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Blackfield, Mati Gavriel   13.04.2011   Berlin, C-Club
von CSB

Im alten Columbia Kino kämpften früher die in Berlin stationierten US-Truppen unter Einsatz der neuesten Hollywoodstreifen gegen den bösartigen Feind Heimweh. Seit dem Abzug und der Übergabe der Gebäude in deutsche Hand hat sich der C-Club zu einem der beliebtesten Zufluchtsorte für die hauptstädtische Rock- und Metalszene entwickelt. Woche für Woche geben sich hier die Szenegrößen das Mikro in die Hand. Kein Wunder - der stufenförmige Aufbau sorgt für besten Blick zur Bühne, der Sound ist aller Ehren wert und auch die Bierpreise stimmen. Nur beim Personal hapert's noch ein bisschen. Auf die vorsichtige Frage meines Begleiters, ob die Lokalität denn ein Nichtraucherclub sei, kommt nur: "SEIT DREI JAHREN JETZ, EY!" Naja, Berliner Schnauze eben - irgendwann gewöhnen wir uns dran ... Aber wir sind ja auch nicht zum Yoga hier sondern allein der Musik verpflichtet :-).
Und die hat es heut in sich! Das gemeinsame Baby des israelischen Popstars Aviv Geffen und Porcupine Tree-Mastermind Steven Wilson lässt sich längst nicht mehr mit der Bezeichnung "Sideproject" abtun. Das neue Album "Welcome To My DNA" verkauft sich wie warme Semmeln, eine Welttournee im Anschluss mit Gigs in großen Häusern, das können sich nicht so viele sogenannte Sideprojects auf die Fahne schreiben (Transatlantic vielleicht ...). Aber der Erfolg kommt auch nicht von ungefähr - Blackfield bilden das ultimative Bindeglied zwischen Prog und Pop, verbinden hohen musikalischen Anspruch mit beinahe penetranter Eingängigkeit, schreiben die intensivsten Vierminüter der Progszene, die man aber gleichzeitig ohne nachzudenken unter der Dusche vor sich hin pfeift (ich spreche aus Erfahrung!). Eine Kombination wie gemacht für einen großen Konzertabend! Vorher durfte sich aber noch Mati Gavriel unter Beweis stellen. Bei dem Namen hätte ich eher auf ein Mitbringsel aus Israel getippt, in Wahrheit aber ist der Kerl eine Entdeckung aus deutschen Landen. Und er steht ganz allein auf der Bühne, seine Band sei ihm auf der Reeperbahn abhanden gekommen und so müsse er eben alles vom Band kommen lassen. Das ist natürlich nicht die idealste Livesituation. Trotzdem zieht Mati sein Ding ziemlich souverän durch und sein Songmaterial, seine ausdrucksstarke und auch in höchsten Höhen sichere Stimme sowie sein handwerkliches Können an Piano und Gitarre lassen erahnen, warum Wilson, Geffen oder wer auch immer den Kerl mit auf Tour genommen hat. Unter den richtigen Voraussetzungen, zuallererst mit einer schlagkräftigen Hintermannschaft, kann das definitiv was werden, auch wenn seine Songs noch etwas balladenlastig sind und er ein bisschen zu heftig von der (britischen) Muse geküsst wurde. Trotzdem: Beeindruckende Vorstellung!
Danach zieht sich die Umbaupause in beinahe olympische Dimensionen. Als nach gefühlten Stunden doch noch das Licht ausgeht, sind ein paar Schweizer hinter uns schon so gut wie auf dem Heimweg. Gut, dass Blackfield einen wuchtigen Opener wie "Here Come The Blood" im Repertoire haben, mit dem sie die ersten verhaltenen Pfiffe locker wegbügeln. Das treibende, leicht orientalisch anmutende und für ihre Verhältnisse brettharte Stück funktioniert super im Livegewand, auch wenn der Sound am Anfang noch nicht ideal ist und sich erst nach 2-3 Songs richtig einpendelt. Dabei ist der Opener einer von insgesamt 10 Songs vom neuen Album, das man bis "Far Away" komplett runterspielt. Das wird natürlich von der Tatsache begünstigt, dass kaum ein Song die vier Minuten überschreitet und man daher insgesamt 21 Stücke im Set unterbringt. Das stelle man sich mal bei Porcupine Tree vor ... Mit "Blackfield" hat man dann auch was für die Mitsingfraktion parat und die Gemüter haben sich nach der unverschämt langen Umbaupause endgültig beruhigt. Dem völlig überragenden, ziemlich floydschen "Glass House" folgt das wütende "Go To Hell", das Geffen - heute mit einer Glitzerjacke im Bowie-Stil auf der Bühne - mit den Worten einleitet: "The next song is about my childhood and my parents", nur um in den Lyrics ein ausgedehntes "Fuck you all" folgen zu lassen. Seltsamerweise beschreibt der arme Kerl gleich darauf bei "On The Plane" das sehnsüchtige Gefühl der nahenden Ankunft des geliebten Vaters. Nun ja, persönliche Texte auf der einen Seite, aber muss man diese emotionale Zwiespältigkeit auch noch so exponiert ins Live-Set einbauen? Egal ...
