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Festklänge   14.10.2011   Altenburg, Theater
von rls

Jubiläumsjahre sind ja bekanntlich eine willkommene Gelegenheit, das Schaffen eines Komponisten auch mal von anderen Seiten zu beleuchten als denen, mit denen er sonst im "Normalprogramm" vertreten ist. Nun begeht man 2011 gleich ein Doppeljubiläum in bezug auf Franz Liszt (200. Geburtstag und 125. Todestag), und gerade er ist einer, bei dem solche unterschiedlichen Blickwinkel besonders interessant sind. Das betrifft zum einen sein eigenes Schaffen, von dem große Teile völlig außerhalb der Wahrnehmung des gemeinen Konzertbesuchers stehen, zum anderen aber auch seine Wurzeln.
Die Programmplanungsfraktion des Altenburg-Geraer Theaters hat für das erste Philharmonische Konzert der Saison 2011/2012 nun eine ganz besondere Idee, nämlich diese beiden Strategien zu koppeln. Heißt praktisch: Im ersten Teil des Konzertes werden Liszts Wurzeln ausgegraben, und zwar in Gestalt von seinem Lehrer Carl Czerny und wiederum dessen Lehrer, keinem Geringeren als dem großen Beethoven (im heutigen Sprachgebrauch würde man Liszt somit als Enkelschüler Beethovens apostrophieren können, aber auf diese absonderliche Idee scheint zum Glück noch niemand gekommen zu sein). Zwecks Wahrung der Chronologie steht Beethoven ganz am Anfang, und zwar eine seiner vier "Fidelio"- bzw. "Leonore"-Ouvertüren. Die beweist zunächst wieder mal, was für ein schweres Instrument das Horn doch ist, wenngleich trotz eher mäßigen Flusses in den Violinen doch auch einige schöne stimmungsvolle Passagen gelingen. Die Sicherheit nimmt mit fortschreitender Spieldauer zu, selbst den Hörnern gelingen einige schöne weiche Einsätze - aber die Aufwärtsentwicklung hält nicht lange an, bald verfällt das Philharmonische Orchester Altenburg-Gera wieder in die Problemerscheinungen der Einleitung. Nur die bombastischen Parts sitzen etwas besser, aber die entwickelte Power bleibt ebenso mäßig wie der Schlußapplaus.
Hätte man allein nach dieser Ouvertüre entscheiden müssen, ob Dirigent David Porcelijn der neue Generalmusikdirektor des Theaters wird (das Konzert ist eines der Vordirigate für die GMD-Stelle), der Daumen hätte wohl eher nach unten gezeigt. Aber das ändert sich spätestens nach dem nun folgenden Doppel-Klavierkonzert C-Dur von Carl Czerny, denn das entpuppt sich als Entdeckung in jeglicher Hinsicht. Erstens taucht es nur selten auf den Spielplänen auf, zweitens macht es in der gekonnten Interpretation von Porcelijn und den polnischen Klavierschwestern Ines und Anna Walachowski richtig Hörspaß, und drittens weist es eine sehr seltene Besetzung auf: nicht etwa für zwei Klaviere, sondern nur für eines, das dafür vierhändig zu spielen ist. Die seit anderthalb Jahrzehnten als Duo agierenden Pianistinnen sind natürlich brillant aufeinander eingespielt, aber auch jede für sich eine brillante Technikerin, die indes trotzdem mit Gefühl zu arbeiten versteht. Wie oft Czerny Armkreuzungen vorgesehen hat, kann der Rezensent von seinem Platz aus nicht erkennen, aber das schwarz-rot-goldene Duo (die eine blond und im roten Kleid, die andere in beiden Aspekten schwarz) erweckt den Eindruck, jeder Situation gewachsen zu sein. Auch das Orchester macht seine Sache sehr ordentlich. In der langen Einleitung des Allegro con brio steckt es den thematischen Steinbruch ab, der zwar ein bißchen etüdenhaft herüberkommt - aber Czerny war ja auch äußerst erfolgreicher Klavierlehrer. Danach hat es lange Zeit wenig mehr zu tun als hier und da Einzelakkorde unter das alle emotionalen Grenzen auslotende Klavierspiel zu legen, wobei das Klavier mitunter so viel "Krach" macht, daß man die Stützakkorde kaum noch hört (normalerweise hat ja der Klaviersolist eher das umgekehrte Problem, also nicht vom Orchester klanglich begraben zu werden). Das wilde Skalengedudel macht jede Menge Hörspaß, aber auch das hochemotionale Zusammenspiel des Klaviers mit dem Solocello im ruhigen Part überzeugt ohne Wenn und Aber. Die einzigen kleinen Wackler diagnostiziert man im Adagio espressivo an zweiter Satzposition, wo das Orchester in der nichtsdestotrotz schön emotional gelungenen Einleitung manchmal etwas wackelt und auch die Pianistinnen sich später bei den Einsätzen mitunter nicht ganz einig mit dem Orchester werden. Ansonsten aber hat Porcelijn das Geschehen jederzeit im Griff, auch im attacca angeschlossenen Rondo alla polacca, das mit seinen groovigen Parts viel Rhythmusgefühl verlangt, welches sowohl die Solistinnen als auch Dirigent und Orchester offensichtlich aufweisen. Sehr wirkungsvoll geraten später beispielsweise auch die Parts, wo eine der Pianistinnen wildeste Läufe zu spielen hat, während die andere eine Art Generalbaß imitiert. Das alles macht wie schon erwähnt hochgradigen Hörspaß, und so zeigt sich das Publikum mit einem Grinsen im Gesicht denn auch sehr applausfreudig, was die beiden Pianistinnen noch mit einer Zugabe belohnen, nämlich dem epidemischen der Ungarischen Tänze von Johannes Brahms in einer Fassung für vierhändiges Klavier - und zwar einer höchst eigenartig rhythmisierten, bei der zudem die Hauptmelodie, die man im Ohr hat und zu pfeifen beginnt, falls man dazu aufgefordert wird, dieses Stück ohne Hilfsmittel vorzutragen, häufig gar nicht so deutlich hervortritt, wie man das gewöhnt ist. Seltsam, aber auf alle Fälle interessant!
