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Der Waffenschmied   07.06.2011   Leipzig, Musikalische Komödie
von rls

Zeitweise ist es ja äußerst beeindruckend, welche Sprengkraft manches eigentlich gar nicht so gemeinte Stück in manchen Situationen entfaltet - die krampfhafte Suche nach Sprengkraft oder auch nur nach inhaltlich als roter Faden brauchbaren Motiven aber stellt ein Hauptproblem des heutigen Regietheaters dar und trägt ihr Scherflein zur Entfremdung der Kreativfraktion und des Publikums, die man bei nicht wenigen Gelegenheiten beobachten kann, bei. Nun bringt die Oper Leipzig in der kleinen Spielstätte in Lindenau, der Musikalischen Komödie, Albert Lortzings Oper "Der Waffenschmied" auf die Bühne - auch eine in dieser Doppelfunktion, also mit Sprengkraft, aber auch zur krampfhaften Suche nach Motiven geeignet. Ist man nach den zweieinhalb Stunden Spielzeit nun in irgendeiner Hinsicht schlauer?
Die Antwort: ein klares Jein. Dabei kann man keineswegs sagen, daß sich die Kreativmannschaft um Regisseur Stefan Petraschewsky nun etwa keine Gedanken gemacht hätte. Und in der Geschichte um die Waffenschmiedstochter Marie, die den Waffenschmiedegesellen Konrad liebt, aber nicht ahnt, daß sich hinter diesem der inkognito agierende Graf von Liebenau verbirgt, liegt tatsächlich etwas mehr Sprengkraft, als man anhand dieser knappen Handlungszusammenfassung vermuten könnte. Wer das Programmheft vorher gelesen hat, ist an der einen oder anderen Stelle bereits schlauer und kann die Frage beantworten, warum Petraschewsky aus der Geschichte quasi ein Auswandererdrama gemacht hat (zu Lortzings Zeiten erreichte der Exodus aus Deutschland gen Amerika in der Tat vorher ungeahnte Dimensionen). Auch das ewige Feuer in der Bühnenmitte wird im Programmheft erklärt - es soll alle Szenen zusammenhalten, da es in allen eine Rolle spiele, heißt es dort. Das stimmt zwar - aber das Ganze wirkt bemüht, denn es handelt sich keineswegs um eine Hauptrolle, und manche Waffenschmiede kommt mittlerweile auch gänzlich ohne Feuer aus. Petraschewsky versucht zwar, die Feuerrolle aufzuwerten, indem er in der Eröffnungsszene zu den Klängen der Ouvertüre zwei Urmenschen eben die Nutzung des Feuers entdecken läßt, aber gerade dadurch wird das Konzept zum Problem und der spätere Verzicht auf das Feuer eigentlich unabdingbar, der aber eben nicht geschieht (nur der Rauch verschwindet irgendwann). Da zieht das Auswandererkonzept stärker, obwohl es die ganze Zeit über eigentlich eher randständig bleibt, von der Schlußszene mal abgesehen (dazu unten mehr). Und ein kurioses Element ruft im Rezensentenhirn die stärkste Denkaktivität hervor: die große Uhr, die in Stadingers Schmiede hängt und deren Zeit mal in echter Geschwindigkeit, mal stark beschleunigt und manchmal sogar rückwärts läuft; da kann man treffliche Analyseversuche unternehmen, was ein bestimmtes Zeitmanagement für eine bestimmte Szene zu sagen hat ...
