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Thomas Dausgaard   17.04.2011   Leipzig, Gewandhaus
von rls

Zum ersten Mal steht der dänische Dirigent Thomas Dausgaard am Pult des MDR Sinfonieorchesters, dessen Konzertprogramm vom Vorabend in Magdeburg nun am Palmsonntag als Matineekonzert im Leipziger Gewandhaus wiederholt wird. Den Auftakt bildet dabei eine für deutsche Konzertsäle eher als Rarität zu titulierende Komposition: das Stabat mater von Karol Szymanowski, in seiner strukturellen Anlage mit Johannes Brahms' "Ein deutsches Requiem" zu vergleichen, wobei es im Gegensatz zu diesem aber den tradierten lateinischen Text beibehält und ihn nur ins Polnische übersetzt, wobei alternativ eine Wiedergabe in Latein möglich bleibt, was Brahms mit seiner Textauswahl ausgeschlossen hatte. An diesem Vormittag erklingt im Gewandhaus die polnische Fassung, über deren Aussprache sich der Rezensent mangels Sprachkenntnissen kein Urteil anmaßt - aber zwei der drei Solisten haben zwar nicht Polnisch, aber eine andere slawische Sprache als Muttersprache, also sollte man eine entsprechende Affinität voraussetzen dürfen. Sopranistin Simona Saturová führt dabei eine sehr angenehm zu hörende gedeckte "unschrille" Stimme ins Feld, die sich aber dennoch jederzeit gut durchsetzen kann, was auch auf Mezzosopranistin Liuba Sokolova zutrifft; zudem ergänzen sich die beiden Stimmen in den Duettnummern perfekt. Bariton Dietrich Henschel freilich hat ein schwieriges Los, wenn er beispielsweise in "I któz widzac" gegen den vollen MDR Rundfunkchor anzusingen hat und bei dieser Konstellation eigentlich nur verlieren kann, wobei der von Reinhard Epstein (den das Programmheft über weite Strecken Bernhard Eppstein nennt - wer auch immer recht hat ...) präparierte Chor selbst, von einigen wenigen zu faserigen Passagen abgesehen, einen guten Eindruck hinterläßt und einige zauberhafte Wirkungen zu entfalten weiß, etwa gleich die superleichten ätherischen Passagen in den ersten Gesangseinsätzen des eröffnenden "Stala Matka", die eine wunderbare düster-entrückte Spannung erzeugen, nachdem man von der einleitenden angedüsterten Kammermusiksammlung schon gut auf solcherart Wirkungen vorbereitet worden ist. Da stören auch ein paar kleine Wackler im Orchester, etwa der erste Horneinsatz oder der etwas untighte Zupfer am Satzende, nicht wirklich. Ab dem zweiten Satz, dem erwähnten "I któz widzac", gehen alle Sätze attacca ineinander über, und der zweite beginnt mit düsterer Marschmusik, bevor sich nach einem Ruhepol eine Dramatiksteigerung ergibt, in der sich der erwähnte stimmliche Untergang des Baritons gegen den Chor ereignet. Über das lichtere, dabei aber durchaus dramatische Elemente beinhaltende "O Matko" wird "Spraw niech placze" erreicht, eine herzzerreißende A-cappella-Nummer, in der man die Sopranistin für ihre weichen, schluchzenden Höhen fast in den Arm nehmen und herzen möchte. Die Düsternis bricht sich in "Panno slodka" wieder Bahn und gerät zu einem großen Bombastpart, in dem die Tiefstreicher wie schon in "I któz widzac" den Schluß länger aushalten als der Rest (schaue in die Noten, wer herausfinden möchte, ob das beabsichtigt war), bevor die friedliche Choralnummer "Chrystus niech mi bedzie grodem" das Werk versöhnlich, wenngleich trotzdem nicht kraftlos beschließt. Noch einmal ergeben sich diverse Abstimmungsprobleme zwischen Chor und Bariton, und der Ausklang des Stückes soll laut Programmheft im ppp erfolgen, wovon die Bühnenaktiven an diesem Tag aber mindestens zwei p streichen. Und obwohl diesmal keine Hustenorgie nach dem letzten Ton einsetzt wie sonst oft im Gewandhaus, steht die Spannung auch nicht so richtig, was angesichts des im Laufe des Werkes mehrfach erbrachten Beweises, daß die Beteiligten sehr wohl Hochspannung erzeugen und stehen lassen können, ein wenig schade ist.
