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Der Freischütz   07.05.2011   Leipzig, Oper
von rls

Konzertante Opernaufführungen sind ja immer so eine Sache. Die Fraktion "Ich will grundsätzlich was zu meckern haben, und da eignet sich die Inszenierung immer am besten" hat damit nicht so sehr viel Wind in den Segeln, während die "Früher war alles besser"-Fraktion sich nicht mit irgendwelchen modernen oder modernistischen Inszenierungen herumplagen muß, die "Ich will gesellschaftskritisches Regietheater sehen"-Fraktion allerdings auch gleich zu Hause bleiben kann, wenn ihr die Musik nicht so viel bedeutet, daß sie trotzdem kommt. Der Rezensent, der sich der Kunstform Oper bekanntlich von der musikalischen und nicht von der Theaterseite aus nähert, hat naturgemäß kein Problem mit konzertanten Opernaufführungen, freut sich aber trotzdem über den einen oder anderen kleinen dramaturgischen Einfall in der Mimik der Sänger, die sich je nach Nummer auch durchaus über die ganze Bühne verteilen, oder der Beleuchtungsfraktion, die in der Wolfsschlucht ein markantes Wetterleuchten inszeniert - simpel, aber wirkungsvoll.
Nun hat die Leipziger Oper im musikalischen Sinne ja durchaus etliche Spitzentrümpfe, und einige von denen stechen auch in der ersten von zwei konzertanten Aufführungen von Carl Maria von Webers "Der Freischütz" im Mai 2011. Einer davon ist das Gewandhausorchester, diesmal nicht im Orchestergraben, sondern auf der Bühne sitzend, so daß man auch die Pultakrobatik von Andreas Schüller problemlos mitbekommt, der bewegungstechnisch offensichtlich einem seiner Amtsvorgänger im seinerzeitigen Neuen Theater, nämlich Gustav Mahler, nachzueifern versucht. Trotzdem schafft er es nicht, dem bekannten aufwärts jagenden Tuttilauf in der Ouvertüre das letzte Quentchen Power zu implantieren, was man freilich ob der Qualität des ringsherum Gebotenen getrost verschmerzen kann. Denn nachdem sich die Hörner gefunden haben, gelingt eine geradezu hochromantisch schwelgende Ouvertüre in gemessenem Tempo, die in den zurückhaltenden Passagen derart viel Ruhe atmet, daß fast die leisen Dauergeräusche des Beamers oder der Lichtanlage zu stören beginnen. Die Klasseleistung soll sich durch die ganze Aufführung ziehen, einzig einige Stellen lassen von der Powerdosierung her den Wunsch offen, der eine oder andere der Sänger hätte etwas mehr akustischen Entfaltungsspielraum bekommen. Aber die beeindruckende Plastizität der Wolfsschlucht macht dieses kleine Manko locker wett.
Und dann wäre da noch ein anderer Spitzentrumpf zu nennen: Was der von Volkmar Olbrich präparierte Opernchor an diesem Abend tut, das hat Hand und Fuß, sowohl bei den Damen als auch bei den Herren, das beeindruckt durch Exaktheit, das bekommt vom linden Säuseln bis hin zu großer Intensität, mit der man auch "Kreuzige ihn!" hätte singen können, alle Stimmungsnuancen hin, wenngleich auch hier an zwei, drei Stellen weniger mehr gewesen wäre und gerade im Schlußteil die Solisten keine Chance mehr haben, sich irgendwie bemerkbar zu machen. Das müssen sie aber eigentlich auch nicht, denn die allgemein ausgerufene Partystimmung nach der salomonischen Entscheidung, den Probeschuß in ein Probejahr umzuwandeln, kommt schon mit genügend Freude aus dem Volk, also dem Chor, herübergeweht.
