www.Crossover-agm.de
Cabaret   21.10.2011   Dresden, Staatsoperette
von ju

"Life is a Cabaret" - davon ist zumindest Sally Bowles, die singende Attraktion des Kit-Kat-Club in Berlin, überzeugt. Selbstbewusst und charmant präsentierte sie dem Publikum der Staatsoperette Dresden am Abend des 21. Oktobers diese Haltung. Das Musical von John Kander selbst beschrieb, warum das so ist. Trommelwirbel. Eine große, rot gefärbte Clownsmaske agiert auf der sonst kalten und leeren Bühne. Hinter ihr versteckt sich der Conférencier des Kit-Kat-Cub: "Buh" - ah ja, wer hätte das gedacht. Und los geht's: "Willkommen, Bienvenue, Welcome", begrüßt er das Premierenpublikum. Sogleich wird klar, dass er eine zwiespältige Persönlichkeit ist. "Hier bei uns ist das Leben wunderschön" - so ganz glauben mag man ihm das nicht. Erst recht nicht, als die Tänzerinnen in absichtlich dilettanter Manier auf die Bühne tippeln und ihre Choreographie beginnen.
Die Handlung beginnt mit dem Hauptdarsteller Clifford Bradshaw (gespielt von Marcus Günzel), einem Schriftsteller, der nach Berlin kommt, um einen Roman zu schreiben. In der Bahn lernt er Ernst Ludwig (Christian Grygas) kennen, der ihm ein Zimmer in der Pension von Fräulein Schneider vermittelt und fortan bei ihm Englischunterricht nimmt. Pünktlich zum Jahreswechsel erscheint Cliff im Kit-Kat-Club und erlebt den Auftritt von Sally (Frederike Haas). Es ist das Jahr 1930. Die Weimarer Republik zerfällt, die Weltwirtschaftskrise breitet sich aus und die Macht der Nationalsozialisten nimmt zu - das ist nun jenes Umfeld, das Cliff für seine Schriftstellertätigkeit bereitsteht. Doch wird er nicht zum Schreiben kommen, denn schon nach kurzer Zeit zieht Sally, gerade arbeitslos geworden, zu ihm in die Pension. Sie verspricht ihm eine berauschende Zeit und zieht Cliff in die eigene Show- und Partywelt hinein.
Bis hierhin erstmal: Das Stück ist unterhaltsam und auch die Musik ist interessant. Inspiriert vom Jazz der 20er und 30er Jahre verfehlt sie keineswegs den Broadway-Stil und integriert darüber hinaus Klänge eines Jahrmarkts. Diese Assoziation wird im Bühnenbild bekräftigt. An dieser Stelle ist ein Lob an die Inszenierung angebracht. Eine riesige rote Wand mit diversen Clownsmasken begrenzt den Raum nach hinten. Die Nasen der Clowns sind mit Glühbirnen bestückt, die, wenn sie ihre volle Leuchtkraft entfalten, die Bühne wie ein Varieté erscheinen lassen. Wird das Licht gedimmt, erscheint das böse Lachen der fiesen Gesichter. Nach einer Weile erkennt der Zuschauer sogar die Fratze einer Hitler-Maske, die dem Treiben im Cabaret beiwohnt. Um die These von Sally, das ganze Leben sei ein Cabaret, zu bestätigen, finden der Conférencier und seine Girls Eingang in alle Geschehnisse. Sie machen es sich in Cliffs Pensionszimmer gemütlich und beteiligen sich an Sallys Tagträumen über ihre künftige Karriere als großer Bühnenstar. Nicht zu übersehen und der selben Intention folgend, schwebt immer wieder eine überdimensionale Discokugel über den Köpfen der Darsteller. Sie ist das Symbol einer Cabaret-Welt, wie sie von Sally gelebt wird. Und nicht nur von ihr.
Weiter geht's: Während Sally und Cliff sich ineinander verlieben, passiert Ähnliches in der Nebenhandlung. Die Pensionsbesitzerin Fräulein Schneider und der Gemüsehändler Herr Schultz wagen es nach und nach, kleine Schritte aufeinander zu zu machen. Ziemlich schnell beschließen sie dann, demnächst zu heiraten. Gut, dass sie sich gefunden haben, mangelt es doch beiden an sängerischem Talent. Ganz niedlich ist die Performance der in die Jahre gekommenen Turteltäubchen, doch wünscht man sich nach geraumer Zeit, dass ihre Gesangseinlagen ein Ende haben mögen, da jeder etwas höhere Ton den Hörer etwas tiefer in das Polster seines Sitzes presst. Nun folgt der szenisch tragische Teil der Geschichte. Die Verlobungsfeier der beiden Alten endet in einer öffentlichen Bloßstellung Isaak Schultzes. Ernst, mittlerweile überzeugtes Mitglied der NSDAP, eröffnet der versammelten Festgesellschaft, dass Herr Schultz ein Jude ist. Zugleich droht er Fräulein Schneider mit dem Entzug ihres Gewerbescheins, sollte sie ihrem Geliebten das Ja-Wort geben. Sie gibt nach und beendet die kurze Beziehung. Aus diesem Grund und weil Sally das gemeinsame Kind abtreibt, entscheidet sich Cliff dazu, Deutschland wieder zu verlassen. Sally möchte er mitnehmen, doch sie entscheidet sich für das Cabaret. Zurück bleibt eine Gesellschaft, die das Geschehen noch nicht einzuordnen weiß und sich nun einer ungewissen Zukunft sicher sein kann. Was sie erwartet, wird im Dunstschleier einer Vorahnung auf die Bühne gebracht. Das Orchester spielt eine verfremdete deutsche Nationalhymne, zu der die Girls - inklusive Sally - in goldenen Kleidern im Zombiegleichschritt marschieren, während über ihnen die Discokugel ein Hakenkreuz präsentiert.
"All the world's a stage, and all the men and women merely players" (Shakespeare/As You Like It). Wenn das stimmt, dann gibt es jemanden oder etwas, der/das den Darstellern das Leben diktiert. Hier ist es Hitlerdeutschland, welches das Leben seines Volkes bestimmt. Sally liebt das Leben als Showgirl und wird von dieser Liebe getrieben. Um sie herum sind es aber andere Menschen, die ebenso Teil einer umfangreichen Inszenierung sind, und ihr Handeln wird durch eine brutale Macht gelenkt. Diese Inszenierung von Robert Lehmeier verdeutlicht die Intention des Musicals in überzeugender Form. Trotz einiger Schwachstellen in der Besetzung bekamen die Darsteller minutenlangen Applaus, der vor allem (nach Meinung der Rezensentin) der Hauptdarstellerin zugesprochen werden sollte. Insbesondere mit ihrer ausdrucksstarken Interpretation der Ballade "Maybe This Time" überzeugte sie das Publikum. Es sei ihr gegönnt.






www.Crossover-agm.de
© by CrossOver