Die erwähnte Ouvertüre, gespielt vom hauseigenen Orchester unter Stefan Diederich, gibt in den Tiefen mitunter ein bißchen zuviel, führt aber ansonsten gelungen ins Werk ein, während in der Folge an einigen Stellen weniger mehr gewesen wäre - freilich ist das nicht der Hauptgrund, daß die Textverständlichkeit bei den Solisten streckenweise arg zu wünschen übrig läßt (man arbeitet ohne Übertitel und auch ohne Mikrofone). Die Handlung kann man zwar immer noch nachvollziehen, aber einiger Witz bleibt doch auf der Strecke. Zumindest gibt es von letzterem summiert immer noch genug, der den Weg zum Besucher findet, allen voran die köstliche Disharmonie zwischen Konrad und Marie in der Nachtszene, die schon auf den Stand der Ehe (bekanntlich ein Akronym von "Errare humanum est") vorausweist. Morgan Smith als Graf/Konrad meistert die stimmlichen Wandlungen, die ihm seine Doppelrolle auferlegt, dann auch recht gut, während Jennifer Porto als Marie ihre Rolle zwar ebenfalls gut spielt, aber gerade im berühmtesten Stück "Wir armen, armen Mädchen" die letzte Konsequenz an Schärfe, aber auch an Mitleiderweckung vermissen läßt. Sebastian Fuchsberger als Georg (der Knappe des Grafen, der sich auch mit in die Schmiede eingeschlichen hat) braucht einige Anlaufzeit, um zu überzeugen, und Milko Milev als Ritter Adelhof aus Schwaben (aus Schwaben!) schwäbelt zwar nicht, agiert aber trotzdem programmgemäß überdreht, was sich auch in seiner Kostümierung als Mixtur aus Clown und dem Sonnenkönig spiegelt. Von den beiden Gästen gibt Steffen Rössler die Titelpartie als Mixtur aus Ozzy Osbourne und einem Zombie, während man eine Weile braucht, um sich an den sehr gedeckten Mezzosopran von Carolin Masur als Irmentraut (Maries Erzieherin) zu gewöhnen, was letztlich aber doch gelingt. Bei dieser Erzieherin freilich wundert nicht, daß Marie reichlich überdreht gezeichnet worden ist. All das aber hilft nichts gegen ein Grundproblem: Bei der fünften Vorstellung sollte man es eigentlich langsam geschafft haben, die Feinabstimmung der Solisten und des Orchesters vorzunehmen. An diesem Abend jedenfalls stehen die Klangvorstellungen dieser beiden Komponenten gleich mehrmals in argem Mißverhältnis, vor allem was Tempo und Phrasierungen angeht: Marie gegen das Cello, Irmentraut in der Sextettnummer gegen das Horn und Stadinger in seinem großen Schlußmonolog gegen das ganze Orchester.
Daß der ganzen Inszenierung ein nicht zu kleiner Unterhaltungswert innewohnt, wird niemand bestreiten. Allerdings findet sich bisweilen unter der Klamaukoberfläche auch die eine oder andere bitterböse Anspielung. Wenn Irmentraut gegen Ende plötzlich "Mit 17 hat man noch Träume" einwirft, entfaltet das seine Sprengkraft erst dann, wenn man sich erinnert, daß Marie ja schon 22 ist. Trotzdem bleibt der Schluß hochgradig verstörend. Man hatte sich schon gewundert, im Programmheft zwei Texte von Louise Otto-Peters vorzufinden, der Vorkämpferin für Frauenrechte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, also der Urgroßmutter von Alice Schwarzer und der Ururgroßmutter von Charlotte Roche (jaja). Nach der Schlußszene ist man schlauer: Bei Lortzing heiraten Marie und Konrad, letzterer wird als Graf "enttarnt", und alles löst sich in Wohlgefallen auf. Bei Petraschewsky heiraten Marie und Konrad, letzterer wird als Graf enttarnt - und erstere läuft ihm daraufhin weg, um nach Amerika auszuwandern. Das ist also von der Bedeutung her ungefähr so, als ob Beethovens Neunter noch eines von Mahlers Kindertotenliedern in den Schlußchor gemischt würde; über die Sinnhaftigkeit solcher Einfälle mache sich jeder seine eigenen Gedanken. Das tut das Publikum auch: Es applaudiert verhalten und bringt es mit Mühe auf zwei Vorhänge. Eigentlich schade drum.



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