www.Crossover-agm.de
3. Philharmonisches Konzert: Triumph der Zeit   16.01.2013   Gera, Theater
von rls

In der Tat: Die Zeit triumphiert immer. Das gilt fürs allgemeine Leben wie für die Kunst, in der die Zeit manchen Scheintriumph des Augenblicks in Äonen nachhaltig vergehen läßt und es generell unberechenbar bleibt, was sich für längere Zeit durchsetzen wird und an was man sich schon kurz nach dem Entstehen kaum noch erinnert. Das 3. Philharmonische Konzert des Philharmonischen Orchesters Altenburg-Gera bietet nun unterschiedliche Exempel für die Beziehung der Kunst in der Zeit, die außerdem alle einen Bezug zur Stadt Wien haben.
Da wäre als erstes Alexander von Zemlinsky, eine durchaus wichtige Figur in der Musikszene Wiens an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, heute aber allenfalls noch als Lebensgefährte von Alma Schindler, bevor diese ihn für Gustav Mahler verließ, und als Lehrer Arnold Schönbergs bekannt und von den Musikgeschichtsschreibern eben als Bindeglied zwischen Brahms und Schönberg apostrophiert, hingegen mit keinem konkreten Werk im Kollektivgedächtnis abgespeichert. Das werden auch Theater&Philharmonie Thüringen nicht maßgeblich ändern können, aber sie bemühen sich zumindest: Schon 2002 haben sie Zemlinskys Oper "Eine florentinische Tragödie" ausgegraben, und nun kommt die Ballettsuite "Der Triumph der Zeit" zum Vorschein, Überbleibsel von einem nie bis zur Veröffentlichungsreife gediehenen Ballett auf ein Libretto Hugo von Hofmannsthals, anno 1903 in der Konzertsaalform uraufgeführt. Daß das Stück ursprünglich anders gedacht gewesen ist, merkt man der Suite an: Viel innerhalb der drei Sätze ist ähnlich, bisweilen gar gleichförmig gestaltet, was in dieser komprimierten Form natürlich besonders auffällt. Dirigent Niklas Willén entpuppt sich allerdings als durchaus versierter Gestalter, und das Orchester läßt sich von ihm hörbar begeistern: Wie Willén die lange langsame Einleitung des ersten, "Reigen" betitelten Satzes behutsam in Richtung eines romantisch-friedlich gestimmten Tutti formt, das entfaltet Wirkung, das gestopfte Horn klingt wie aus weiter Ferne herüber, und danach geht der eigentliche Reigen los. So lockere tanzbare Passagen muß man als Orchester durchaus erstmal hinbekommen! Diese wechseln sich gekonnt mit einigen relativ wilden Breaks ab, die freilich weit unter der Intensität dessen bleiben, was etwa Mahler zur gleichen Zeit in seinen Sinfonien aufzufahren pflegte, und ein witziger Schluß kommt auch noch dazu. Vom Charakter her ähnlich ist der "Fauntanz" an zweiter Stelle: Debussy hatte den Faun ja nachhaltig eingeschläfert, und deshalb braucht dieser hier einige Zeit zum Wachwerden, auch danach stolpert er immer mal noch - das hätte originelle Ballettchoreographien ergeben können! In einigen vom Fagott eingeleiteten Passagen schielt der Komponist nach Norwegen, allerdings bleibt das Toben des Fauns weit weniger infernalisch als das Geschehen in der Halle des Bergkönigs, und irgendwann ruht der Titelheld dann wieder friedlich auf der Wiese. Der abschließende Prestosatz wirkt irgendwie nur noch wie ein Appendix, das einleitende Blechsignal entbehrt der Markanz, und das folgende flotte Hin und Her ist nett, mehr aber auch nicht.
Alma Schindler spielt auch für das nächste Stück eine Rolle: Manon Gropius, ihre Tochter aus der Liaison mit Walter Gropius, starb 1935 an den Folgen von Kinderlähmung, was den Komponisten Alban Berg zur Erschaffung eines zweisätzigen Violinkonzertes mit dem Titel "Dem Andenken eines Engels" animierte. Die Uraufführung 1936 erlebte Berg nicht mehr, so daß das Konzert quasi auch zu seinem eigenen Requiem wurde und er die Etablierung auf den Konzertpodien nicht mehr miterlebte - die Violinisten des 20. Jahrhunderts mußten dankbar sein, daß überhaupt noch jemand Violinkonzerte schrieb, und Bergs Konzert gestaltete sich im Gegensatz zu manch anderem Experiment auch für das Publikum noch durchhörbar. An diesem Abend agiert der junge Martin Funda, ein Geraer Eigengewächs (sein Vater spielt bei den 1. Violinen mit), als Solist, und er schafft sich auf der Bühne erstmal Platz, indem er den Notenständer des ersten Violinpultes in Richtung des Konzertmeisters Andreas Hartmann schiebt, der gar nicht weiß, wie ihm geschieht. 25 Minuten später ist allerdings auch klar, daß Funda den Platz braucht - er ist zum einen ziemlich groß, und zum anderen durchmißt er den Platz mit raumgreifenden Schritten von vorn nach hinten, von links nach rechts; man ist immer wieder überrascht, daß er mit niemandem kollidiert oder von der Bühne fällt. Gleich im eröffnenden Andante-Teil gelingen dem Solisten einige sehr intensive langsame Passagen - die Probleme folgen dann später: Das, was laut gängiger Deutungsweise Manons fröhlich-lebhaften Charakter darstellen soll, klingt bei Funda eher wie die Darstellung einer verkrampften Kratzbürste. Da können die dunklen, unheilvollen Passagen viel eher überzeugen (Gong, große Trommel), und die Spannung im Satzschluß hätte sicher länger gestanden, wenn da nicht irgendwo ein Gegenstand zu Boden gefallen wäre. Im zweiten Satz klopft der Tod dann energisch an die Pforte, einige ausdrucksvolle Seufzer ertönen, und dann reduziert Funda seine Bewegungsaktivität weitgehend, um den Todeskampf besonders intensiv und bedrückend darzustellen. Der Schnitter schreitet hier sehr plastisch heran, aber danach beginnen es die Beteiligten mit der Plastizität zu übertreiben. Der eingeflochtene Bachchoral "Es ist genug" kann zwar besonders in der großen finsteren Variante noch überzeugen, aber danach nimmt der Pathosfaktor fast unerträgliche Züge an, die aus den Posaunen kommenden Seufzer wirken aufdringlich, und die Schlußintensität hinterläßt einen eher bemühten Eindruck - die Solovioline versucht sich an einem verklärten Ton, aber der Rest des Orchesters agiert viel zu hart und erbarmungslos (vielleicht war das ja auch so gewollt). Das ändert aber nichts am intensiven Applaus für Funda, der mit Blumen und Geschenken förmlich überschüttet wird und natürlich auch noch eine Zugabe auspackt.
