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The Notwist, Saroos   10.11.2011   Leipzig, Conne Island
von mi

Der ursprüngliche Plan war es eigentlich, dieses Novemberwochenende zum Rolling Stone Weekender am Weißenhäuser Strand zu fahren und innerhalb kürzester Zeit solch überragende Bands wie Fleet Foxes, Wilco, The Notwist, Elbow und Death Cab For Cutie live zu erleben. Nachdem dieses Unterfangen aus logistischen Gründen doch nicht stattfinden konnte und man kaum wusste wohin mit seiner Trauer, da erschien es wie ein kleiner Lichtblick, als man las, dass nur einen Tag vor besagtem Wochenende The Notwist auf Einladung des Conne Island zu deren 20jährigen Jubiläum in Leipzig ihren Backkatalog zum Besten geben werden. Schon war man nicht mehr ganz so traurig und fieberte diesem so lang ersehnten Abend entgegen, an dem man endlich Deutschlands einflussreichste Popband der letzten fünfzehn Jahre live erleben werde.
Die Erwartungen sollten nicht enttäuscht werden, nein, ganz im Gegenteil: All die Erwartungen waren nichts im Vergleich zu dieser an gefühlvollem Perfektionismus nicht zu übertreffenden Liveperformance, deren Zeuge man an diesem Abend werden durfte.
Doch beginnen wir am Anfang. Ein Schild am Eingang des Islands verkündete "Das Konzert mit Notwist ist ausverkauft". Gut, davon war auszugehen, schließlich ist das Conne Island größentechnisch überschaubar und The Notwist füllen auch schon mal Stadien.
Völlig unbeeindruckt davon betraten die drei Musiker - Bassist, Drummer und Elektroniker - des Supports Saroos die Bühne und flochten einen Instrumentalteppich aus knisternden, wohligen und vom Synthibass durchdrungenen Elektroklängen, die durch das präzise, dynamisch sehr aufregende Schlagzeug zu einem aufregenden Instrumentalsound verschmolzen. Geschulten Ohren fiel auf, dass das Schlagzeug stereo über die Boxen lief, so dass von links und rechts verschiedene Elemente des Schlagzeuges zu hören waren, was im Zuhörerraum für ein ganz besonderes Klangerlebnis sorgte. Das Publikum konnten sie damit leicht für sich gewinnen, die Musik passte aber auch in jeglicher Hinsicht in das Vorprogramm von The Notwist, was wiederum nicht verwunderlich war, denn Saroos gehören zu dem glücklichen Auserwähltenkreis, der auf dem The Notwist-Label Alien Transistor veröffentlichen durfte.
In der anschließenden kurzen Umbaupause blieb wenig Zeit, das Gehörte verarbeiten zu können, schließlich war man als interessierter Zuhörer äußerst gespannt auf das Equipment, das The Notwist mitbrachten, und versuchte möglichst viele Blicke auf eben jenes zu erhaschen. Doch man konnte kaum vorbereitet sein auf das, was noch kommen sollte. Kurz nach zehn Uhr betraten die sechs Musiker die Bühne, darunter auch Max Punktezahl und Andi Haberl, die schon bei Saroos als Bassist bzw. Drummer auf der Bühne standen (letzterer aber nur als Aushilfe), und schüttelten mal eben mit "Day 7" das erste von vielen Highlights dieses Abends aus dem Ärmel. Wer bis zu diesem Zeitpunkt daran zweifelte, dass es möglich sei, solch komplexe Songs live darzubieten, der wurde in diesem Moment eines Besseren belehrt: Jeder Effekt, jeder Beat, jede kleinste Facette waren zu hören, an keiner Ecke wurde gespart, wunderbar! Bei "On Planet Off" wurde einem dann erst einmal klar, womit der für die Elektronik zuständige Martin Gretschmann seine Effekte abfeuerte: mit zwei konventionellen