Zum Glück verschont uns Wilson mit allzu persönlichen Geschichten aus der Kindheit und ist stattdessen mal wieder die Souveränität in Person, egal ob stimmlich, an der Gitarre oder einfach durch seine Präsenz. Auch die Backingband macht ihre Sache überragend gut - vor allem Keyboarder Eren Mittelmann hält den Sound mit wunderbar flächigen Arrangements zusammen und trägt vor allem etliche punktgenau sitzende Backings bei, die dem stimmlich nicht immer optimalen Geffen einige Male aus der Patsche helfen.
Zurück zur Setlist - und die lässt auch kaum Wünsche offen. Mit "Glow", "Pain", "DNA" und "Waving" hat man zwar einen etwas verhaltenen und einigermaßen unspektakulären Mittelteil dabei, aber danach geht's richtig los. Das melancholisch beginnende und sich zu epischer Breite immer weiter steigernde "Miss U" mit seinen kulminierenden Soli am Ende ist wie eine Blaupause des Blackfield-Sounds. In eine ähnliche Kerbe haut mein persönlicher Lieblingssong der neuen Scheibe "Rising Of The Tide", inkl. leicht angekitschtem, aber super passendem Elton-John-Schluss. Große Kunst ist auch das pechschwarze "Zigota", das schon vor Jahren auf einer Geffen-Platte auf Hebräisch erschienen ist und nun in neuem Blackfield-Glanz erscheint. Der Refrain gehört jedenfalls zum Besten, was ich in den letzten Jahren zu Gehör bekommen durfte. Und mit "Oxygen" gönnt man sich dann auch sowas wie einen luftigen Rocksong, der ausnahmsweise mal nur rocken darf, von jedem Ballast befreit, auch wenn es sich Geffentypisch mal wieder um ein Weltuntergangsszenario dreht. Den regulären und umjubelten Schluss des regulären Sets bildet dann "Dissolving With The Night", den ich an dieser Stelle nie vermutet hätte, handelt es sich doch um eines der emotionalsten, aber auch dunkelsten Stücke der noch nicht allzu langen Blackfield-Historie. In keinem anderen Song wird Geffens Weltschmerz so deutlich mitfühlbar und bedrückend wie in diesem musikalischen Wunsch nach Auflösung/Erlösung. Intensiver geht's nicht und so ist für einen kurzen Moment erst mal Ruhe im Club, bis sich das Bedürfnis einer Zugabe gegen das Gefühl faszinierender Bedrückung durchsetzt.
"Hello" ist dann der vielleicht bekannteste Blackfield-Hit, dessen Refrain an Eingängigkeit kaum zu toppen ist. "End Of The World" bedient ein weiteres Mal die volle Bombastdröhnung, in dessen Verlauf sich Mr. Geffen zu den Boxen aufschwingt und richtig die Rocksau rauslässt. Den Schlusspunkt setzt dann wie zu erwarten das sehr Porcupine Tree-lastige "Cloudy Now" mit seinem herrlichen Anarcho-Zwischenteil "We are a fucked up Generation - it's cloudy now", das noch mal alle Reserven mobilisiert. Dann kann wirklich nix mehr kommen und man fühlt sich bestens unterhalten.
Beeindruckend, was diese Band auf gerade mal drei Alben für Weltklassesongs versammelt hat, die live noch einmal deutlich an Intensität zulegen. Dass die Show dabei keine besonderen Akzente setzt und dass Herr Geffen mit seiner "Ich bin ein ziemlich trauriger Rockstar"-Attitüde ein bisschen anstrengt - alles geschenkt angesichts solcher Songqualität!
Setlist Blackfield:
01. Blood
02. Blackfield
03. Glass House
04. Go To Hell
05. Open Mind
06. Pain
07. DNA
08. Waving
09. Glow
10. Once
11. The Hole In Me
12. Rising Of The Tide
13. Miss U
14. Zigota
15. Epidemic
16. Oxygen
17. Where Is My Love?
18. Dissolving With The Night
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19. Hello
20. End Of The World
21. Cloudy Now



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