Freilich gibt es auch zwei grundlegende Probleme, und die haben beide mit den Solisten zu tun. Für das eine sorgt Stefan Vinke, die Allzweckwaffe der Leipziger Oper, was Tenorpartien anbelangt, in Wagner-Aufführungen wegen seiner immensen Stimmkraft gefragt - und genau die wird an diesem Abend zum Problem, denn der Sänger kalkuliert offensichtlich nicht ein, daß er im "Freischütz" keine fünf, sondern nur zwei Stunden singen muß und konzertant außerdem nicht hinter dem Orchester steht, sondern vor diesem und es damit klanglich nicht "überbrücken" muß. Heißt praktisch: Den gesamten 1. Akt singt er seine Rolle als Max derart extrem laut, daß der Rezensent noch in der siebenten Reihe kurz davor ist, sich die (metalkonzertgestählten!) Ohren zuhalten zu müssen, und nicht wissen möchte, wie es den Leuten weiter vorn ergangen ist. Müßig zu betonen, daß keiner seiner Duettpartner akustisch eine Chance gegen ihn hat - ab und zu hört man mal Cunos aka Miklós Sebestyéns Baß unten oder Agathes aka Marika Schönbergs Sopran oben, aber das sind seltene Momente, und so etwas wie Harmonie kann sich gar nicht erst einstellen. Offensichtlich hat aber nach seinem ersten Abgang am Ende des ersten Aktes jemand hinter der Bühne Vinke auf diesen Umstand hingewiesen - in den beiden Folgeakten dosiert der Sänger seine Stimmkraft nämlich deutlich besser, wenngleich nicht durchgehend. Das Solosextett am Ende des 3. Aktes jedenfalls wird akustisch zum Duett zwischen ihm und Schönberg, was zwar praktisch der Handlung entspricht, aber eigentlich nicht so vorgesehen ist. Daß das besser geht, haben die beiden und Jennifer Porto als Ännchen schon vorher in ihrem Terzett bewiesen, wo nach Anlaufschwierigkeiten mit einem akustisch verschwundenen Ännchen dann zum Schluß eine fast perfekte Abstimmung zwischen den drei Beteiligten gelingt. Leider bleibt das ein Einzelfall in der Aufführung - oftmals arbeiten die Sänger als Individualisten und nicht miteinander, was man an gleicher Stelle schon viel besser gehört hat.
Und dann wäre da noch das andere Problem: Wenn eine deutsche Bühne, die im nationalen Maßstab trotz aller ökonomischer Zwänge durchaus weit vorn mitmischt (und das vom Eigenanspruch her eigentlich auch muß), DIE deutsche Nationaloper spielt (egal ob szenisch oder konzertant), dann muß der Hörer ganz einfach erwarten können, Sänger hören zu können, die der deutschen Sprache halbwegs akzentfrei mächtig sind. Das ist an diesem Abend leider nicht der Fall. In den Gesangsparts fällt das nicht so sehr auf, aber fieserweise hat Weber auch Sprechparts vorgesehen - und die gehen diesmal gegen den Baum. Wenn sich Schönberg (Schwedin) und Porto (Amerikanerin) in einem derart akzentgefärbten Deutsch unterhalten, weiß man als Hörer nicht, ob man bei der unfreiwilligen strukturellen Komik lachen oder weinen soll. Das möge nicht despektierlich verstanden werden, aber es ist eine Frage des Anspruchs und auch des Respekts dem Werk gegenüber. Ob man sie nun Hochdeutsch, Sächsisch, Bayrisch oder in welchem deutschen Dialekt auch immer parlieren lassen würde - geschenkt. Aber amerikanische Einfärbung beispielsweise geht in diesem Kontext einfach überhaupt nicht. Diesen Lapsus können auch einige durchaus gute sängerische Einzelleistungen nicht kompensieren, obwohl man auch da generell schon viel Besseres im Hause vernommen hat. Porto etwa macht ihre Sache gut, ohne aber zu glänzen, und in den Höhen klingt sie etwas zu angestrengt, während Schönberg bisweilen etwas übermotiviert wirkt. Eine starke Leistung bringt Tuomas Pursio als Kaspar, aber auch bei ihm stört der Akzent etwas. Roman Astakhov als Eremit ist akustisch so gut wie gar nicht zu vernehmen und erst recht nicht textverständlich (daran hapert es bei vielen der Sänger, Vinke mal ausgenommen), und so überzeugt Uwe Schenker-Primus als Ottokar letztlich noch am meisten, zumal angesichts seiner geschickt gespielten Wandlung vom dominanten Fürsten zum gegenüber dem Eremiten unterwürfigen Gläubigen. Ein paar kleine Gimmicks geben auch dem Analytiker Stoff zum Nachdenken, etwa warum Kaspar beim Kugelngießen die Zählung der ersten sechs Kugeln mit einem Kopfmikrofon vornimmt, die siebente (also die Freikugel) aber ohne dieses zählt. Tomas Möwes als Samiel agiert seinerseits nur über die Lautsprecher, schön trocken und fies und sich damit in die Gewinnerriege einreihend, die an diesem Abend leider nur dünn besetzt ist. Da ist man von der Nordseite des Augustusplatzes Besseres gewöhnt und ist sich sicher, das bei nächster Gelegenheit dann auch wieder zu bekommen und die Probleme dieses "Freischütz" als Ausrutscher ansehen zu können.



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