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Noël   20.12.2011   Leipzig, Hochschule für Musik und Theater
von rls

Seit September 2011 ist Maike Bühle künstlerische Mitarbeiterin für Chordirigieren an der Hochschule für Musik und Theater Leipzig, und in dieser Funktion hat die burschikos wirkende Berlinerin auch das Dirigat des Hochschulchores übernommen. Vier Tage vor Heiligabend gibt sie im gut gefüllten Großen Saal der Hochschule das Antrittskonzert mit "ihrem" Chor, natürlich weihnachtlich terminiert, regional allerdings in Frankreich angebunden, wie der Konzerttitel schon nahelegt. Noch bevor man als Zuschauer den ersten Ton gehört hat, fällt das simple, aber stimmungsvolle Lichtmanagement positiv auf und versetzt einen nicht nur aufgrund des rot und grün angestrahlten Orgelprospektes an der Bühnenrückwand in eine gewisse festliche Stimmung, bevor das Konzert mit der Motette "Quam dilecta" von Camille Saint-Saëns beginnt. Und Bühle hat offensichtlich einiges an Arbeit in den Chor investiert: An der Exaktheit gibt es wenig zu mäkeln, die Schichtungen sitzen (an die Powerobergrenze muß der Chor hier noch nicht geführt werden), und das zauberhafte Piano im "Amen"-Schluß wird stimmungsseitig nur durch die knisternde Raumtechnik torpediert.
Das folgende Stück von Gabriel Fauré heißt schlicht und einfach "Noël" und ist für die Besetzung Sopran, Klavier und Orgel konzipiert. Die Kombination der Tasteninstrumente mutet zunächst eigenartig an, aber es zeigt sich eine konsequente Funktionstrennung: Hyen Jin Yoo am Klavier spielt perlende Läufe, So Jin Jeong legt hauptsächlich Klangteppiche im Subbaßbereich darunter, die das Klavier beim besten Willen nicht zu erzeugen in der Lage wäre. Sopranistin Katrin Le Provost setzt dem hübschen Stück mit ihrem kräftigen, aber leicht gedeckten und daher angenehm unschrillen Sopran das Sahnehäubchen auf.
So Jin Jeong, die das komplette Programm an der Orgel bestreitet, darf danach solistisch arbeiten, nämlich mit dem Allegro vivace aus der 5. Orgelsinfonie von Charles-Marie Widor. Wenn es hier lauter zugeht, entsteht auch in der recht klaren Akustik des Saales eine Andeutung des typischen französischen Kathedralmulms, aber so schüchtern sich die Tastenartistin auch hinterher beim "Abholen" des hochverdienten Applauses zeigt, so vielfarbig und lebendig hat sie vorher registriert. Herauszuheben wären die kreisenden Echoeffekte und die zirkusreife Schlittenfahrt (remember: Weihnachtsprogramm!), und der schöne Bombastschluß kommt ohne klangliches Erdbeben aus.
Charles Gounod ist im nächsten zu hörenden Fall auch kein anderer Titel als "Noël" eingefallen. Abermals gibt es die Kombination Klavier plus Orgel zu hören, allerdings diesmal noch um zwei Gesangssolistinnen und die Chordamen verstärkt - ein gefährlicher Cocktail, der schnell im klanglichen Chaos enden kann. Aber Bühle und ihre Mitstreiterinnen finden eine erstklassige Balance, die als einziges kleines Problem offenläßt, daß Altistin Britta Glaser gegen den zum Schluß ihres Parts aufdrehenden Chor dann doch keine Chance mehr hat. Wie man Katrin Le Provosts durchdringende Stimme aber noch aus einem ordentlich lauten Background deutlich heraushört, ist schon beeindruckend (sie sollte Wagner singen ...), das gesamte Dynamikmanagement stimmt, und nur der Schlußton gerät zu einem fröhlichen Durcheinander.
Mit Camille Saint-Saëns' "Oratorio de Noël" steht das Hauptwerk des Abends auf dem Programm, und man kehrt von der französischen Sprache wieder in die lateinische zurück - oder besser ins sogenannte Pariser Latein, also ein französisch eingefärbtes, das erst im 20. Jahrhundert in Frankreich ausstarb und zu den Zeiten, als die Werke dieses Abends geschrieben wurden, gang und gäbe war. Möchte nicht wissen, wie viele der Choristen dann im puren Automatismus vier Tage später in ihren heimischen Weihnachtsgottesdiensten weiter "Christüs" und "Allelüja" gesungen haben :-) Zu hören ist das Werk in der Bearbeitung von Paul Horn für fünf Gesangssolisten, Chor und Orgel, und es funktioniert in dieser Form tadellos. Das Orgelintro macht seinem Untertitel "dans le style de Seb. Bach" alle Ehre, bevor es dann doch typisch französisch weitergeht. Das Alt-Bashing geht hier übrigens munter weiter, und weil der Komponist das wußte, hat er Teil 8 so komponiert, daß Britta Glaser hier nicht mit den anderen Sängern, sondern als bewußter Gegenpol zu diesen zu agieren hat, so daß man ihre schöne Stimme endlich auch mal richtig hört. Sopranistin Paola Kling, Bariton Vincent Gühlow und Tenor Jannes Philipp Mönnighoff bestechen schon in Teil 2 mit sehr klarer Deklamation, Meredith Nicoll offenbart in Teil 3 einen eher "kleinen" Mezzosopran, bekommt aber enorm viel Spannung in den Schluß, und das ist eine Tugend, die an diesem Abend noch mehrmals zum Tragen kommt. Auch die Chorschichtungen sitzen: Wie Bühle in Teil 6 die powervollen Passagen in ein Flüstern abwürgt, ist großes Kino, für das die scheue Organistin in Teil 5 mit zirkuskompatiblem Spiel schon die Bahn bereitet hat. Der von der hier äußerst flüssigen Orgel eingeleitete Sangeswettkampf in Teil 7 geht unentschieden aus, und im abschließenden Teil 9 (bisweilen wird der Schlußchor auch als gesonderter Teil 10 betrachtet) mündet ein asterixkompatibles cineastisches Intro in geschlossene homophone Passagen, bevor der genannte Schlußchor das Ganze mit Feierlichkeit und gelungenen Forte-Piano-Wechseln in den Wiederholungen beendet, und selbst der wieder zu lange Orgel-Schlußton verhindert nicht das Spenden intensiven, langanhaltenden und verdienten Applauses.



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