Nach der Pause steht Anton Bruckners 2. Sinfonie in der Fassung von 1877 auf dem Plan, im Musikerjargon auch als die "Pausensinfonie" bekannt, und die Herangehensweise an die zahlreichen Generalpausen verrät oftmals etwas über die Grundstrategie, mit der sich ein Dirigent diesem Werk nähert. Nimmt man dieses Kennzeichen als Maßstab, legt es Thomas Dausgaard an diesem Tag offensichtlich auf eine eher durch Eleganz gekennzeichnete Wiedergabe an. Nicht nur, daß er die meisten der Generalpausen weich an- und abspielen läßt, er nimmt auch manchem der Ausbrüche etwas die Aufgeregtheit, was seinem bisweilen spürbaren Drang zur großen, aber nicht übergroßen Geste durchaus entspricht. Pultakrobatik geschieht bei Dausgaard also nicht zum Selbstzweck, und wie er selbst mit einem simplen Kopfzittern noch Spielanweisungen vermittelt, ist beeindruckend anzusehen. Die Musiker folgen der weichen Eleganzstrategie durchaus gern, die erst etwas aufgebrochen wird, als die Posaunen zum Angriff blasen und ganz zum Schluß des ersten Satzes eine Schockwirkung entsteht, die Dausgaard nun gerade nicht mildert, sondern voll ausspielen läßt. Aber schon im Andante an zweiter Satzposition ist diese große Eleganz, ist die weite Linie wieder da, und als sich alle Beteiligten einig sind, gelingt auch ein wunderbarer Zupfpart mit Hornsolo, wobei sich der Solohornist für seine, von einem Wackler abgesehen, butterweiche Intonation ein Sonderlob verdient. Aber auch hier läßt Dausgaard durchblicken, daß er seine Strategie aufbrechen kann, wenn er will: Erst verebben die Kontrabässe im x-fachen Piano, und gleich danach sägen sie im brachialen Midtempo alles kurz und klein, vom Dirigenten nicht unter die dämpfende Decke gesteckt. Meisterlich dann die Höchstspannung im Schluß dieses Satzes - dieses ppp, diese Spannung hätte man sich auch am Ende von Szymanowski gewünscht. Damit allerdings ist es auch vorbei mit der Eleganzstrategie des Dirigenten, die sich nun in eine Energiestrategie wandelt: Das Scherzo nämlich läßt er überraschend harsch nehmen und diesmal die Trompeten zum Angriff blasen, und im Finale werden selbst den ätherischen Passagen Sonderrationen an Klangtraubenzucker verabreicht, auch das volksliedhafte dritte Thema bekommt eine größere Portion davon ab. Um die Gesamtarchitektur noch im Griff zu behalten, schraubt der Dirigent also auch den oberen Dynamikpegel nach oben, gefühlt allerdings nicht in die Höhe des Schlusses des ersten Satzes, was die generell uneinheitliche Strategie ein weiteres Mal unterstreicht. Irgendwie weiß man nach diesem vierten Satz nicht mehr so richtig, wohin Dausgaard mit diesem Werk eigentlich will, und trotz einer prinzipiell guten Leistung stört dieser Aspekt offensichtlich auch einige der Besucher, weshalb der Schlußapplaus zwar herzlich, aber längst nicht richtig enthusiastisch ausfällt.



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