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Chor der Weißrussischen Staatsuniversität Minsk   23.03.2013   Leipzig, Altes Rathaus
von rls

Weißrußland gehört wie etliche andere ehemalige Sowjetrepubliken zu den Staaten, über die man, wenn es denn einmal zu einer Berichterstattung in westlichen Medien kommt, meist nur von den diversen Problemen erfährt, seien diese nun wirtschaftlicher, politischer oder sonstwie gearteter Natur. Zudem sorgt eine gewisse außenpolitische Isolierung des Lukaschenko-Landes dafür, daß auch der kulturelle Austausch weniger intensiv ausfällt, als das eigentlich wünschenswert wäre. Zum Glück springen hier und da Privatinitiativen in die Bresche, und eine solche ist auch für das Konzerterlebnis dieses Abends ursächlich: Einer der Sänger des Vocalconsorts Leipzig verbrachte ein Auslandssemester an der Weißrussischen Staatsuniversität in Minsk, lernte dort den seit 1946 bestehenden Universitätschor kennen und schätzen, und seither besteht eine freundschaftliche Verbindung zwischen dem Leipziger und dem Minsker Chor. Nachdem die Leipziger im Oktober 2011 Konzerte in Minsk gaben, sind die Minsker nun für ein verlängertes Wochenende in Sachsen zu Gast und haben neben kulturellem Sightseeing auch ein straffes musikalisches Programm im Kalender: vier Konzerte bzw. Gottesdienstausgestaltungen in reichlich zweieinhalb Tagen in Leipzig und Freiberg.
Das Konzert dieses Abends im Festsaal des Alten Rathauses in Leipzig ist dabei das einzige solistische Konzert des Chores, und eine sehr ansehnliche Menschenmenge hat sich in dem ehrwürdigen Raum, wo einst der große Bach seine Anstellungsurkunde unterzeichnete, zusammengefunden. Gregor Meyer, Leiter des Vocalconsorts, spricht zunächst ein paar einleitende Worte, das eigentliche Konzert samt dessen Moderation bestreiten die 32 Weißrussen (14 Herren, 16 Damen und dazu das Dirigentenehepaar Olga und Alexandr Minenkow) dann aber alleine, wobei die blonde Sängerin Julia Krjuk die Ansagen in sehr achtbarem Deutsch hält und nur mit der Aussprache des Wortes "Lied", das sie phonetisch wie "Leid" interpretiert, für einige ungewollt komische Situationen sorgt, so im Stile von "Sie hören jetzt ein humorvolles Leid ...".
Das Programm setzt sich aus drei großen Komplexen zusammen. Der erste speist sich aus Werken der orthodoxen Tradition, teils in Russisch und teils in Latein vokalisiert. Dmitri Bortnianski eröffnet dabei den Reigen, allerdings nicht mit seinem Klassiker "Ich bete an die Macht der Liebe", sondern mit "Te Deum Laudamus" bzw. originalsprachlich "Tebje, Boga, Chwalim", das anfangs noch ein wenig angestrengt klingt, aber bald an stimmlicher Lockerheit gewinnt und besonders in seinem ruhigen Finale große Wirkung entfaltet. Letztgenanntes Phänomen tritt noch in etlichen anderen Werken des Abends auf, etwa in Pjotr Tschaikowskis "Credo", das im Hauptteil ein sehr flottes Tempo an den Tag legt und in den Höhenlagen manchmal leicht wackelt, aber dann eben wieder mit so einer tiefen Ruhe abschließt. Auch Eigenkompositionen bzw. -arrangements der beiden Dirigenten sind zu hören, so etwa "Unser Vater" von Olga Minenkowa, dessen äußerst gekonnt geschichtete Klangflächen in der Einleitung die Frage aufwerfen, ob "Way To Happiness" von Casket auch in Weißrußland bekannt ist (falls Minenkowa dieses Stück 1997 oder später geschrieben haben sollte) oder ob umgekehrt die Bajuwaren Casket Verbindungen zur weißrussischen Kultur haben (falls das Stück früher als 1997 entstanden sein sollte) - aber natürlich können die gewissen Parallelen im Arrangement auch purer Zufall sein. Eine äußerst interessante "Alleluia"-Komposition von R. Twardowski schließt diesen Teil ab; atmosphärisch-ruhige Klangflächen werden hier dynamisch in mehreren Wellen aufgetürmt und kulminieren schließlich in einem enorm hohen Schlußton, der zwar leicht angestrengt wirkt - aber hier stehen Laiensänger vor dem Publikum, keine ausgebildeten Profis, und im Amateurstatus muß man so eine Höhe überhaupt erstmal treffen.
Der zweite Teil besteht aus weißrussischen Volksliedern, darunter etlichen über die Freuden und Leiden der Ehe, was natürlich mannigfache Gestaltungsmöglichkeiten bietet, so auch für dialogartige Passagen, und die genüßliche Ausgestaltung dieser Situationen lassen sich die Weißrussen natürlich nicht nehmen, so daß man den ironisch gebrochenen Charakter eines Stückes wie "Juratschka" auch ohne Textverständnis nachvollziehen kann. Da legen die Bässe auch mal turmhohes Pathos in eine Solopassage, da wird in "Dewka Po Sadu Chodila" ("Das Mädchen ging durch den Garten") gleich eine ganze Vogelschar imitiert, inclusive eines Kuckucks übrigens - da geht es aber situationsbedingt auch mit dem nötigen Ernst zur sängerischen Sache, etwa in "Kupalinka", dessen melancholischer Grundgestus auch in den schnelleren Passagen stets einwandfrei durchhörbar bleibt. In "Njebo" ("Der Himmel") soliert dann Komponistin Olga selbst und tut dies mit einer gleichermaßen erdigen wie ätherischen Stimme (klingt wie ein Oxymoron, stimmt aber wirklich), und ein gekonnter melancholischer Schluß setzt dem Volksliedblock das Tüpfelchen aufs i.
Der dritte und letzte Teil widmet sich dann dem populären Liedgut aus verschiedenen Winkeln dieses Planeten, von Lennon/McCartneys "I Will" bis hin zum kolumbianischen Volkslied "Prende La Vela", das zu einem umjubelten Highlight wird: eingeleitet durch ein schönes weiches Tenorsolo, dann flotter werdend und im Zentralbreak wüsteste Jazzharmonik auffahrend, bevor ein "Brrrrrr-Juchhu"-Juchzer für noch mehr prima Laune sorgt. "Ev'ry Time I Feel The Spirit" wiederum fährt eine ganz kurios anmutende Mischung auf: Gospel mit russisch-melancholisch eingefärbten Sologesängen - aber man staunt Bauklötze: Auch das funktioniert. Und als finale Rakete zünden die Weißrussen noch "Insalata Italiana" von Richard Genée, eine wunderbare Parodie, deren Text aus einer Ansammlung von musikalischen Spielanweisungen besteht, die dann eben genauso gesungen werden - und diese explosive Mischung zündet dank der hochklassigen Darbietung auch in Leipzig problemlos. Stehende Ovationen belohnen die Minsker, die sich noch mit einer kurzen Zugabe ("Wir wünschen Ihnen in bester slawischer Tradition ein langes Leben!" lautet die Anmoderation) bedanken. Und in die Dankesworte müssen Gregor Meyer und seine Vocalconsort-Leute ebenso einbezogen werden wie das Kulturamt der Stadt Leipzig und etliche andere Institutionen für ihre Unterstützung, die diese Art des informellen Kulturaustauschs erst möglich gemacht haben. Wann die Minsker wieder einmal hier zu erleben sind, verrät www.vocalconsort-leipzig.de



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