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Pariser Leben   28.01.2012   Dresden, Staatsoperette
von ju

Bunte Bilder, hektisches Treiben und kleine Intrigen. So ist das Pariser Leben in Jacques Offenbachs gleichnamiger Operette. Und es beginnt um 8.30 Uhr - und zwar aus dem Grund, da zwei der Hauptdarsteller - Raoul de Gardefeu (Frank Ernst) und Bobinet Chicard (Bryan Rothfuss) - am Bahnhof auf die gleiche Frau warten. Um sie herum herrscht reges Treiben. Da sind die Polizisten, die nur im Pulk unterwegs sind und sich um die Aufmerksamkeit einer Frau reißen, ein Priester und ein Franzose - Franzose, weil: rot-weiß gestreiftes Shirt, Baskenmütze und Baguette unterm Arm - wagen erste Annährungsversuche und eine Frau, die wohl dem Bild "Die Freiheit führt das Volk" von Eugène Delacroix entsprungen ist, schwenkt die französische Fahne. Alles wirkt ein bisschen zu aufgesetzt, zu überspitzt und zu angestrengt französisch.
Einst waren die Kontrahenten Freunde, doch ihre Leidenschaft für die gleiche Frau trieb sie auseinander. Die schöne Métella ist bereits dafür bekannt, ihre Liebhaber des Öfteren zu wechseln. Daher ist es nicht verwunderlich, dass sie, als sie am Pariser Bahnhof ankommt, in Begleitung eines anderen Mannes erscheint. Irgendwie sind die Herren aber doch überrascht und folglich beleidigt. Vereint im Schicksal der Entehrten begraben sie ihren Streit und ziehen die einzig logische Konsequenz aus diesem Vorfall: Von nun an wollen sie ihre niederen Bedürfnisse und den übertriebenen Charme nur noch den wohlhabenden Damen widmen und sich gegenseitig in diesem Vorhaben unterstützen. Zusammen mit dem Chor schmettern sie ihre neue Mission in den Publikumssaal. Leider ist der Text kaum zu verstehen und die Tempounterschiede zwischen Orchesterbegleitung und Chorgesang machen es dem Publikum nicht leichter.
Sogleich ergibt sich für Raoul und Bobinet die erste Gelegenheit. Sie erfahren, dass der schwedische Baron Lars-Mikael de Gondremarck (Elmar Andree) mit seiner Gemahlin Christine (Jessica Glatte) in Kürze eintreffen wird. Die einfallsreiche Idee der Kavaliere ist es, dass Raoul sich als Fremdenführer des Grand Hôtels ausgibt, das schwedische Paar in seiner Wohnung einquartiert und dann nach einer Gelegenheit sucht, die schwedische Baronin zu verführen. Wie praktisch, dass Baron und Baronin sowieso unterschiedliche Vorstellungen der Abendgestaltung haben! Ab hier braucht man die Handlung kaum weiterzuerzählen. Natürlich möchte sich der Baron in das Amusement-Leben von Paris stürzen und Pariserinnen kennenlernen, während seine Frau die Oper besucht. Sichtlich erregt und noch offensichtlicher mit rhythmischer Unsicherheit singt er von den Reizen dieser Stadt und seiner Absicht, sich "in den Strudel" der weiblichen Gesellschaft zu stürzen.
Um den Wunsch des Barons kümmert sich Bobinet. Da das Haus seiner Tante für kurze Zeit unbewohnt ist, veranstaltet er dort eine Party, auf der seine Freunde und Bediensteten als adlige Gäste auftreten. Vorrangig sind die Frauen dazu angehalten, den Baron zu bezirzen - was sie mit Vorliebe tun, als hätten sie sonst keine Gelegenheit dafür. Dabei sieht es so aus, als würden sie den ganzen Tag nichts anderes machen. Genauso ist es mit der Männerschaft. Eine Frau in ihrer Nähe verhindert das Konstruieren kompletter Sätze und strukturierter Gedanken. Die animalischen Instinkte überwiegen. Raoul versucht zwanghaft Christine nach ihrem Opernbesuch zu verführen, doch gelingt es ihm nicht, da diese seine Absicht bereits durchschaut hat. Dennoch genießt sie seine Annäherungsversuche und geht ihrerseits darauf ein.
Irgendwann ist dieses Sich-Anbiedern und Aufeinander-Abfahren nur noch anstrengend. Leider ist das ein Problem vieler Operetten und sollte daher vielleicht einmal nicht in einer Inszenierung berücksichtigt werden. Im "Pariser Leben" unter der Regie von Jasmin Solfaghari ist das ganze Flirten sowie die sexuellen Anspielungen etwas zu übertrieben. Der einzige Charakter, der von dieser Besessenheit befreit scheint, ist Alphonse (Dietrich Seydlitz), der Diener von Raoul, welcher noch dazu schauspielerisch eine sehr überzeugende Leistung präsentiert. Auch Christian Grygas glänzt in drei verschiedenen Rollen, wobei er den Charakter des Schumachers und Fußfetischisten Jean Frick am glaubhaftesten verkörpert.
Seinen farbenfrohen Höhepunkt erreicht das Stück, als endlich die vom Publikum herbeigesehnten Cancan-Tänzerinnen die Bühne bevölkern. Die Röcke wedeln herum, die Beine fliegen hoch und die Begeisterung im Zuschauerraum steigt. Untermalt wird das Geschehen vom ohrenbetäubenden Geschrei der Tänzerinnen, das wie Silvesterraketen durch die Publikumsreihen zischt.
Am nächsten Tag trifft sich der Baron mit der ihm empfohlenen Métella. Doch auch das bleibt nicht unbemerkt, da nicht zuletzt Métella gemeinsame Sache mit der Baronin macht. Sie treffen sich auf einem vom brasilianischen Star inszenierten Maskenball und werden dort von Christine und weiteren Gästen entlarvt. Trotz des Theaters der Pariser Gesellschaft und der Untreue ihres Gatten muss Baronin de Gondremarck feststellen, dass weder sie noch ihr Mann sich gelangweilt haben. Im Gegenteil, sie haben sich sehr amüsiert und dafür verzeihen und danken sie ihren Gastgebern. Auch das Publikum dankt - immerhin war es ein kurzweiliges Stück, das in keiner Weise die Anstrengung unserer Gehirnzellen forderte. Schade nur für den, der genau das gerne möchte!






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