www.Crossover-agm.de
Le Concert Brisé   27.09.2012   Jena, Stadtkirche St. Michael
von rls

Das alljährlich stattfindende Alte-Musik-Festival "Güldener Herbst" steht anno 2012 unter dem Motto "Musik und Reformation", also einem in der Vorschau aufs Reformationsjubiläum auch durchaus fünf Jahre zuvor schon präsenten und gar ein Themenjahr abgebenden Bereich. Zur Reformation gehört freilich auch die Gegenreformation, und bei Interesse grabe der Leser mal in der kulturgeschichtlichen Literatur nach, wie die Rekatholisierung in Polen oder im thüringischen Eichsfeld vonstatten ging - er wird hochinteressante Geschichten finden. Auch musikalisch war dem Heiligen Stuhl bald klar, daß man gegen die protestantischen Ketzer Position beziehen müsse, und zwar paradoxerweise sowohl gegen den Kirchenmusikfeind Calvin als auch gegen den Kirchenmusikpropagandisten Luther. Der sogenannte Palestrina-Stil lavierte irgendwo zwischen diesen beiden Extrempositionen hindurch und bildete die Grundlage für das Schaffen katholischer Kirchenmusik von Jahrzehnten, wenn nicht gar Jahrhunderten, bis schließlich die Cäcilianer im 19. Jahrhundert die Daumenschrauben fester anzogen, als es Calvin je für möglich gehalten hätte. Aber das ist wieder eine andere Geschichte - an diesem Abend in der leider nur überschaubar gefüllten Jenaer Stadtkirche St. Michael, übrigens einer authentischen Lutherstätte (der Reformator predigte dort etliche Male, und kurioserweise befindet sich sogar seine originale Grabplatte in der Stadt, während man in Wittenberg nur eine Kopie sehen kann - wie und warum das Original nach Jena gelangte, ist wieder ein kulturhistorisches Schmankerl, das der Leser bei Interesse selbst ergründe; hier sei nur angedeutet, daß die Jenaer und die Wittenberger Universität ihre Finger im Spiel hatten), steht Musik aus der frühen Periode der Gegenreformation, also dem 16. und den ersten Dekaden des 17. Jahrhunderts, auf dem Programm des Ensembles Le Concert Brisé, einer international besetzten Formation, die einen guten Ruf in der Alte-Musik-Szene besitzt und mit William Dongois einen renommierten Zinkenisten (übersetzt: eines Spielers des Oboenvorgängers Zink) an der Spitze hat.
Nun ist das mit der Authentizität, die der extremere Teil der Alte-Musik-Szene immer wieder einfordert, so eine Sache, denn neben den technischen Einrichtungen der Musikinstrumente haben sich ja auch die Hörerfahrungen des Publikums geändert. Puristen bekommen am besagten Konzertabend bisweilen graue Haare: Manche diskutieren, ob man bei Palestrinas eröffnendem "Viri Galilaei a sei" überhaupt Instrumente einsetzen dürfe oder solche Stücke nicht von vornherein a cappella spielen müsse, und Charles Racquet hatte in der Zeit, als er seine "Fantaisie" für Orgel schrieb, als Titularorganist in Notre-Damé de Paris ein mehrfach erweitertes spätgotisches Blockwerk als Orgel und nicht etwa eine neobarock intonierte und prinzipallastige Schuke-Orgel von 1962. Freilich kann man das Pferd auch anders herum aufzäumen: Gerade das Orgelstück entpuppt sich in der hellen Registrierung nämlich als richtiges Schmuckstück, dessen zahlreiche Trillergirlanden (unter denen gleich die eröffnende einen Schmunzler Richtung Bachs epidemischer d-Moll-Toccata wagt) dann erst richtig funkeln und das mit einem sehr transparenten, aber trotzdem raumfüllenden Klang sowie einem schönen Bombastfinale punkten kann. Genau an der Transparenz hapert es sonst in der schwierigen Akustik der Kirche nämlich (wobei der Rezensent wie üblich nur von seinem Platz aus urteilen kann - in gotischen Hallenkirchen treten bekanntlich oft immense Unterschiede innerhalb des Kirchenraums auf), worunter vor allem Gastsopranistin Julie Hassler zu leiden hat: In der ersten Programmhälfte ist sie kaum mal zu vernehmen, und wenn, dann nur in den höheren Passagen. Aber auch in den Instrumentalpassagen läuft sehr viel klanglich ineinander, was im erwähnten Palestrina-Opener dazu führt, daß die dynamische Entwicklung nach hinten heraus quasi im Mulm untergeht, während beispielsweise das von den Posaunen dominierte "Christus Vincit" von Eustache Du Caurroy durch das Ineinanderfließen der Blechklänge eine neue Qualität gewinnt, die über den Verlust der Klangtransparenz wenigstens etwas hinwegtröstet. Wie gut sich die Musiker vorn untereinander hören, darüber kann nur spekuliert werden, aber in Giovanni Gabrielis "Beata es virgo" beispielsweise legen Cembalo und Posaunen einen wenig tragfähigen Teppich unter die solierenden Stimmen, dem das letzte Quentchen Sicherheit zu fehlen scheint.
Kurioserweise wird die Lage in der zweiten Programmhälfte deutlich besser. Zum einen stehen dort einige Stücke in reduzierter Besetzung, etwa "Vadam et circuibo" von Tomas Luis de Victoria und Giovanni Battista Bovicelli, wo Zink, Truhenorgel und Cembalo trotz zahlreicher Verzierungen in der Zinkstimme ein recht ätherisches Klangerlebnis erzeugen, zum anderen hat sich das Ohr des Hörers offenbar zumindest ein wenig an die Verhältnisse gewöhnt und kann so auch im abschließenden "Dic Nobis Maria" von Heinrich Scheidemann nach Giovanni Bassano die Wanderungen der Verzierungen zwischen Zink und Violine mit gelegentlichen Ausflügen in die Posaunen besser nachvollziehen. Überhaupt ist das ein richtig interessantes Stück, auch wenn einige Generalpausen mit Neueinsatz den Fluß ein wenig zu stark herausnehmen. Dafür entdeckt man so etwas wie die Frühform der Solokadenz vorm Schlußton, intoniert nacheinander von Zink, Violine und Sopran - also etwas, was es nach strenger Kontrapunktregel eigentlich gar nicht geben dürfte ... Das Publikum spendet reichlich Applaus und wird noch mit zwei Zugaben belohnt, wobei die letzte ein Lied über eine vielerorts bekannte und für unterschiedlichste Zwecke genutzte Melodie (in deutschen Kirchenmusikkreisen bekannt als "Von Gott will ich nicht lassen") darstellt, die auch im regulären Set schon vorgekommen war, dort als Basis der drei "Fantasies sur une jeune fillette" von Eustache Du Caurroy. Ging es dort noch eher "gesittet" zu, so wirkt die Zugabe partiell pastoral, wartet dann aber mit wilden Zinksoli und sehr stark ziergirlandenbehängten Vocals auf und setzt ein interessantes Bild ans Ende eines interessanten Konzertes. www.amt-ev.de informiert den Interessenten über die weiteren Konzerte des Güldenen Herbstes.



www.Crossover-agm.de
© by CrossOver