Wie Alban Berg sein Violinkonzert, so hat auch Franz Schubert seine Große C-Dur-Sinfonie nie selbst gehört - die Zeit war offensichtlich noch nicht reif dafür, und erst elf Jahre nach Schuberts Tod, 1839, dirigierte Mendelssohn die Uraufführung des Werkes, das Robert Schumann in Schuberts Nachlaß ausgebuddelt hatte, im Leipziger Gewandhaus. Seitdem hat sich die Sinfonie allerdings einen festen Platz im Konzertrepertoire erobert, wenngleich die Behauptung des Programmheftes, Mendelssohn habe aus dieser Sinfonie Anregungen für seine eigenen Sinfonien gewonnen, allein schon chronologisch nicht haltbar sein dürfte (1839 hatte Mendelssohn drei seiner letztlich fünf Sinfonien bereits geschrieben, und die vierte, die 1839/40 entstand, nämlich der "Lobgesang", löste das Problem, wie man in der Ära nach Beethoven noch Sinfonien komponieren könne, auf völlig andere Weise als Schubert). Sei es, wie es sei - das den ersten Satz einleitende Hornthema muß man zweifellos erstmal so schön raumgreifend hinbekommen wie an diesem Abend, und ausgangs des Andante fordert Willén mächtig Zug zum Tor ein, den das Orchester auch mit Freude umsetzt. Eleganz und Lockerheit bleiben auch im Allegro ma non troppo erhalten, wiewohl die Stakkatoeinbleuungen gleichfalls prima funktionieren. Dazu entwickelt das Orchester im Vorschlußteil eine enorme Power, und Konzertmeister Andreas Hartmann, der als Gast diesen in der Besetzung derzeit vakanten Platz ausfüllt, steht halb - für den komischen marschartigen Schluß kann aber natürlich auch er nichts.
Im Andante con moto an zweiter Satzposition fordert Willén zunächst messerscharfe Violinen ein, die er den für Schuberts Zeiten äußerst finsteren Grollpassagen gegenüberstellt. Langsam beginnt aber auch eine andere Erscheinung aufzufallen: Funda hatte im Berg-Konzert ja einen sehr großen Bewegungsdrang an den Tag gelegt, und der hat sich nun offenbar auf Willén übertragen, der wie ein Stehaufmännchen kreuz und quer über sein Pult springt, was im Verlaufe der Schubert-Sinfonie immer mehr zunimmt. Andererseits beweist der Schwede sein gutes Händchen für dynamische Entwicklungen auch in gegensätzlicher Richtung, wenn er den besagten zweiten Satz auch mal bis in die Nähe des absoluten Stillstandes zurückfährt, und auch in den weiteren Passagen kann seine Dramaturgie überzeugen. Leider verdirbt ihm ein Publikumskarzinom den spannenden Moment in der Generalpause, aber dafür entschädigt ein gelungener Schlußspannungsaufbau, den diesmal keiner stört.
Im Scherzo beginnt Willén immer stärker wie eine Comicfigur zu wirken - die wienerisch gedachten tanzbaren Passagen unterlegt er auch mit ein paar Tanzschritten. Nicht alle Wechsel zwischen Wien und fast preußischer Zackigkeit gelingen in diesem Satz mit der gebotenen Sicherheit, nicht zuletzt macht die Notenblätterei vor und nach dem Trio einen völlig hektischen Eindruck, aber zumindest die Trompeten bekommen einen so guten Mix zwischen Wiener Schmäh und großem Pathos hin, daß man über einige Schwächen gern hinwegsieht.
Der Schlußsatz, "Allegro vivace" überschrieben, besticht dann durch seine Einleitung - eine solche Mixtur aus Markanz und Markigkeit muß man erstmal schaffen, und da Willén das Orchester temposeitig durchaus fordert und das Orchester diese Forderung nicht mit unklarem Spiel bestraft, gelingt eine flotte Interpretation, wo nicht mal der durch das Holz versemmelte Einstieg in den zweiten Themenkomplex richtig stört. Der Dirigent holt aus seinem Bewegungsmusterarsenal nun auch noch kreisende Armbewegungen in bester Rudolf-Schenker-Manier hervor, mit denen er den sägenden Passagen gegen Ende des Satzes wie der Sinfonie noch eine Extraportion Power verleihen läßt, wenngleich der Schluß wieder mal seltsam unprätentiös wirkt. Trotzdem werden Orchester und Dirigent mit einem sofortigen lauten Bravoruf und sehr intensivem Applaus und Getrampel belohnt - verdientermaßen, wenn man die Gesamtleistung betrachtet.



www.Crossover-agm.de
© by CrossOver