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Die im Dunkeln   08.05.2013   Altenburg, Landestheater
von rls

Die Verarbeitung eines konkreten regionalgeschichtlichen Ereignisses in Form eines Theaterstücks hat Vor- wie Nachteile. Einesteils kann sie zu einer starken oder zumindest stärkeren Identifikation des aus der betreffenden Region stammenden Publikums mit dem Stoff führen, andererseits erschließen sich bestimmte Kontexte oder schlimmstenfalls auch das ganze Stück einem überregionalen Publikum möglicherweise nicht. "Die im Dunkeln" ist nun ein solches Stück, das auf einem Ereignis aus der Altenburger Geschichte beruht - aber das geschilderte Szenario hätte sich in den Jahren 1949/50 in ähnlicher Weise auch in Templin, Bischofswerda, Salzwedel oder Greifswald abspielen können, und der Konjunktiv ist eigentlich gar nicht korrekt, denn es gab tatsächlich ähnliche Fälle in der späten Sowjetischen Besatzungszone bzw. der frühen DDR, wenngleich wohl keinen in dieser scharfen Ausprägung und derartigen Konsequenzen.
Was war geschehen? Unzufrieden mit dem praktischen Wechsel vom Regen in die Traufe, also von der nationalsozialistischen Diktatur ins stalinistische System, bildete sich in Altenburg ein teils eher loses, teils aber auch durchaus festeres Netzwerk junger Menschen, denen diese Entwicklung ein Dorn im Auge war. Einige versuchten durch aktive Mitgestaltung in einer der Blockparteien oder dem Kulturbund gewisse Entwicklungen in eine demokratischere Richtung zu lenken, aber sie hatten gegen die sich schnell verfestigenden neuen Machtstrukturen praktisch keine Chance. So begannen sie subversiv zu agieren, Aufkleber mit einem F (für "Freiheit") allerorten anzubringen oder das besagte F an Wände zu malen; einige brachten von der Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit aus Westberlin Informationsmaterial mit, und bis heute noch nicht gänzlich aufgeklärt ist, ob bzw. inwieweit einige Kontakte zu westlichen Geheimdiensten hatten und für diese militärisch wichtige Information beispielsweise über die sowjetische Truppenpräsenz in Altenburg sammelten. Den öffentlichkeitswirksamsten Coup allerdings landete eine Gruppe, die mit einem selbstgebauten Radiosender die Übertragung der Gratulationsrede Wilhelm Piecks zum 70. Geburtstag des Generalissimus Stalin im Dezember 1949 störte, ihrerseits dort Forderungen nach einer freiheitlich-demokratischen Entwicklung postulierte und den Stalinismus als rot angestrichenen Nationalsozialismus brandmarkte. Trotz intensiver Ermittlungen gelang es den DDR-Behörden nur durch einen Zufall, im Frühjahr 1950 das Netzwerk Schritt für Schritt aufzurollen; einige Mitglieder schafften es, sich noch nach Westberlin abzusetzen, während viele festgenommen wurden, darunter auch welche, die mit den Aktivitäten eher wenig zu tun hatten. Ein sowjetisches Militärtribunal fällte insgesamt vier Todesurteile wegen antisowjetischer Spionage gegen Wolfgang Ostermann, Siegfried Flack, Hans Joachim Näther und Ludwig Hayne, andere wurden zu teils langjähriger Lagerhaft verurteilt. Anno 1995 rollte die russische Militärstaatsanwaltschaft den damaligen Prozeß schließlich wieder neu auf, revidierte das Urteil und rehabilitierte die Verurteilten. In den Jahren zuvor hatte eine Arbeitsgruppe an der Karl-Marx-Oberschule bzw. dem Friedrichgymnasium, wo weiland viele der Netzwerkmitglieder Schüler waren, die in der DDR logischerweise nie öffentlich thematisierten Ereignisse wieder aufgerollt, wobei Flack und Hayne bei der Umbenennung von Straßen im Wohngebiet Altenburg-Nord mit je einer Straße geehrt wurden. Über die Geschehnisse rings um das Netzwerk sind in den Altenburger Geschichts- und Hauskalendern seit 1992 zahlreiche Beiträge aus verschiedenen Blickwinkeln erschienen.
