sehr genaue Beobachtung der Regiefraktion sein könnte) sowie einen großen Thron, auf dem Semiramis gelegentlich Platz nimmt, aber auch das widerspiegelt perfekt die Situation einer reisenden Operntruppe, die kaum die Möglichkeit besessen haben dürfte, große Mengen an Kulissen und Requisiten durch die Lande zu transportieren.
Die Musik selbst stellt eine Mischfassung dar - Hasse hatte das Werk 1744 für das Teatro San Giovanni Grisostomo in Venedig geschrieben, aber für die Aufführungen 1747 an der Dresdner Hofoper eine Neufassung geschaffen, die er auf die stimmlichen Möglichkeiten seiner Gattin, der damals Weltstarstatus aufweisenden Sängerin Faustina Bordoni, zuschnitt, während Angelo Mingotti für seine 1746er Touraufführungen die oben erwähnte Kurzfassung erstellte und die Sopranarien wiederum für seine Primadonna Anna Mazzoni passend machte. Das Programmheft erklärt, was in der 2014er Fassung, die es trotz der Kürzung immer noch auf zweieinhalb Stunden Nettospielzeit (den Mingotti-Prolog mitgerechnet) bringt, miteinander verwoben wurde. Die Ouvertüre jedenfalls ist die der 1744er Venedig-Fassung, ein dreiteiliges hübsches Werk in der interessanten Folge schnell-langsam-beschwingt, bevor es mit Semiramides "neuer" Auftrittsarie gleich richtig in die Vollen geht. Hasse hat die Oper als Folge von Rezitativen und Arien angelegt und Sonderelemente wie Chöre nur punktuell zur Akzentuierung wichtiger Stellen, im Regelfall also der jeweiligen Aktfinales, eingesetzt. Jede Arie besitzt außerdem einen kurzen kadenzartigen Teil, und da Mingotti die spröden Deutschen ausdrücklich zu Szenenapplaus noch vor Arienende aufgefordert hat, tun die Anwesenden im nicht eben dicht gefüllten Museumssaal das auch, indem sie jeweils am Kadenzende in lauten Applaus ausbrechen. Von den sechs Sängern unterschreitet keiner ein achtbares Niveau, wobei anzumerken ist, daß von den drei Prinzen nur einer männlich besetzt ist, nämlich Enrico Busia als Ircano, und der hat von Hasse auch noch eine relativ zahme Gesangsrolle zugewiesen bekommen, wenn man bedenkt, daß hier eigentlich ein wilder kaukasischer Skythe vor dem Publikum stehen soll. Interessant erscheint die Entwicklung der Intrigantin Sibari (Hannah Berensen), die sich anfangs stimmlich kaum durchsetzen kann, aber schon im Verlauf ihrer Antrittsarie immer mehr Durchschlagskraft entwickelt. Elsa Dreisig als Tamiri kann bedarfsweise auch eine ziemliche Kratzbürstigkeit in ihre Stimme legen, Joowon Chung als Semiramide beherrscht das Spektrum zwischen gedeckter Ruhe und majestätischem Ausdruck tadellos. Die drei Prinzen wiederum gestaltet Hasse, nicht zuletzt dank des erwähnten Kunstgriffes, so austauschbar, daß es stimmlich eigentlich egal ist, wer letztlich wen bekommt - ein interessantes Detail, dessen Betrachtung über manche Länge der Oper hinwegzuhelfen in der Lage ist. Verdienter Applaus belohnt den Mut der Kreativabteilung um Susanne Scholz (die auch das ellipsenförmig angeordnete Barockorchester vom ersten Geigenpult aus leitet), sich einem solchen, heutigen Hörgewohnheiten selbst im Kontext der Alten Musik doch relativ fremden Werk zu widmen.



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