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Julia Holter, Lucrecia Dalt 25.10.2013 Leipzig, UT Connewitz
von sk
In manchen Presseerzeugnissen ist hie und da zu lesen, jene Künstlerin oder jener Jungspund sei die Rettung des Pop (alternativ: Hoffnungsträger des Pop). Das kommt mit einer so schönen Regelmäßigkeit, dass ein eigenes Zeitmaß daran angelehnt werden könnte. Ein Pop-Rett, so meine noch nicht zu Ende gedachte Bezeichnung, entspräche dann in etwa dem, was wir herkömmlich als 8 Wochen verstehen. Nur Vorsicht: Das Zeitmaß ist flexibel, es können auch 4 oder 10 Wochen daraus werden - denn die Länge ist kausal abhängig vom gefühlten Niedergang der Popwelt durch die Hüter des Popfeuilletons.
Jetzt aber mal im Ernst: Kann es dem Pop, wie immer wieder attestiert, wirklich so schlecht gehen, wenn immer mal wieder aus Zimmerchen und Kämmerchen aller möglichen und unmöglichen Orte Künstler vom Format einer Julia Holter auftauchen? Sind das die letzten Zuckungen des alten Patienten Pop, der sich wundgelegen hat, oder vielleicht doch Anzeichen dafür, dass es dem Kerlchen doch ganz gut geht? Oder, liebes Feuilleton, seid ihr wirklich so versessen und geil auf Untergang?
Die aus einer Künstlerfamilie stammende Julia Holter ist, das zeigen nicht nur ihre bisher 3 Alben, nichts weniger als eine Sensation. Wenn Kritiker ihr eine gewisse Ähnlichkeit zu Kate Bush oder der großartigen Joanna Newsom attestieren, dann mag das stimmen, stimmt aber doch nicht, weil Parallelen zu finden bei einer Künstlerin vom Format einer Julia Holter nun einfach mal ein Riesenunsinn ist. Ihr experimenteller Pop ist gleichzeitig so herausfordernd und so eingängig, dass einem schwindelig wird. Nach den beiden ersten, noch etwas suchenden Alben "Tragedy" (2011) und "Extasis" (2012) ist Holter mit ihrer 2013er Scheibe "Loud City Songs", das wesentlich gesammelter klingt, unterwegs - mit im Gepäck hat sie einen Schlagzeuger, einen Saxophonisten, einen Cellisten und einen Violinisten. Und sie selbst steht am Keyboard. Hier ist jemand anders als die anderen Kinder. Doch bei aller Weirdness bei Besetzung, Komposition und Lyrics (da werden auch mal antike Tragödien verwurstet) bleibt die Musik leicht, manchmal tanzbar gar. Unter eigenwilligen Arrangements verbergen sich herrlichste Melodien und bezaubernde Einfälle. Intellektuell ansprechende Leichtigkeit - wenn das nicht Pop at its best ist? Zugegeben: Pop mit einem Fuß in der Avantgarde. Oder zwei Fuß breit ... Dabei ist Julia Holters Auftreten und ihre Ausstrahlung diesem Konzept enorm zuträglich: Bei aller kompositorischer Stärke lebt Pop nun einmal auch von charismatischen (und im besten Fall schönen) Frontfiguren.
All diese Stärken lässt (leider!) die Kolumbianerin Lucrecia Dalt im Vorprogramm schmerzlich vermissen. Da ist zu viel Weirdness, zu viel Gefrickel am Start, als dass sich die wunderbaren Momente, die vorhanden sind, entfalten könnten. Viel Synthesizer, Samples und sonstiges technisches Wunderwerk allein sind nun mal keine Garanten für gute Songs. Erstaunlich ist es zwar, wie viele Klänge ein einzelner Mensch aus seinen Gerätschaften zaubern kann, nur leider sollte Technik kein Selbstzweck sein. Zudem spielt sie scheinbar nur für sich selbst. Eine Beziehung zu den etwas ratlosen Gästen mag sich nicht recht aufbauen. Erstaunlicherweise klingen ihre Ambient-artigen Klänge in aufgenommenem Zustand konsistenter als live (nachzuhören unter lucreciadalt.com).
Julia Holter in Leipzig: Ein großer Moment einer großen kleinen Künstlerin in einer großen kleinen Location. Julia Holter in Leipzig: wie Schnee im Sommer, wie gleißende Sonne bei bitterem Frost.
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