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Ten Years After, Inutero   05.10.2013   Jena, F-Haus
von rls

In Woodstock gespielt zu haben und 45 Jahre später immer noch drei Viertel der Originalbesetzung an Bord zu haben dürfte wohl kaum eine andere Combo von sich behaupten können. Zwar haben sich Ten Years After zwischendurch immer mal für ein paar Jahre aufgelöst, aber irgendwann packte sie das Feuer dann doch wieder, und lediglich bei der jüngsten Reunion wollte Sänger/Gitarrist Alvin Lee, nach außen hin immer so etwas wie die Leitfigur der Band, nicht mehr mitmachen. Die anderen drei Mitglieder rekrutierten daraufhin den Jungspund Joe Gooch, worüber Lee nicht so sehr erfreut gewesen sein soll, und Skepsis breitete sich auch bei einem Teil der Anhängerschaft aus. Aber die neue Konstellation erwies sich als stabil, ergab mittlerweile zwei Studioalben und diverse Livemitschnitte, und seit diesem Jahr stellt sich die Frage einer Reunion in Originalbesetzung sowieso nicht mehr: Alvin Lee, der während seiner TYA-losen Zeit unermüdlich in verschiedenen Konstellationen arbeitete, ist von uns gegangen. Der Rezensent hat die Originalbesetzung nie live gesehen und kann daher nur anhand des Liveeindrucks mit Gooch urteilen, aber keine Vergleiche anstellen, was als Nach-, aber auch als Vorteil angesehen werden kann.
Zunächst gehört die Bühne aber Inutero. So hieß auch das dritte und letzte Nirvana-Album, so heißt auch eine italienische Nirvana-Coverband, aber diese Inutero haben mit Nirvana außer der Tatsache, daß sie auch ein Trio mit singendem Gitarristen sind, wenig bis nichts zu tun. Vielmehr steht hier der Beweis einer sinnvollen musikalischen Erziehung auf der Bühne: Bei der Bandgründung vor einer knappen Dekade ist Sänger/Gitarrist Florian nämlich ganze acht Jahre jung gewesen, was bedeutet, daß er heute noch tief im Teen-Alter steckt. Sein Vater spielt Baß, und der Drummer gehört ebenfalls zur Jugendbrigade, trägt eine rote Basecap und wird von zwei Menschen, die hinter dem Rezensenten stehen, folgendermaßen charakterisiert: "Wenn man den auf Malle sieht, ahnt man nicht, was der für ein geiler Bluesdrummer ist." Diese etwas obskur anmutende Konstellation produziert allerdings Bluesrock vom Feinsten und muß zwar schon eine knappe halbe Stunde vor dem eigentlich auf der F-Haus-Homepage zu lesenden Beginn von 21 Uhr auf die Bühne, darf dann allerdings auch supportuntypisch fast eine Stunde lang spielen, wobei sie in dieser Zeit gerade mal sieben Songs unterbringt, und der fünfte, ein flotter Boogie-Rocker im Stil verrockter Beach Boys, glänzt dabei auch noch durch knackige Kürze. Heißt praktisch: Die anderen Songs sind urlang und leben von ausladender Soloarbeit ebenjenes jugendlichen Gitarristen, der gleichermaßen mit Tempo wie mit Gefühl zu überzeugen weiß und nur noch ein bißchen mehr Variationsbreite in seine Soloarbeit bringen müßte - hier und da beschleicht einen beim Hören das Gefühl, man habe dieses oder jenes Lick in einem der vorherigen Songs schon mal gehört. Aber die Spielfreude stimmt in jedem Falle und der Energiegehalt auch, wobei Inutero erstmal drei flotte Songs intonieren und erst mit dem vierten, "Spoolin'", auf episches Bluestempo herunterschalten. Und der Drummer zeigt sich wenig stilkonform und sehr fillverliebt, was durchaus auch mit für etwas frischen Wind sorgt. Einzig den Baß spürt man mehr durch die Vibrationen des Parkettfußbodens, als daß man ihn hört, was manche Passage unfreiwillig etwas fragmentarisch wirken läßt. Außerdem ist das Frontmikrofon zu zurückhaltend abgemischt, so daß die Sangesqualitäten sich einer eindeutigen Beurteilung etwas entziehen. Gegen Setende wird der Sound lauter, aber in den genannten Kritikpunkten auch nicht besser. Die Feststellung, hier eine äußerst hoffnungsvolle Combo vor sich zu haben, wird dadurch aber keineswegs beeinträchtigt, und wer "Hey Joe" spielt und es schafft, den Song gut zu interpretieren und ihn trotzdem nicht aus dem Set herausstechen zu lassen, der muß etwas auf der Pfanne haben. Analytiker bemerken zudem eine interessante Punktierungsvariation im markanten Schlußriff dieses Klassikers, und nach dem ur-urlangen Setcloser ist sich das fleißig applaudierende Publikum einig: Hier kann noch Großes heranwachsen.
