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Grosses Concert IV/3   13.01.2011   Leipzig, Gewandhaus
von rls

Zwei Amerikaner in Leipzig - und der eine, Dirigent Leonard Slatkin, hat gleich noch ein Stück aus seiner Heimat mitgebracht: die "Commedia for (almost) 18th-century orchestra" von William Bolcom. Der komponiert sonst alles zwischen Sinfonie, Americana und selbst Rockmusik, und entsprechend eklektizistisch fällt die zehnminütige Commedia aus dem jahre 1972 denn auch aus, wenngleich die damals im Bildungsbürgertum noch eher belächelte oder abgelehnte Rockmusik dem Stück eher wenig vererbt hat, sieht man vom gelegentlichen speedigen Grundbeat mit witzigen bis wahnwitzigen Einwürfen, den man so erst im Speed Metal der Achtziger wiederfinden sollte, und der kriegerischen Passage gegen Ende hin, die mit anderen Mitteln auch mancherlei metallisches Oeuvre prägt, ab. Konterkarierend wirkt ein Streichtrio, das höchst romantische Einwürfe zeitigt, und so gerät das Ganze letztlich zum lustigen Tohuwabohu, allerdings mit ernstem Hintergrund - das Stück soll so eine Art musikalische Umsetzung eines Tarantelbisses sein, der ja u.a. eine gewisse Tanzwut auslöst, womit wir schon wieder in der Gegenwartsmusik angekommen wären. Irgendwann erlahmt aber auch diese, zwei Fernhörner beginnen mit sich und dem Orchester zu dialogisieren, und letztlich sinkt der Gebissene zu Boden. Man hat sich in der klassisch determinierten Gegenwartsmusik schon deutlich schlechter unterhalten gefühlt, aber über eine gekonnt aneinandergereihte Sammlung von Banalitäten kommt die Commedia auch nicht hinaus, und was nach dem vierten Hören, wenn man alle Gags auswendig kennt, noch an Substanz bleibt, harrt einer Erprobung.
Danach greift der zweite Amerikaner ins Geschehen ein, der Pianist Jonathan Biss, und zwar mit Mozarts Klavierkonzert G-Dur KV 453, das allerdings eine Reihe von Problemen deutlich macht. Das Gewandhausorchester hat bekanntermaßen vielseitige Talente, aber das geborene Mozartorchester ist es nicht, was auch dieser Abend wieder beweist: Da läuft streckenweise viel zu viel ineinander, etwa gleich im eröffnenden Allegro die Einleitung und dann auch die erste große Orchesterpassage, und erzeugt trotz noch recht übersichtlicher Besetzung ein eher mulmiges Klangbild, das an anderen Stellen aber immerhin einer erfreulichen Transparenz weicht. Daß einiges hier nicht so ganz klappt wie intendiert, erzeugt offensichtlich Nervosität bei den Beteiligten, der Teile des Andante zum Opfer fallen - besonders das Satzende hinterläßt einen viel zu aufgeregten Eindruck, der dem Panta-rhei-Prinzip dieses Werkes nicht so richtig entsprechen will. Unglücklicherweise finden auch Slatkin, Biss und das Orchester nicht richtig zusammen, spielen zwar gleichzeitig, aber nicht miteinander. Biss legt einen starken Gestaltungswillen in sein relativ leichtfüßiges Spiel, bisweilen gar an der Grenze zur Manieriertheit, aber er hat das Pech, daß Slatkin und das Orchester die Anregungen nur selten aufnehmen, so daß manches überdehnte Ausschwingenlassen fast zu holprigem Fortgang führt. Mit der Zeit wird die Abstimmung etwas besser, so daß im abschließenden Allegretto der Fluß tatsächlich besser gelingt, auch mal eine Einzelleistung im Orchester zu glänzen weiß (z.B. die humoristischen Bläsereinwürfe, die fast eine Brücke zum Bolcom-Stück schlagen) und man auch als Zuhörer emotional etwas stärkere Bindungen zum Geschehen aufbauen kann, anstatt nur mit dem analytischen Ohr zu hören. Der überhastet wirkende Schluß erdet diese Beziehung nur kurz, und der Applaus genügt, um Biss eine Zugabe zu entlocken, nämlich Robert Schumanns "Der Dichter spricht" aus den "Kinderszenen". Und hier entfaltet sich das Können des Pianisten richtig - oftmals an der Grenze zum Stillstand baut er Höchstspannung auf, die nicht mal durch die obligatorischen Huster im Publikum entscheidend gestört werden kann. Ein versöhnlicher Abschluß der ersten Programmhälfte.
Dmitri Schostakowitschs 5. Sinfonie d-Moll steht auf dem Plan der zweiten Hälfte - und schnell stellt man befriedigt fest, daß die erste Hälfte doch nur ein Ausrutscher war. Slatkin dirigiert hier auswendig, hat offensichtlich eine starke Bindung zu diesem Werk aufgebaut, führt das Orchester diesmal richtig, anstatt es nur zu verwalten, und das Orchester folgt ihm auch mit hörbarer Begeisterung. Daß gleich der erste Satz, "Moderato" überschrieben, trotz deutlich größerer Orchesterbesetzung fast durchgehend transparenter gelingt als viele Teile des Mozart-Konzertes, spricht Bände, und der Dirigent kann sogar das Tempo relativ weit unten lassen und bekommt die Bedrohlichkeit trotzdem gebührend transportiert, wenn da ein infernalisches Pikkolo pfeift (da reicht ein langer Ton!) oder die Harfen das Thema trübsinnig machen. Noch nicht alles gelingt ganz reibungslos - die Hörner etwa blasen gekonnt finster zum Angriff, aber von den Trompetenkollegen kommt eher friendly fire, und die Hörner rächen sich dann in der ausgedehnten friedlichen Passage, indem sie in den Höhen zu gequält agieren. Dafür gelingt der große Marsch richtig zackig (man möchte fast "preußisch" schreiben), und das Kampfgetöse fällt auch auf der hier gewählten mittelenergischen Stufe noch rabiat genug aus. Auch die gespielt-erzwungene Lockerheit des Allegretto bekommen Slatkin und das Orchester problemlos rüber, während sie das Largo lange Zeit wie eine romantische Nacht am Schwarzen Meer inszenieren, bei der nur gelegentlich mal ein Ölklumpen vorbeischwimmt. Dann aber ist Schluß mit lustig: Das Holz verdient sich ein Sonderlob für die Inszenierung extremer Sinistrität in seinen Quasi-Solopassagen, und diese Stimmung wird auch kurz vor Satzende nochmal erreicht, während das abschließende Allegro non troppo mit traditionellem Orchesterlärm attacca sofort alles niedermäht. Erstaunlicherweise setzt Slatkin den Brutalitätshöhepunkt schon relativ früh und bleibt trotz gelungener maschinenhafter Bösartigkeit am Schluß etwas unter dem Dynamikgipfel. Das stört freilich nicht, denn der Spiegel, den Schostakowitsch hier seiner Umwelt des Jahres 1937 vorhält, der aber auch etwas fürchterlich Zeitloses hat, schwebt auch an diesem Abend eindrucksvoll über der Bühne. Eine Schostakowitsch-Sinfonie ist jedenfalls nur dann richtig gut umgesetzt worden, wenn der Rezensent beim Heimgehen fröhlich das Invasionsthema aus der Siebenten vor sich hinpfeift - und das tut er an diesem Abend ohne Wenn und Aber.



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