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Rockin' Christmas   28.12.2010   Gera, Sächsischer Bahnhof
von rls

Die Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr verbringt man ja gerne mit Familientreffen und ähnlichen Aktivitäten, und einer solchen frönte man an einem bitterkalten Abend auch im Sächsischen Bahnhof zu Gera: Einige nicht mehr aktive Bands hatten sich zu einer One-off-Reunion entschlossen, weitere musikalische Beiträge kamen von eigens dafür zusammengestellten Projektbesetzungen, und das war noch lange nicht das Ende der Fahnenstange. So eröffnete zur bahnhofsüblichen Zeit von 21.30 Uhr ein Quartett, das es fertigbrachte, völlig auf Publikumskommunikation zu verzichten, so daß auch sein Bandname im Dunkeln blieb. Mit einem Keyboarder, einem Bassisten, einem Schlagzeuger und einem Percussionisten fabrizierte man sehr eigentümliche Musik, die anfangs wie eine planmäßig elektronische, hier aber live umgesetzte Fassung alter Pink Floyd-Klangflächen, die allerdings noch ein Stück weiter in Richtung Minimal Music gerückt wurden, klang, mit der Zeit aber immer mehr Reggae-Elemente zu verwenden begann, so daß das kurze dritte und letzte Stück (nach zwei sehr langen Brocken) fast im reinen Reggae landete. Dazu paßte auch die Optik der Bandmitglieder, von denen drei mit Wollmützen ausstaffiert waren und der Percussionist, der im dritten Song übrigens mit dem Drummer die Plätze tauschte, aussah wie eine Kreuzung aus Che Guevara und einem Gartenzwerg. Daß die Monotonie in den ersten beiden Stücken gewolltes Stilmittel war, dürfte auch dem Publikum klar gewesen sein, das freundlichen Applaus spendete und einen sehr ausgewogenen und transparenten Sound bewundern durfte.
Mit letzterem Attribut war es danach vorbei, allerdings muß man bedenken, daß die häufigen Wechsel in Besetzung und Instrumentierung, die nun folgten, keine ausgiebigeren Soundchecks erlaubten und somit nur noch Verwaltung des Istzustandes anstehen konnte. So klangen bei Redline die Gitarren viel zu undifferenziert und ließen angehörs des prinzipiell als interessant erkennbaren Songmaterials den Wunsch offen, diese Combo nochmal bei klarerem Sound und mit mehr als nur drei Songs zu hören. Haupttrumpf war eindeutig die Sängerin, die sich mit einer beeindruckenden Stimme in gedeckteren Farben durch den Miniset sang und die man im Gesamtmix gerne auch noch etwas deutlicher vernommen hätte. Trotzdem beinhaltete die Viertelstunde Melodic Rock einen gehobenen Unterhaltungswert, und speziell der epische Closer, halbakustisch beginnend und sich dann bis zu feistem Bombastrock steigernd, wußte voll und ganz zu überzeugen.
Hernach war es Zeit für die Projektbesetzungen. Zunächst intonierten drei Gitarristen zu Konservenbackground ein lustiges Riffratespiel (von Metallica über Bon Jovi bis zu Deep Purple), das mit einem Soloduell abgeschlossen wurde und wo manches Riff doch etwas verbogen werden mußte, um zum Konservenrhythmus zu passen. Hernach folgte ein Coverblock, maßgeblich zusammengestellt von Gitarrist Florian "Driemo" Driemer und eröffnet mit dem Blues "I Put A Spell On You", äußerst eindringlich vokalisiert von der Redline-Sängerin, bevor Driemo selbst mit "You Shook Me All Night Long" ins Geschehen eingriff und seine Besetzung den Beweis ablieferte, daß eben doch nicht alles funktioniert, was man umstrickt: So gut wie die Redline-Sängerin in ihrem Metier oder eben auch als Blues-Seelenstreichlerin ist - als AC/DC-Stimme paßt sie nicht, wirkte vor allem im Refrain eher hilflos. Viel stärker agierte sie im Toto-Cover "Stop Loving You" - eine originelle Wahl zudem, mal nicht "Africa" oder "Rosanna" zu nehmen, sondern dieses weniger bekannte, aber sehr gute Stück vom "The Seventh One"-Album. Der nächste Block gehörte Driemo und seinem keyboardspielenden Bruder, der schon bei Toto mit dabei war - als Duo spielten die beiden ein Stück von David Gilmour (was war das gleich noch?), Queens "Bijou" und (worüber sich der Rezensent als bekennender Anhänger von Brian Mays Soloalbum "Back To The Light" sehr gefreut hat) das enorm stimmungsvolle "Last Horizon" von ebenjenem Album.
Denied fanden sich für einen Fünf-Song-Gig nochmal zusammen - die 2009 aufgelöste lokale Metallegende pendelte musikalisch zwischen Thrash und Death Metal hin und her, war gesangsseitig allerdings klar im Death Metal anzusiedeln. Das Quintett spielte sowohl den ersten als auch den letzten Song, den es je geschrieben hatte, und machte damit auch dem bisher Außenstehenden seine Entwicklung deutlich: anfangs geradeaus stampfender Death Metal mit wenigen Schlenkern und ein paar Melodien aus der Stockholmer Sunlight-Gruft, zum Schluß mit deutlich anspruchsvolleren Strukturen, bisweilen recht flott und mit originellerer Melodik, auch schon mal halbakustisch gespielt. Besagter Außenstehender bemerkte auch ein trotz der über einjährigen Pause sehr gutes Aufeinander-Eingespielt-Sein und hätte sich nur über noch etwas stärkere Gitarrenpräsenz im Gesamtmix gefreut, um die Melodieverläufe noch besser nachvollziehen zu können, denn das Gebrüll des Sängers, den man aktuell optisch eher in eine dieser kauzigen Truppen wie Mastodon stecken würde, kam gänzlich ohne Melodien aus. Für Altfans eine nostalgische Stunde (zumal der Bassist sogar ein altes Denied-Shirt aus dem Schrank geholt hatte), aber auch ganz neutral durchaus hörenswert.
Die beiden Gitarristen, u.a. Driemo, blieben dann gleich auf der Bühne und verwandelten sich mit einer neuen Rhythmusgruppe und einem anderen Sänger in Junkhead, die sich als Alice-In-Chains-Tributeband entpuppten (womit das Shirt des anderen Gitarristen René "Heat" Galuba seine Erklärung fand) und ihre Sache sehr gut machten, wenngleich man sich hier vor allem die gekonnt umgesetzten nöligen Vocals im Gesamtmix etwas deutlicher vernehmbar gewünscht hätte. Von der Songauswahl her spannten Junkhead den Bogen von Frühwerken wie "Man In The Box" bis hin zum aktuellen, 2009 erschienenen Comeback-Album "Black Gives Way To Blue", auch die Stimmungslage war von getragenen Stücken wie "Your Decision" bis hin zu flotteren, eingängigeren Tracks wie "Check Your Brain" (beide vom besagten neuen Album) breit gefächert, und das Experiment, Songs von Alice In Chains live durchgängig mit zwei Gitarren umzusetzen, dürfte durchaus als geglückt deklariert werden. Zum Leidwesen einiger Anwesender verzichtete das Quintett auf "Down In A Hole" und eröffnete anstelle von Zugaben den offenen Teil des Abends: Nachdem schon einige Umbaupausen mit kurzen, nicht in jedem Fall das Gähnen unterdrücken helfenden Jamsessions überbrückt worden waren, uferte der Sessionbetrieb nunmehr in eine Dauereinrichtung aus und zog sich noch längere Zeit in die bitterkalte Nacht hinein.



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