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Symphonic Klezmer   10.03.2011   Chemnitz, Stadthalle
von rls

Verknüpfungen der sogenannten E- mit der sogenannten U-Musik sind immer etwas risikobehaftet - nicht selten passiert es, daß die angestrebten Synergien nach hinten losgehen und nicht die Tugenden, sondern die Untugenden beider beteiligten Stilistika miteinander gepaart werden. Das 7. Sinfoniekonzert der Robert-Schumann-Philharmonie beweist an zwei Abenden allerdings, daß es auch anders geht und bisweilen die gedachte Stärkenverschmelzung zu einem Ganzen, das größer ist als die Summe seiner Teile, durchaus gelingen kann.
"Symphonic Klezmer" heißt nun nicht, daß die Robert-Schumann-Philharmonie reine Orchesterfassungen von Klezmer-Songs spielt. Vielmehr hat das Orchester die Klezmerband Kolsimcha an seiner Seite, jedenfalls ab dem zweiten Stück der Setlist - das erste, Sergej Prokofjews "Ouverture Sur Des Thémes Juifs", bestreitet der von Ariel Zuckermann dirigierte und groß besetzte sinfonische Klangkörper noch alleine, und der Hörer taucht in ein Wechselbad der Gefühle: Da gibt es wunderbar fragile kammerartige Passagen gleich in der Einleitung und später auch nochmal vor der blitzartigen Schlußsteigerung, da findet sich auch sonst mancherlei Hörenswertes - da stolpert man aber auch über teils arge Abstimmungsschwierigkeiten, z.B. vor der Generalpause, und da hört man das hier noch nicht verstärkte Klavier nahezu überhaupt nicht (irgendein anderes Instrument deckt es immer zu, egal welches).
Wie nun weiter? Ariel Zuckermann nimmt seine Flöte zur Hand, verwandelt sich aus dem Orchesterdirigenten in den Kolsimcha-Flötisten und spielt mit seinen vier Bandkollegen, die nun auf die Bühne kommen, das reine Klezmer-Stück "Send In Kolsimcha": Highspeed, aufgelockert durch einige gekonnte Breaks, Lebensfreude in ihrer reinsten Form ("Kol Simcha" heißt übersetzt "Stimme der Freude"), komponiert von Pianist Olivier Truan, der auch für fast alle weiteren Stücke der Setlist verantwortlich zeichnet. Sein Klavier wird jetzt übrigens verstärkt, wie die restlichen Bandinstrumente auch, und damit kann es seinen Einfluß voll geltend machen, was Daniel Fricker am E-Kontrabaß nicht gelingt: Er ist etwas zu leise abgemischt, so daß man von ihm im wesentlichen nur ein Hintergrundgrummeln hört - es fällt zwar auf, wenn es nicht da ist, aber stilprägend arbeiten kann er nicht. Diesen Job erledigen allerdings Flötist Zuckermann und sein Klarinettenkollege Michael Heitzler bestens, perfekt ergänzt durch das Schweizer Uhrwerk Christoph Staudenmann am Schlagzeug.
Für "Intermezzo No. 1" wechselt Zuckermann wieder ans Dirigentenpult (ein recht cineastisch wirkendes Orchesterstück entspinnt sich), bevor "Noah" die ersten, noch eher zaghaft wirkenden Versuche des Miteinanders von Orchester und Band markiert. Zuckermann bringt jetzt und im weiteren Verlauf des Abends das Kunststück fertig, gleichzeitig seine Jobs als Dirigent und als Kolsimcha-Flötist auszuüben, und noch größer ist das Kunststück, daß er bisweilen das Orchester einfach "laufen läßt" und es trotzdem kein Chaos gibt. Freilich muß man sich in "Noah" noch arg anstrengen, um das herauszuhören - vom zu weit in den Hintergrund gemischten Orchester hört man zunächst recht wenig, erst gegen Ende des Stückes wird die Balance besser. Die gelingt dann in "Shabbes" aber fast einwandfrei, und man registriert eine große Elegie, raumgreifend, hochspannend und mit einem brillanten Klarinettensolo versehen, das zum Teil von der Orchesterharfenistin gekonnt begleitet wird. Zuckermann darf dafür in "A Bout De Souffle" Tausende Noten in kürzester Zeit ausflöten und ist hinterher trotzdem nicht außer Atem, wie es der Stücktitel suggeriert hätte. Das letzte Stück vor der Pause heißt "Balkan Hora", fährt schon im Intro typisch balkanische Folkloreelemente auf, setzt allerdings ein Tubathema daneben, das fast an "Smoke On The Water" erinnert. Und überhaupt können sich in dieser Band und Orchester gleichermaßen fordernden Komposition orchesterseitig vor allem die Bläser endlich richtig Gehör verschaffen, während es für die Streicher immer noch nicht zu mehr als einer latenten Teppichfunktion reicht. Der Applaus fällt trotzdem von Stück zu Stück enthusiastischer aus.