Nach der Pause geht die Entdeckungsreise dann im Schaffen von Franz Liszt selbst weiter, und zwar mit zwei seiner Sinfonischen Dichtungen. Nun ist das mit denen so eine Sache, wie Ann-Christine Mecke im Gewandhaus-Magazin Nr. 71 angemerkt hat: "Eine gewisse Einfallslosigkeit der Instrumentation fällt auf; die ausgesprochen direkte Darstellung des Programms und die häufigen pathetischen Steigerungen machen es schwer erträglich, mehrere Sinfonische Dichtungen hintereinander zu hören." Was tun, wenn eine allein aber doch zu kurz fürs Programm wäre? Nun, zum Glück gibt es Ausnahmen. Mecke weiter: "In 'Orpheus' zum Beispiel hat Liszt weniger eine Handlung als einen Zustand dargestellt: Der Künstler Orpheus sorgt in der Seele des Menschen für Harmonie." Zudem ist "Orpheus" eine der wenigen Sinfonischen Dichtungen Liszts, wo kein dröhnender Schlußtriumph aufscheint - ergo ist die Wahl logisch: zuerst "Orpheus" und dann noch eine mit dröhnendem Schlußtriumph. Dabei erwacht der große Sänger nur schrittweise, das Orchester gibt ihm einen fast noch schlaftrunkenen Anstrich, bevor er sich dann etwas lockerer an sein friedensstiftendes Werk macht. Freilich gibt es da ein Problem: Die Harfen klingen derart metallisch-schneidend, daß sie das Friedenswerk völlig konterkarieren, sondern den Hörer eher aggressiv machen - da können auch die wunderbar singende Solovioline und das ähnlich gepolte Solocello nichts ausrichten. Dafür modelliert Porcelijn einen sehr gelungenen schleppenden Bombast mit sägenden Celli, auch die zentrale Monumentalität wird gekonnt aus dem Stein gemeißelt, und der sanfte Ausklang würde den erreichten Frieden prima symbolisieren, wenn, ja wenn da eben nicht dieser Harfenton wäre ...
Die zweite Sinfonische Dichtung gibt dem ganzen Programm seinen Titel und symbolisiert für das heutige Publikum zugleich Tragik, denn Liszts eigene Hochzeit mit Carolyne zu Sayn-Wittgenstein, für die das Stück eigentlich geschrieben worden war, fand nicht statt. Das konnte der Komponist zum fraglichen Zeitpunkt natürlich noch nicht wissen, und so bildet er das komplette Stimmungsspektrum einer Hochzeitsfeier ab. Das Bräutigamsthema erscheint an diesem Abend zunächst noch etwas schärfungsbedürftig, während Porcelijn und dem Orchester eine gestreichelte Wiedergabe des Brautthemas gelingt. Und wie sie es schaffen, die Prozessionsmärsche förmlich aus dem Ärmel zu schütteln, ist schon großes Kino. Auch der Partycharakter rings um die große Trommel paßt, auch wenn gerade die Hörner hier ungewollt schon mal die ersten Genußmittelausfälle zeigen. Zwar liegt weder allzuviel russischer Wodka noch eine Großportion ungarischen Paprikas in der Luft, aber der Triumphmarsch sitzt perfekt und gibt einen hervorragenden Kontrast zur anschließenden ersten Erschöpfung ab. Dann freilich laviert sich Liszt noch durch einen endlosen Abend, und auch Porcelijn schafft es nicht, hier noch einen großen Bogen hineinzubekommen. Erst die große Schlußsteigerung zeugt wieder vom Können des Dirigenten, auch Details wie die zweimaligen blitzartigen Wellenbewegungen vor dem Einsatz der großen Trommel perfekt auszuformen, und so wird er samt dem Orchester denn auch mit für Altenburger Verhältnisse ziemlich enthusiastischem Applaus belohnt. Ob er die Stelle bekommt, verrät zu gegebener Zeit www.tpthueringen.de



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