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Amsterdam Klezmer Band   27.03.2012   Leipzig, Werk 2
von rls

Seit anderthalb Dekaden macht die Amsterdam Klezmer Band die Clubs Hollands und zunehmend auch Resteuropas unsicher, hat unlängst mit "Mokum" ein "Live in the studio"-Album, also eins, das vor einer handverlesenen Anzahl Anhänger mitgeschnitten wurde, herausgebracht und nimmt dieses natürlich zum willkommenen Anlaß, wieder einmal auf Clubtour zu gehen und auf die besagten anderthalb Dekaden des Schaffens zurückzublicken, mitunter sogar ganz weit zurück, denn einige der Livetracks stammen noch von den allerersten Tonträgern aus dem letzten Jahrtausend, und diese bestanden noch aus Magnetband und nicht aus Silizium. Die Toursetlist ist natürlich an das Livealbum angelehnt, entspricht diesem aber nicht hundertprozentig - zum einen dauert das Konzert ein gutes Stück länger als die knapp 80 Minuten, die auf eine normale CD passen, und zum anderen wären die Holländer ja auch schlecht beraten, wenn sie etwa einen Kracher wie "Katla", den Titeltrack des 2011er Albums, nicht spielen würden.
Aber der Reihe nach: Ein paar Minuten nach 21 Uhr kommen im Dunkeln sieben Herren auf die Bühne und beginnen zu spielen - ohne Intro, völlig unprätentiös, man ist einfach da und legt los. Freilich könnte der Hörer die Eröffnungsnummer "Kolbaszok" durchaus als eine Art Intro interpretieren: Mit einer Ausnahme soll es der langsamste Song der ganzen Setlist bleiben, und über die Midtemponummer "Naie Chuppe" erreicht die Amsterdam Klezmer Band schließlich mit "Takaj Zhizn" das recht flotte Tempo, das dann weite Teile des Hauptsets prägen wird, allerdings durchaus in so vielfältigen Variationen, daß dem Hörer auch dann, wenn er zur Zunft der Tanzbeinverweigerer zählt, nicht langweilig werden dürfte. Apropos Tanzbein: Klezmer mit leichter Ska-Beimischung ist ja generell mit einem sehr hohen Tanzbeinschwingfaktor ausgestattet, nur bleibt dieser skurrilerweise an diesem Abend teilweise Theorie, und der Rezensent stellt die These auf, daß die Holländer wohl selten vor so einem merkwürdigen Publikum gespielt haben dürften. Normalerweise ist es ja so, daß vor der Bühne der Bär tobt, und die Beobachterfraktion steht dann weiter hinten. Diesmal bewegen sich die ersten fünf, sechs Reihen kaum, und für ausgiebigere Bewegungsaktivitäten nutzen einige Enthusiasten den Raum weiter hinten. Der allgemeinen Stimmung tut dies freilich keinen Abbruch, das Septett erntet viel Applaus, und auch Mitsingspielchen enden trotz ausgeprägt mangelnder Textkenntnis nicht im Fiasko. In der Setlist mischen sich Gesangs- und Instrumentalnummern munter, die Instrumentenzuordnung erfordert bisweilen eine gewisse Flexibilität, wenn etwa Percussionist Alec ans Frontmikro tritt (er tut das immer dann, wenn die betreffenden Lieder einen ukrainischen Background haben - er stammt aus Odessa und sieht aus wie eine Mischung aus Theo Waigel und dem einstigen Musiklehrer des Rezensenten an der Polytechnischen Oberschule "Kurt Kresse" Prießnitz) und dann etwa Posaunist Joop die Percussion übernimmt, die allerdings zumeist nur aus einem kleinen Becken besteht. Trotzdem ist der rhythmische Faktor zur Erzeugung der Tanzbarkeit stark genug, und die Band kann sich sogar erlauben, mit dem "Magnificient Seven Medley" ein Konglomerat aus Stücken in Siebener-Taktarten zu bringen und das Publikum damit vor die immens schwere Aufgabe zu stellen, hierfür ein passendes Bewegungsmuster zu finden. Immer wieder duellieren sich die Instrumentalisten, alle dürfen auch mal solistisch arbeiten (ja, auch Bassist Jasper - und der ist ein Könner an seinem Instrument!), und Saxophonist Job führt mit guter Laune durchs Programm, dessen eindringlichster Moment auf das Konto des Posaunisten geht: Die ergreifende Halbballade "Bi Gouldji", gewidmet seiner Mutter und mit einem langen melancholischen Posaunensolo anhebend, bevor sich ein schwermütiger Hauptteil anschließt (und das, obwohl laut Ansage die Mutter noch unter den Lebenden weilt), läßt nicht nur der Begleiterin des Rezensenten den einen oder anderen Schauer über den Rücken laufen. Im letzten Setdrittel nimmt das Septett übrigens das Tempo etwas heraus, so daß der vierteilige Zugabeblock im Prinzip nur noch aus Midtemponummern besteht - aber das ist manchem schon etwas ausgepowerten Tänzer auch ganz recht so, zumal mit dem bereits erwähnten "Katla" ein wahres Monument diesen Block eröffnet, eine Art naturalistisches Tongemälde eines Ausbruchs des titelgebenden isländischen Vulkans, dessen zerstörerisches Potential den des eher harmlosen Exemplars von 2010 mit dem unaussprechlichen Namen weit übertrifft. Die Holländer können also weit mehr, als "nur" simple Tanzmusik zu machen (wobei auch deren eingestreute Exempel sehr hörenswert sind), und sie setzen übrigens weitgehend auf Eigenkompositionen. An diesem Abend hat freilich niemand auf "Hava Nagila" gewartet - der Gig funktioniert so, wie er ist, und nach der vierten Zugabe ziehen alle glücklich von dannen oder plaudern am improvisierten Merchandisingstand (zwei CD-Kisten stehen am linken Bühnenrand) noch ein wenig mit den sympathischen Musikern.

Setlist:
Kolbaszok
Di naie Chuppe
Takaj Zhizn
Di zilberne Chassene
Der fryske Bulgar
Chassid
Bi Gouldji
A sheine Welt
Banat
Magnificient Seven Medley
Marusja
Op een Goppe
Pluk
Son
Naie Kashe
Oscar's Cocek
Geen Sores
Gogol Mogol
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Katla
Papa Chaj.
Limonchiki
Terki She.



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