www.Crossover-agm.de
Elisabeth - das Musical   30.03.2012   Chemnitz, Stadthalle
von rls

Die Geschichte der österreichischen Kaiserin Elisabeth aka Sisi oder Sissi und ihres Gemahls Franz Joseph wird wohl noch für etliche Generationen automatisch mit den Böhm-Schneider-Filmen verknüpft sein. Daß diese ein nicht nur einseitiges, sondern auch verzerrtes Bild der Biographie der bayrischen Prinzessin und ihres Cousins/Gemahls zeichneten, ist jedem klar, der sich etwas intensiver mit der Lebensgeschichte des Paares auseinandergesetzt hat. Das 1992 uraufgeführte Musical "Elisabeth" von Michael Kunze und Sylvester Lewang offenbart eine ganz andere Lesart der Geschichte, deren äußerst düsterer Tenor in den 1950ern, als die Erinnerung an die Katastrophe des Zweiten Weltkrieges noch recht frisch war, keine Chance gehabt hätte. Aber auch heute noch verwundert der Erfolg, den das äußerst düstere Musical einfahren konnte - immerhin soll es das erfolgreichste deutschsprachige Musical überhaupt sein. Zum 20jährigen Jubiläum geht nun eine Produktion auf Basis einer Inszenierung an den Vereinigten Bühnen Wien auf Tournee und macht an fünf Tagen auch in der Chemnitzer Stadthalle Station.
Die grundsätzliche Geschichte rühren Kunze und Lewang natürlich nicht an - aber sie geben ihr eine interessante Gewichtung mit der starken Präsenz zweier Hauptfiguren. Der Anarchist Luigi Lucheni, der Elisabeth eher zufällig ermordet, weil sein eigentlich geplantes adliges Opfer gerade nicht greifbar war, bekommt eine Art Moderatorfunktion zwischen dem eigentlichen Geschehen und der zweiten Hauptfigur: dem Tod. Der kommt in der Eröffnungsszene in Weiß daher (erst ab dem nächsten Auftritt wechselt er wieder in Schwarz und ganz zum Schluß wieder in Weiß - und er ist interessanter- wie logischerweise auch die einzige der Bühnenfiguren, die während der ganzen Handlung nicht altert) und umgarnt Elisabeth immer wieder, holt sich, wenn er sie selbst schon nicht bekommt, regelmäßig jemanden aus ihrem Umfeld, sprengt ihre Hochzeitsfeier - und kann doch auf ein starkes Interesse an seiner Welt seitens Elisabeth rechnen, die ihm als junges Mädchen noch furchtlos ins Auge blickt und sich später mit ihm zu arrangieren beginnt, auch wenn sie paradoxerweise zum Zeitpunkt des Mordes nicht unbedingt in suizidaler Laune war. Die Brüche innerhalb dieser Figur arbeiten Kunze und Lewang ebenso stark heraus wie das Kreativteam dieser Inszenierung. Der Emotion von "Nichts ist schwer, solang du bei mir bist./Es fehlt mir nichts, wenn du nur bei mir bist." kann man sich wohl auch dann nicht entziehen, wenn man gerade nicht frisch verliebt ist, aber daß Elisabeths und Franz Josephs Stimmen hier eben nicht ganz perfekt miteinander harmonieren, stellt, wenn es denn regieseitig beabsichtigt war, schon einen kleinen Fingerzeig auf schwere Zeiten dar, die Egoistenhymne "Ich gehör nur mir" (brillante Gesangsleistung Elisabeths!) weist schon in eine andere Richtung, und im Konflikt mit ihrem Sohn Rudolf erkennt man überdeutlich, daß Elisabeth über die Jahre hin genauso verknöchert geworden ist wie ihre herzlich gehaßte Schwiegermutter Sophie früher, was übrigens auch optisch einen Widerhall findet. Überhaupt besticht die Inszenierung nicht zuletzt in ihrer Detailverliebtheit: Da wird die Drehbühne beim letzten Versöhnungsversuch Elisabeths und Franz Josefs in "Wir sind wie zwei Boote in der Nacht" so programmiert, daß die beiden nicht zueinander finden können, da bläst in der Krönung als ungarische Könige ein Livetrompeter auf der Bühne, da grinst man über die herrlich altmodische Pferdeszene der restaurativen Kräfte (wohl wissend, daß es sich um bitteren Ernst handelt), da sind die Schilder eines Demonstrationszuges unbeschriftet, und da wirkt einzig die Naziszene dann doch etwas zu dick aufgetragen und berührt den Hörer eher peinlich (und das dürfte nicht die Absicht gewesen sein). Ansonsten überzeugt die Inszenierung ohne Wenn und Aber, und daß sie zwischenzeitlich kurz unterbrochen werden muß, weil die Bühnentechnik mal kurz nicht das getan hat, was sie sollte, ist verzeihlich und trübt die Stimmung nicht. Apropos Technik: Die Feinjustierung der Überkopfmikrofone ist exzellent, und nachdem auch die Abmischung mit dem hinter den Kulissen unter Leitung von Hauke Wendt musizierenden Liveorchester einige Anfangsschwierigkeiten überwunden hat, stimmt für den Rest des Abends nahezu alles. Wäre auch schade gewesen, hätte man nicht die Leistung der Sänger würdigen können: Es ist schon die zweite Vorstellung des Tages, und einige haben äußerst anspruchsvolle Passagen zu singen - aber keine Stimme zeigt Erschöpfungserscheinungen, der Tod und der Anarchist qualifizieren sich schon in ihrem Eröffnungsduett für den Sängerposten jeder beliebigen Power-Metal-Band, und Elisabeths brillante weiche Höhe am Ende der Irrenhaus-Szene läßt auch dem abgebrühten Hörer den einen oder anderen Schauer über den Rücken laufen. Freilich: Daß man in einer etwas seltsamen Stimmung die Halle verläßt, liegt am Sujet bzw. dessen Aufarbeitung, und damit muß man erstmal klarkommen. Wenn man dazu in der Lage ist, steht der Ansprache als interessantes Hörerlebnis nichts im Wege. Auf dem Weg zum Parkplatz dröhnt schließlich Led Zeppelins "Kashmir" aus der Flowerpower-Bar und rundet den seltsamen, aber interessanten Abend auf ganz unvorhergesehene Weise ab.



www.Crossover-agm.de
© by CrossOver