Liest sich die Schilderung dessen, was damals passierte, schon allein recht spannend, so hat die Berliner Autorin Mona Becker mit gewissen Mitteln der Dramatisierung und Schwerpunktsetzung, jedoch ohne "Geschichtsfälschung", daraus nun ein Theaterstück namens "Die im Dunkeln" gemacht, das im März 2013 im Altenburger Theater seine Premiere erlebt und seither noch etliche Male auf dem dortigen Spielplan gestanden hat, wobei einige Vormittagsvorstellungen explizit auf ein Schülerpublikum zielten. Aber auch in der Abendveranstaltung, die der Rezensent besucht hat, sitzen zahlreiche Schüler z.B. des Christlichen Spalatin-Gymnasiums Altenburg, und das Stück selbst ist so ausgerichtet, daß man es als Schüler (mit ein wenig Vorbereitung im Unterricht) gut verstehen kann, aber auch der erwachsene Zuschauer sich nicht langweilt. Die zentralen Figuren sind Jörn-Ulrich Brödel und Gerhard Schmale, in einer Rahmenhandlung und im historischen Stück selbst dargestellt von Ulrich Milde und Peter Prautsch, aber in vielen der Vorstellungen auch selbst anwesend, um den Besuchern danach als Zeitzeugen für Gespräche zur Verfügung zu stehen (beide sind mittlerweile über 80!). Schmale war übrigens dasjenige der Netzwerkmitglieder, das den Störsender baute, der allerdings überraschenderweise im Prozeß selbst keine detailliertere Rolle gespielt hat. Der erste Akt spiegelt die Leichtigkeit und Unbekümmertheit, mit der die jungen Leute ihre Aktivitäten trotz der allgegenwärtigen Gefahren und des heiligen Ernsts, mit dem Näther die Kommentare in die Stalin-Rede sprach, unternahmen, gekonnt wider, endet aber mit der Festnahme vieler der Gruppenmitglieder. Der gallebittere zweite Akt thematisiert dann die Gerichtsverhandlung und die Hinrichtung in Moskau, wobei gerade die quälend lange Eisenbahnfahrt ins Ungewisse auch für den Zuschauer förmlich quälend, fast psychotisch dargestellt wird, so daß da teilweise enorme Spannung entsteht. Näther rezitiert vor dem Ende noch sein Gedicht "Der Denunziant", das sein ehemaliger Mitschüler Hans-Christian Bartel Jahrzehnte später vertont hat. Die Musik im Stück selbst wird allerdings von einer dreiköpfigen Liveband gespielt - gewisse Teile des ersten Akts spielen in der Tanzschule Schaller, die sich zu einer Art "Widerstandsnest" entwickelt. Diskutieren kann man letztlich allerdings über den Freiheitsbegriff, der in der Schlußszene thematisiert und eingefordert wird. Hier kommt die gut gemeinte, aber unpraktische Theoriedeutung der unbegrenzten Freiheit an die Oberfläche, die sicherlich auch die Jugendlichen damals nicht gemeint haben (die meisten hatten zumindest noch Rudimente einer humanistischen Bildung genossen und waren durch die Kriegsereignisse genügend traumatisiert, um keinem schrankenlosen Freiheitsbegriff das Wort zu reden), wenngleich sich die meisten noch in einer Art Idealisierungsphase befanden. Aber die Aufforderung "Es gibt viele im Dunkeln. Sie warten auf uns" in der Deutungsperspektive, sich gegen bestimmte Einschränkungen zur Wehr zu setzen, gilt gerade heute im Zeitalter des sich entwickelnden Überwachungsstaates neuen Typus' mehr denn je, und deshalb ist dem Stück zu wünschen, daß es seinen Weg auch auf andere Bühnen finden und nicht im regionalen Kontext verharren müssen wird.



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