Der baßspielende Vater sorgt noch für gute Stimmung, indem er ankündigt, sich genauso auf dem Set von Ten Years After zu freuen wie das Publikum, und eine knappe halbe Stunde später ist es dann soweit: Die drei Alten und der Neue, der immerhin auch schon eine Dekade zur Band gehört, kommen ganz unprätentiös auf die Bühne und steigen mit "I'm Coming On", dem Opener der 1971er "Watt"-LP, noch recht verhalten ein. Sollte hier eine kraftlose Altherrenriege musizieren? Nein, beweist "King Of The Blues" vom 2004er Studioalbum "Now", dem ersten mit Goochs Beteiligung: Der Sound wird besser, Drummer Ric Lee schraubt die Schlagzahl nach oben, und schon stimmt das Energielevel, was sich im Rest des Sets auch nicht mehr ändern wird, selbst wenn das Tempo dieses Songs keineswegs von allen Folgeexempeln erreicht wird. Aber daß Lee (übrigens weder verwandt noch verschwägert mit Alvin Lee, der bürgerlich Graham Barnes hieß) auch reichlich zwei Wochen vor seinem 68. Geburtstag noch in Topform ist, beweist nicht nur sein Drumsolo "The Hobbit", wenngleich sich einige Elemente seines Kits doch ein wenig nach elektronischer Verstärkung anhören (wenn man genau auf die Snare hört, fällt ein etwas merkwürdiger Sound auf, und die Bassdrum ist sowieso getriggert). Für eine Bluesrocktruppe alten Schlages mutet das etwas eigentümlich an, aber es dient hier der Qualität des Ergebnisses, und diese weiß ohne Wenn und Aber zu überzeugen. Da wollen die anderen Mitglieder nicht nachstehen: Bassist Leo Lyons ist im Gegensatz zu seinem Instrumentenvorgänger besser zu hören, Keyboarder Chick Churchill wird vom Soundmenschen anfangs nur in seinen Solopassagen mit Aufmerksamkeit bedacht, kann sich aber im Laufe des Sets besser Gehör verschaffen - und dann wäre da noch der Neue. Für einen Bluesrocker singt er fast zu clean, aber der Rezensent, der klare Gesangsmelodien schätzt, fühlt sich dadurch nicht gestört - im Gegenteil! Und was der Hutträger da aus seiner Gitarre hervorzaubert, das gehört zweifellos auch zur Creme de la creme und macht einem Alvin Lee prinzipiell keine Schande, auch wenn Gooch das wahnsinnige Element ein wenig abgeht und er unterm Strich etwas kontrollierter spielt. Der Ausdruckskraft tut dies jedenfalls keinen Abbruch, die Soli sind ausufernd wie eh und je, und sein Spiel wird vom Soundmenschen auch dadurch gewürdigt, daß es jederzeit deutlich durchhörbar im Mittelpunkt steht. Dafür wird Lyons ein weiteres Mal gedisst, indem sein Mikrofon so zurückhaltend abgemischt ist, daß man seine Ansagen (er übernimmt sie nahezu in Gänze, Gooch beschränkt sich auf kurze Dankesworte) nur mit Mühe oder gar nicht versteht. Immerhin weist er mehrfach auf das neue "Evolution"-Album hin, wobei selbiges so neu auch wieder nicht mehr ist, aber immer noch das aktuelle Studiozeugnis des Quartetts darstellt und mit der ergreifenden Blues-Halbballade "Angry Words" auch im Set auftaucht. Ansonsten regieren natürlich die Klassiker, zumeist altbekannte, aber auch das laut Lyons eher selten gespielte "50.000 Miles Beneath My Brain" vom "Cricklewood Green"-Album aus dem Jahr 1970. Für richtige Begeisterungsstürme sorgt allerdings erst "Love Like A Man", und danach geht es Schlag auf Schlag: Muß sich der Gelegenheitshörer an die Tempo- und Stimmungswechsel in "I'd Love To Change The World" erst gewöhnen, so regiert "Good Morning Little Schoolgirl" (eine von etlichen Fremdkompositionen aus dem Altrepertoire der Briten, geschrieben von Sonny Boy Williamson) von Anfang an, "I Can't Keep From Crying Sometimes" (auch eine Fremdkomposition, von Al Kooper) wirft einen Blick zurück auf das 1967 (!) erschienene selbstbetitelte Debütalbum, und bei "I'm Going Home", das allen Woodstock-Freunden bestens bekannt ist, brechen dann endgültig alle Dämme. Hier zollen Ten Years After auch diversen Kollegen Tribut, indem sie mal locker die Riffs beispielsweise von "Hey Joe" oder "Smoke On The Water" einjammen, was logischerweise die Feierstimmung im Publikum noch weiter hebt. Knapp zwei Stunden inclusive einer Zugabe stehen die Alten (Lyons wird im November 2013 70!) und ihr Neuer auf der Bühne, bieten eine Riesenpackung Spielfreude und dürfen uns in dieser Form gerne noch lange erhalten bleiben. www.tenyearsafternow.com informiert über weitere Möglichkeiten, diese formidable Truppe live zu erleben.

Setlist Ten Years After:
I'm Coming On
King Of The Blues
Hear Me Calling
Angry Words
Big Black 45
50.000 Miles Beneath My Brain
The Hobbit
Love Like A Man
I'd Love To Change The World
Good Morning Little Schoolgirl
I Can't Keep From Crying Sometimes
I'm Going Home
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Choo Choo Mama



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