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Kele, Sizarr   26.11.2010   Leipzig, Conne Island
von mi

Kele ist derzeit in aller Munde. Erst verkündet seine Band Bloc Party, eine der einflussreichsten Indietronic-Bands der letzten Jahre, nach ihrem wohl erfolgreichsten, dritten Album "Intimacy" eine Pause auf "unbestimmte Zeit", schon lässt Kele diesen Sommer die nächste Bombe platzen und veröffentlicht sein erstes Soloalbum "The Boxer". Und nebenher outet er sich in der aktuell aufflammenden Debatte über Queers in der Musikszene neben Gossips Beth Ditto als einer der bekannteren Fürsprecher dieses Lebensstils. So führt früher oder später kein Weg vorbei an Kele und das sollte er auch nicht, denn dieser Mann hat noch einiges in petto und längst nicht genug von der Musik. Zum Glück, wie man an diesem Abend vor Augen geführt bekommen sollte, aber fangen wir von vorne an.
Es ist einer der ersten stechend kalten Vorwinterabende, die Pfützen sind gefroren, der Atem bläst weiße Wolken in die Dunkelheit und in Leipzig-Connewitz bietet ein kleiner aber feiner Schuppen namens Conne Island guten Grund, dort den Abend zu verbringen. Ebenjener Kele gibt sich die Ehre und seinem Ruf sind viele Fans oder mögliche Kandidaten dazu gefolgt.

Sizarr
Gegen halb 10 trat die Nachwuchs-Electronica/Experimental-Band Sizarr auf die Bühne und präsentierte ihr kleines Set. Auf diese Band wurde man dieses Jahr schon aufmerksam, wenn man das Billing des Berlinfestivals durchgelesen hatte, für das sie gebucht wurden. Frisurtechnisch stand Sänger Deaf Sty dem Frontmann der dieses Jahr die Festivalbühnen aufmischenden The Drums, Jonathan Pierce, in nichts nach. Musikalisch waren da schon schwerer Ähnlichkeiten zu finden. Ihre Musik ist eine Mixtur aus Kooks-Stimme, elektronischen Computereffekten, simplen aber eingängigen Gitarrenmelodien und neonfarbenem Lifestyle. Also eigentlich alles, was man heutzutage braucht, um die Indiegemeinde zum Toben zu bringen. Aber ganz so einfach ist es dann doch nicht. Man merkt bald, dass Sizarr noch ganz am Anfang ihrer Karriere stehen, denn einen ganzen Abend hinweg ein Publikum mit ihren Songs mitzureißen, das würden sie noch nicht schaffen. Dafür ist ihr Sound noch nicht ausgefeilt genug, vielleicht auch auf Dauer zu eintönig. Doch was nicht ist, kann ja noch werden. Das Potenzial scheint vorhanden, die Freude am Experiment sowieso und extrem jung sind sie noch dazu (man bekam zu Ohren, dass sie beim Kele-Konzert in Heidelberg nicht Support sein können, weil die deutsche Schulpflicht ruft). Außerdem ist es nun wirklich kein schlechtes Omen, als Supports für solch Über-Acts wie Kele oder Get Well Soon gebucht zu werden. Um Nachwuchs braucht sich der deutsche Pop auf jeden Fall keine Sorgen zu machen.

Kele  Kele
Die Umbaupause wurde für einen Gang zur Bar genutzt und man brauchte nicht lange warten, da ging schon das Licht aus und Kele betrat mit Drummer, Basser/Drummachiner und "Effektfrau" die Bühne und eröffnete den Tanzabend mit "Walk Tall", dem ersten Song seiner Platte. Das Publikum war sofort dabei und folgte dem Beat und der rasanten Lichtshow mit seinen wankenden Körpern und es spürte sofort, dass an diesem Abend alles möglich ist. Kele war sehr gut gelaunt, forderte das Publikum vor dem zweiten Song "On The Lam" das Publikum auf: "Let's get this party started" und nahm vorher noch einen kräftigen Schluck des traditionellen Jägermeisters. Ab sofort wurde man Zeuge eines unvergesslichen Abends. Kele zeigte eine unglaublich mitreißende Bühnenpräsenz bei jedem seiner Songs, blühte richtig auf ohne die am Körper baumelnde Gitarre, beglückte alle anwesenden Bloc Party-Fans mit einem Medley dreier ihrer Songs ("Blue Light", "The Prayer", "One More Chance"), redete immer wieder mit dem Publikum ("What means 'regret' in German? - 'Bedaauoern?' Is it that?") und zeigte, dass er selbst unglaublich Bock hat, hier und jetzt seine Songs zu performen. Was bitte möchte man mehr? Überhaupt machte Kele einen äußerst befreiten Eindruck, zeigte keine Unsicherheit ob des ihn anhimmelnden Publikums, wie man es aus Bloc Party-Zeiten von ihm kannte, zog sich sogar während des so tanzbaren "Tenderoni" sein T-Shirt aus und nahm sich ein neues vom eigenen Merchandise-Stand und bewies, im Besitz eines alles überstrahlenden Charismas zu sein. Spätestens mit den beiden Bloc Party-Songs "Flux" und "This Modern Love" zum Ende seines Sets hat auch der Letzte im Raum gemerkt, dass hier ein Mann auf der Bühne steht, der nicht nur der Unterhaltung wegen Musik macht, sondern der eine Message hat: Macht was aus dem Leben, lasst euch nicht unterkriegen und vor allem: Bleibt euch treu. Vielleicht ist so auch der Titel seines Albums zu verstehen: "The Boxer" ist ein durchaus aggressiv anmutender Name für eine Platte, zumal die Songs längst nicht so brutal klingen, doch soll der Titel wohl vor allem Anspielung auf seine "Außenseiterrolle" in der britischen, von weißen heterosexuellen Jungs dominierten Indierockszene sein, was ihn immer wieder zur Zielscheibe der in übertriebener Skandalgeilheit ihresgleichen suchenden britischen Yellow Press werden ließ. In einem Interview des Musikexpress vom November 2010 sagte Kele den vielsagenden Satz: "Ich war der schwule Sänger einer Rockband."
Und so wurde es für Kele Zeit sich von dem großen öffentlichem Druck und extrem hohen Erwartungen freizuboxen, von allen Oberflächlichkeiten loszulösen, sich selbst zu finden und letztenendes sich auf das Wesentliche zu konzentrieren: die eigene Musik sprechen zu lassen. Nach diesem Abend weiß jeder der Anwesenden, dass ihm das gelungen ist. Man wünscht ihm nur das Beste und hofft auf ein schnelles Wiedersehen mit diesem Neugeborenen.






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