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Tristan und Isolde   09.01.2011   Leipzig, Oper
von rls

Richard Wagners 200. Geburtstag anno 2013 wirft weiterhin Schatten voraus, und so gräbt die Leipziger Oper eine Inszenierung von "Tristan und Isolde" aus der Spielzeit 1996/97 wieder aus, die an zwei Januarterminen dem geneigten Publikum präsentiert wird, zwar in der originalen Regiefassung von Willy Decker, aber mit neuen Sängern. Nun ist das mit dieser Oper ja so eine Sache: Wagner hat ihr den Untertitel "Handlung in drei Akten" gegeben, aber man darf "Handlung" nicht in der Hinsicht interpretieren, daß da auch tatsächlich etwas passiert. Statt dessen könnte man vereinfacht zusammenfassen, daß sich in zwei Dritteln der knapp fünf Stunden Spielzeit zwei Leute über den Tod unterhalten. Daß das kompliziert rüberzubringen ist, war dem Komponisten selbst klar, denn er meinte, daß eine gelungene Aufführung die Leute eigentlich verrückt machen müsse, und so gibt "Tristan und Isolde" irgendwie das Vorbild für Theaterstücke wie "norway.today" und für den neuzeitlichen Suicidal Black Metal ab. Eine Antiheldengeschichte also, in der am Schluß alle verloren haben und in der noch mancherlei anderer Fallstrick lauert. Die Tatsache, daß Brangänes Liebestrunk Tristan und Isolde einander bedingungslos verfallen läßt, obwohl sie vorher allenfalls durch eine Art Haßliebe verbunden waren, wäre problemlos in eine Beliebigkeit der Verpaarung umdeutbar, da eh alles auf chemischen Grundsätzen beruht - ein Kuriosum, in dem Wahrheit steckt, wie die heutige Naturwissenschaft weiß. Philanthropie freilich hat bei Tristan und Isolde nichts zu suchen, in der Rahmenhandlung nicht und im puren Egoismus der beiden, was ihre Beziehung angeht, natürlich auch nicht. Die hilflos wirkenden Figuren der untergeordneten Hierarchieebene, die es zwar gut meinen, aber letztlich für alle Katastrophen verantwortlich sind, passen da nur zu gut ins Bild.
Apropos Bild: Willy Decker und sein Ausstatter Wolfgang Gussmann setzen auf eine relativ reduzierte schiefe Ebene als Bühne und auf zwei Wirkungskomponenten. Da wäre zum einen das Farbmanagement, das von einem maritimen, aber eiskalten Blau im ersten Akt über ein Grün mit leichtem Blautouch im zweiten bis hin zu einer knochentrockenen Schwarzweißästhetik reicht, in die sich ganz zum Schluß, als dann endlich alle tot oder so gut wie tot sind, das blaue Licht noch einmal mischt. Interessanterweise bietet jeder Akt in seiner Schlußszene im Bühnenhintergrund schon eine Vorschau auf das Farbmanagement des nächsten. Dazu kommt als zweites Element ein Boot, das in den drei Akten ganz unterschiedliche Funktionen erfüllt, im dritten Akt, in dem Tristan und Isolde voneinander getrennt werden und letztlich auch fast unabhängig voneinander sterben, auch in zwei Hälften geteilt ist, die in der Schlußszene, als beide meinen, im Tod endlich wieder vereint zu sein, dann nicht mehr zusammenpassen. Also doch nichts mit dem großen Gleichmacher, sondern eine Relativierung, ein augenzwinkernder Angriff Deckers auf die scheinbare Allmacht des Todes, die da zuvor stundenlang gefeiert worden ist. Manch anderes Augenzwinkern hat man schon zuvor entdeckt, etwa in der Kostümierung König Markes, der als einziger nicht in einem zeitlos-neutralen Kostüm auftritt, sondern als eine Art erfolgloser Schmalspurwirtschaftspolitiker daherkommt, was perfekt zu seiner hilflosen Rolle in der Oper paßt. Daß Isolde lange rote Haare trägt und damit dem Klischeebild einer stolzen Irin exakt entspricht, ist des Historiendramas da schon fast zuviel, denn genau ein solches wollte Decker offensichtlich nicht auf die Bühne bringen. Allerdings summiert sich die Zahl der Einfälle dann letztlich auf eine erstaunlich geringe Zahl für die lange Spielzeit: Decker überläßt den schauspielernden Sängern viel Leerraum, den diese mit ihrem Philosophieren über den Tod und die Theorie eines Wesens, das aus zwei Liebenden entstehen soll, zu füllen haben. Und mit dieser Aufgabe sind Jennifer Wilson und Stefan Vinke dann doch überfordert, zumal Axel Kober am Orchesterpult das gängige Wagner-Problem diesmal nicht lösen kann und schon in mäßig intensiven Passagen die beiden Hauptsänger ziemlich stark zudeckt - in den hochdramatischen Phasen sind beide dann so gut wie gar nicht mehr zu hören, obwohl Vinke einer der stimmgewaltigsten Sänger ist, den die Oper Leipzig derzeit aufzubieten hat, und auch Wilson durchaus nicht zu den Leisetretern gehört. Freilich: Was das Gewandhausorchester da spielt, das ist von exzellenter Qualität, wie schon nach der sehr beseelten Ouvertüre deutlich wird, in der Kober die Maximalpower übrigens noch sehr gezielt dosiert. Aber wenn die beiden Liebenden in der Szene, in der sie sich als Liebende erkennen, sich förmlich anschreien müssen, damit das Publikum merkt, was hier gerade vor sich geht, dann wird das zum akuten Problemfall, der sich hier durch weite Teile der Oper zieht. Schade um die generell gute gesangliche Leistung, in die sich auch die anderen Rollen weitgehend einreihen. Wenigstens kann die extreme Spannung, die der psychotische dritte Akt vorschreibt, relativ problemlos gehalten werden, etwa in den Dialogszenen zwischen Kurwenal und dem fiebernden Tristan. Davon hätte man sich in den ersten beiden Akten etwas mehr gewünscht, speziell im zweiten Akt treibt die Philosophiestunde im Boot den Hörer fast in Morpheus' Arme, und der Verstand beschränkt sich auf ein Registrieren und Einordnen von Vorgängen wie dem Wechsel von Tristan und Isolde in ihrer jeweiligen Position im Boot - hier erkennt man problemlos die Idee des "einen Wesens" wieder, und wenn die Verbindung noch so unstandesgemäß ist (hier haben wir einen Feldherrn und eine Königstochter). Aber insgesamt überträgt Decker viel Arbeit auf den Hörer, für manchen Geschmack vielleicht zu viel, und die gegebene Imbalance innerhalb der musikalischen Umsetzung macht das Erarbeiten zusätzlich und unnötig schwer, wenngleich man den Einbau der Übertitelanlage bei der letzten Sanierung als weise Entscheidung preist, die einem hilft, hier nicht ganz im Regen zu stehen. Am Ende sind dann wie beschrieben fast alle tot, und keiner weiß so richtig warum, aber alle applaudieren trotzdem heftig, und zahlreiche Bravorufe belohnen nicht nur die Akteure, sondern auch das Publikum selbst für sein Durchhaltevermögen.



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