Wii-Controllern. Eine Selbstkonstruktion aus zwei Micro-Keyboards, einem Infrarotempfänger und eben jenen zwei Wii-Controllern ermöglichte ihm, an vielen Stellen ausschließlich über die insgesamt vier Knöpfe der Fernbedienungen seine Effekte präzise und in einer dazu noch sehr bequemen aufrechten Haltung einzustreuen. Wenn das nicht innovativ ist - vielleicht sollte er mal über ein Patent nachdenken. Auch Sänger und Gitarrist Markus Acher hatte eine äußerst spannende Gerätekonstellation vor sich stehen: einen alten Plattenspieler, der mit einem Korg Kaosmixer verknüpft war, was ihm ermöglichte, neben dem Gesang und dem Streuen von Gitarrenakkorden Samples von mitgebrachten Vinylplatten einzuspeichern und beliebig zu loopen. So langsam wurde einem das Ausmaß an Professionalität, verfeinert mit einer gesunden Prise an technischer Raffinesse, bewusst, mit dem The Notwist an ihre Livesets gehen. Der alte analoge Korg-Synthesizer, der nebenbei von Max Punktezahl bedient wurde, bestärkte diese Erkenntnis nur noch mehr. Man bekam über das Set hinweg mehr und mehr das Gefühl, dass sich einem hier soeben das technische sowie künstlerische Nonplusultra der Livemusik offenbarte, und wurde in dessen Bann gezogen, bevor man Neon Golden sagen konnte. Neben all dem Equipment fand sogar noch ein Glockenspiel auf der überschaubaren Bühne des Conne Island Platz, das von Karl Ivar Refseth - genau wie Andi Haberl ein Mitglied des Andromeda Mega Express Orchestras - mit vollem Körpereinsatz und nicht nur mit herkömmlichen Mallets sondern auch mit Bassbögen bearbeitet wurde und so für einen noch volleren Klang sorgte. Während des ganzen Konzertes war aber vor allem Drummer Andi Haberl mit seiner unaufgeregten Art und Weise des Schlagzeugspiels omnipräsent. Noch nie habe ich solch eine perfekte Mischung aus filigranem Spiel und Präzision erlebt. Seine dynamisch extrem facettenreichen Beats fügten sich in den The Notwist-Sound ein, als wären sie geschaffen dafür und harmonierten sehr schön mit den Bassspuren von Micha Acher. Man nahm ihnen allen sofort ab, dass es ihnen schlicht und ergreifend um die Musik geht und sonst nichts - und das Publikum merkte sehr schnell, dass The Notwist Freude an diesem Auftritt hatten. Mit den Schallwellen übertrug sich eine selten erlebte Harmonie zwischen Band und Publikum.
Nach zwei ganzen Stunden voller Höhepunkte (unter anderem dem Song "Beat On Us" von der gerade in Produktion befindlichen neuen Platte) und drei Zugabenblöcken war das Konzert kurz nach Mitternacht vorbei, doch die Eindrücke sind bis jetzt nicht verarbeitet. Dieser Abend hat gezeigt, warum The Notwist in der Popszene als so wegweisend und beeinflussend angesehen werden: aufgrund ihrer bedingungslosen Hingabe zu ihrer Musik und einer Grundehrlichkeit sich gegenüber. Ich persönlich muss nach diesem Abend mein Weltbild, was das Thema Liveperformance angeht, grundlegend überdenken, und es bleibt mir letztlich nur zu sagen: Danke, The Notwist, für diesen neongoldenen Abend!

Setlist:
1. Day 7
2. On Planet Off
3. Pick Up The Phone
4. Where In This World
5. This Room
6. Puzzle
7. Gloomy Planets
8. Neon Golden
9. One With The Freaks
10. Off The Rails
11. Beat On Us
12. Gravity
13. Devil You + Me
14. Boneless
15. Pilot
16. Trashing Days
17. Good Lies
18. Chemicals
19. Consequence
20. Gone, Gone, Gone






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