Diese Entwicklung setzt sich in der zweiten Sethälfte fort - auch die der schrittweisen Soundverbesserung sowohl innerhalb der Band (der Baß wird einen Tick lauter gedreht) als auch in der Gesamtbetrachtung (irgendwann hört man auch die Streicher im Gesamtkorpus richtig). "Intermezzo No. 3" beginnt mit einem ausgedehnten Klarinettensolo, dem sich die Streicher zugesellen, bevor ein witziges atonales Finale ertönt. In "Aksak" ist auch der Rest der Band wieder da, und flötendominierter Jazz wechselt munter mit cineastischen Bombasttutti im 11/8-Takt, in denen das Blech wieder ganze Arbeit leistet. In "Intermezzo No. 2" spielt Konzertmeister Hartmut Schill ein hübsches elegisches Solo, das wiederum mit witzigen atonalen Elementen in "Jerusalem" übergeht, eine anfangs recht zurückhaltende Komposition, die sich erst allmählich zu mehr Orientalbombast versteigt, der aber schnell zusammenfällt und einer immensen Schlußspannung Platz macht. Da kommt der effektdurchsetzte Highspeedlärm von "Polka Madness" zur Auflockerung gerade recht, bevor Heitzler und Zuckermann eine Duonummer spielen, aber nicht die "Tarantella", die im Programmheft ausgewiesen ist, sondern "The Chase". Die "Klezmopolitan Suite" von Niki Reiser schließt dann den regulären Set ab und wirft quasi nochmal alles in einen Topf, was bisher schon erklungen ist, äußerst tempovariable und die Orchestermitglieder zwischendurch auch mal "Hey!" brüllen lassend, worauf man eigentlich schon das ganze Konzert über gewartet hat. Die Stimmung im Publikum ist am Kochen, und so gelingt es, den Musikern insgesamt vier Zugaben zu entlocken und die Gesamtspielzeit auf weit über 150 Minuten zu schrauben: "Crazy Freilach" (wobei Michael Heitzler vor dem Orchestereinsatz mal eben ein James-Bond-Thema einwirft), "The Rod" (erstaunlicherweise vom Klarinettisten geschrieben, obwohl hier nun gerade der Pianist seinen großen Auftritt hat und sein wildes Solo noch mit Gymnastikübungen ausstaffiert), "Wedding Band" (in dem 10 Orchestermusiker nach vorn kommen und mit den fünf Bandmitgliedern eine klassische jüdische Hochzeitsmusik intonieren, in die zum Schluß auch noch der Rest des Orchesters einfällt) und schließlich "Israel" (nach einer großen dramatischen Orchestereinleitung gemeinsame Speedparts einflechtend, aber dann mit einem ultrapathetischen Orchesterintermezzo Spannung erzeugend, die sich erst allmählich im gemeinsamen schnellen Grande Finale löst - und das Ganze dauert gerade mal zweieinhalb Minuten). Kurz vor 23 Uhr ist dann endgültig Schluß, und das Publikum zieht hochzufrieden von dannen. Immerhin hat man im zweiten Teil und den Zugaben eine der bestmöglichen Varianten der eingangs erwähnten Mischung erlebt, also die Kopplung der Exaktheit der Orchestermusiker mit der lockeren Frische der Klezmerband (und nicht etwa die der Steifigkeit der Orchestermusiker mit der legeren Unexaktheit der Klezmerband, was die negative Möglichkeit gewesen wäre). In dieser Form dürfen gerne weitere derartige Experimente auf den Spielplan gesetzt werden - von der Folkformation bis zur Metalband böten sich ja durchaus reichhaltige Möglichkeiten.



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