www.Crossover-agm.de
Big Band der Hochschule für Musik und Tanz Köln   23.05.2012   Leipzig, Hochschule für Musik und Theater
von rls

Auf einer kleinen Hochschultour macht die Big Band der Kölner Musikhochschule auch bei den Leipziger Kollegen Station. Unglücklicherweise erwischt sie dabei einen richtig warmen Frühlingsabend, der eher in den Biergarten oder zu anderen Outdooraktivitäten einlädt als in den (nichtsdestotrotz sehr angenehm klimatisierten) Großen Saal im Hauptgebäude der Hochschule. Bandleiter Joachim Ullrich bedankt sich denn auch leicht schelmisch beim mächtigen Häuflein im Saal, daß es sich fürs Kommen entschieden habe - er selber hätte an einem solchen Abend wahrscheinlich auch eher eine andere Entscheidung getroffen ...
Aber die Nichtanwesenden verpassen ein zumindest als "interessant" zu betitelndes Konzert. Die Big Band besteht aus 13 (aus 13!) Bläsern, unter denen sich auch die einzigen weiblichen Bandmitglieder befinden, und dazu kommen neben dem Dirigenten noch ein Gitarrist, ein Pianist, ein Kontrabassist und ein Drummer. Die Abmischung stellt den Pianisten und besonders den Gitarristen ziemlich weit ins klangliche Abseits, ansonsten gelingt der Soundfraktion ein durchaus transparentes und umfassendes Klangbild. Das ist auch nötig, um die zahlreichen, teilweise abstrus wirkenden Ideen von Joachim Ullrich nachvollziehen zu können. Das Programm besteht nämlich ausschließlich aus dessen Kompositionen, acht an der Zahl, die zu zwei Suiten zusammengefaßt sind. Die "No Better Blues"-Suite füllt dabei die erste Konzerthälfte und erweist sich als die klanglich avantgardistischere der beiden - nicht was die Instrumentation angeht, sondern in bezug auf die Harmonik und Teile der Rhythmusarbeit. Ullrich verknüpft in durchaus interessanter Weise nämlich klassische Big-Band-Elemente mit atonalen Konzepten des 20. Jahrhunderts. Das gefällt freilich nicht jedem im Saal, und manche Idee ist nach nur einmaligem Hören definitiv noch nicht zu erschließen - aber dafür gibt es das Programm ja auch in konservierter Form. Jedenfalls erklingen die ersten beiden Stücke noch im direkten Übergang ineinander, wobei das erste auch später nicht mehr angesagt wird. Es hebt mit entrückt wirkenden Bandklängen an, in die die Bläser gelegentlich ein paar choralartige Effekte einstreuen, bevor der erwähnte Mix, nein, die Stilrichtung "atonale Big Band" zum Tragen kommt. Freilich wirken einige der Ideen etwas wie nach Schema F zusammengebastelt - in der ganzen ersten Suite beispielsweise solieren einzelne der Bläser nach hinten heraus vor immer voluminöseren Backingstimmen, so daß man sie irgendwann gar nicht mehr hört, was nach einer gewissen Zeit etwas zu langweilen beginnt. Dafür punktet der Kontrabassist in seinem effektvollen Solo hoch - von bodenloser Melancholie über wütende Perkussiveinwürfe bis hin zu einer Katze, die gerade eines ihrer Leben lautstark aushaucht, findet sich da alles. Freilich gerät der große melancholische Teil danach zu atonal-sperrig, als daß man da richtig Gänsehaut bekäme und tiefer mit dem "love-sick bass player", nach dem das zweite Stück der Suite, in dem wir uns jetzt gerade befinden, benannt ist, mitfühlen würde. Nach diesem zweiten Stück unterbricht Ullrich die Suiten jeweils zwischen den einzelnen Stücken, um kurze Moderationen zu tätigen (was er auch recht unterhaltsam hinbekommt, und hätte er es noch geschafft, die Namen der Solisten verständlich auszusprechen, und nicht den Fauxpas begangen, die Hörer zum Näherkommen aufzufordern ...). So erfährt die Hörerschaft, daß das dritte Stück das Titelstück der Suite ist. Hier zeigt der Gitarrist solierend sein Können, allerdings hat auch er gegen das entfesselte Blech im hinteren Soloteil keinerlei Chance, und so fällt dann nur noch der "Paukenschlag-Effekt" am Ende des Stückes auf. Das vierte und letzte namens "At Last" wiederholt diesen Effekt, enthält ein hübsches Pianosolo und gerät ansonsten so atonal wie viel des bisher gehörten Restes.
Etwas bodenständiger, aber in der Solostruktur zugleich vielseitig kommt die "Second Crime"-Suite daher, die den zweiten Programmteil füllt, noch brandneu ist und an diesem Abend erst zum dritten Mal live gespielt wird. "The Killer's Choice" arbeitet oft mit flächigen Klängen, setzt interessante Breaks, die Attacken des Killers darstellen könnten, und läßt durch das witzige Piano-Kontrabaß-Outro den Hörer schmunzeln. "Maigrets letzter Fall" ist das kürzeste und auch zugänglichste Stück des Abends, harmonisch nur selten die gewohnten Bahnen verlassend und als Soloinstrument eine komische Mixtur aus Trompete und Flügelhorn auffahrend, die im Klang aber eher an erstgenannte erinnert. "Trial And Error" besticht dann durch die interessante vielschichtige Struktur und ist recht dramatisch arrangiert, wobei manche Idee wiederum eine nähere Analyse zum Verständnis benötigen würde. Exempel: Das Sax-Solo wird hier mal nicht vom Generalbaßblech niedergetrötet, sondern von einem Posaunensolo abgelöst, welches allerdings so weit losgelöst vom Unterbau agiert, daß man sich mit dem Erkennen der Zusammengehötigkeit etwas schwer tut. Irgendwann hört dieses Solo dann einfach mal auf (der Dramatikkübel war offenbar leer), und es beginnt "Possibly A Mission Impossible", in dem sich Ullrich eine james-bond-typische Melodiestruktur ausgeliehen hat, die das Gitarrenthema fröhlich verarbeitet. Hier gibt es dann auch das erste und einzige Doppelsolo zu hören, einen Dialog zwischen Trompete und Posaune, den erstgenannte mit äußerst wilden Läufen dominiert. Überhaupt sind die Musiker offenbar alle recht fit, denn soweit man das als Außenstehender feststellen kann, sitzen die Rhythmusparts wie eine Eins, und auch im melodischen Bereich wissen die Beteiligten Überzeugendes zu leisten. Nur an die Atonalität muß man sich eben erst gewöhnen, und so reicht die Big Band den Hörern am Ende versöhnlich die Hand und spielt als Reaktion auf den doch recht ausdauernden Applaus "Maigrets letzter Fall", also das zugänglichste der acht Stücke, nochmal, da man keine andere Zugabe vorbereitet hat. So enden durchaus interessante, wenngleich auch fordernde und nicht leicht zugängliche anderthalb Stunden.



www.Crossover-agm.de
© by CrossOver