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Faust - Die Rockoper   24.07.2010   Weimar, Viehauktionshalle
von rls

Goethes "Faust" und Weimar gehören bekanntlich zusammen wie die CSU und Bayern, und so war es nur folgerichtig, daß Rudolf Volz' Rockopern-Fassung von "Faust" eines Tages in Weimar aufgeführt werden würde. Manthey Event aus Berlin nahm sich des Projektes an und organisierte acht Aufführungen des Volz-Werkes in einem denkmalgeschützten Gebäude der Klassikerstadt, das freilich zu Goethes Zeiten noch nicht stand - die Viehauktionshalle nordwestlich des Weimarer Bahnhofes wurde erst kurz vor dem Zweiten Weltkrieg erbaut und hat in den letzten Jahren quasi überhaupt nicht mehr ihrer eigentlichen Bestimmung gedient, aber beispielsweise auch schon als Spielstätte des Weimarer Kunstfestes. Und wenn man für das Geschehen zwischen Faust und Mephisto den schönen Begriff "Kuhhandel" findet, ist die linguistische Brücke über den vermeintlichen Graben elegant geschlagen. Wie das Hallenklima in den sehr heißen Tagen der ersten Aufführungen war, weiß der Rezensent nicht - am von ihm besuchten letzten Aufführungsabend war's jedenfalls sehr angenehm.
Und noch in einer anderen Hinsicht stellte sich die Halle als Überraschungstreffer heraus: beim Sound. Das Nichtvorhandensein rechtwinkliger Reflexionsflächen in großen Teilen der riesigen Halle (die übrigens stilecht rot bestuhlt wurde) verhinderte die "halligen" Problemfälle vieler anderer Hallen, zumal die Soundfraktion erstens nach sieben Abenden durchaus eingespielt gewesen sein muß und es zweitens mit der Gesamtlautstärke nicht übertrieb, sondern statt dessen Wert auf Klangtransparenz legte. Die gelang nur in einigen Gesangspassagen nicht ganz hundertprozentig, so daß manche Textzeile ungewollt im Orkus landete, allerdings durch die Bank weg bei fast allen Sängern und meist bei deren jeweils ersten Einsätzen. Danach hatte sich das Ohr des Hörers entweder an die jeweiligen Eigenheiten gewöhnt, oder die Soundfraktion hatte geringfügig nachjustiert, oder beides traf gleichermaßen zu. (Der Rezensent hatte sich einen Platz unmittelbar hinter dem Mischpult gesucht.) Daß Mephisto und die Hexe grundsätzlich schwerer zu verstehen waren als die anderen, lag in der ihnen zugeteilten gesanglichen Stilistik begründet - Mephisto aka Falko Illing hatte oftmals auf kleinstem Raum zwischen Klargesang und einer halbhohen Reibeisenröhre zu pendeln (eine Aufgabe, derer er sich mit Bravour entledigte), und Conny Kanik als Hexe war selbstverständlich mit einem gewissen Hysteriefaktor gezeichnet worden, der oftmals ein "Überschnappen" an Zeilenenden erforderte. Ansonsten rein klangtechnisch betrachtet eine sehr gute Leistung aller Beteiligten!
Was macht Volz' Stück nun konkret aus? Zunächst muß die Fassung erwähnt werden: Die CD-Version des vieraktigen Stückes, aus beiden "Faust"-Teilen bestehend, dauert über vier Stunden, aber daß diese nicht komplett aufgeführt würde, konnte sich der konzerterfahrene Hörer schon an der Anfangszeit 20 Uhr ausmalen (bei vier Stunden Spielzeit und vier Akten hätte man drei Pausen einlegen müssen, wäre also irgendwann 1 Uhr fertig gewesen). Die Lösung: Beschränkung auf die ersten beiden Akte, also "Faust I". Generell hat Volz die Struktur nur gestrafft, aber nicht umgestellt, und auch textlich ist er bei der Vorlage geblieben - ein Sticker auf den Programmzetteln stellt das sogar explizit heraus: "Ausschließlich mit Goethes Original-Texten". Wobei: Ganz hundertprozentig daran gehalten hat sich Volz nicht, denn er führt noch eine neue Figur ein. Goethe selbst erscheint nämlich als eine Art Moderator (gespielt von Ronny Fröde, der außerdem auch noch den trotteligen und lispelnden Wagner sowie - ein besonders interessanter Dualismus - Gott und den Sensenmann zu spielen hat), der zu Beginn, vor der Pause und zum Schluß ein paar strukturelle Anweisungen zu geben hat, was er in etwas holpernden dem Original nachempfundenen Versen tut. Und die gelegentlich eingestreuten Slapstickelemente hat der Dichter weiland natürlich auch nicht vorgesehen gehabt, etwa wenn der alte und gebrechliche Faust vor dem Aufbruch zum Osterspaziergang von Wagner eine Treppe hintergeführt wird und jedesmal "Stufe!" ruft. Solche kleinen Witze lockern das durchaus ernste Geschehen noch etwas weiter auf, als die gelegentlichen skurrilen Einfälle der Bühnenbildfraktion das tun (Mephisto etwa holt den wieder jugendlichen Faust mit einer Art Autoscooter ab und versetzt Teile des Publikums damit in ihre eigene Jugendzeit zurück, als man auf Rummelplätzen mit solchen Geräten herumfuhr). Ob einige dieser Gags speziell für den Abschlußabend eingebaut wurden, wie das ja manchmal so Sitte ist, müssen Menschen entscheiden, die eine der früheren Aufführungen gesehen haben.
Freilich reagiert das Publikum nicht immer souverän - die Mitformuliereinlage in "Hier bin ich Mensch - hier darf ich's sein" muß beispielsweise wiederholt werden. Die skurrile Situation am Schluß hat sich die Arrangementfraktion allerdings selber zuzuschreiben: Das Stück endet irgendwie im Nichts, da nach Gottes Stimme "Ist gerettet!" Faust und Mephisto noch weiter debattierend verschwinden und auch der Verbleib des insgesamt etwas überzeichneten Gretchen irgendwie ungeklärt bleibt - das Publikum spendet also den auch sonst bisweilen aufgekommenen mäßig energetischen Szenenapplaus, aber der ebbt schnell wieder ab, und erst als alle Protagonisten auf die Bühne kommen, bemerkt das Auditorium, daß das Stück nun doch zu Ende ist, und beginnt mit dem Schlußapplaus, von dem Falko Illing als blackmetallisch geschminkter Mephisto (wo waren eigentlich die Anwälte von Gene Simmons?) zu Recht den Löwenanteil abbekommt, dicht gefolgt von der Original FAUST-Band. Hierfür hat man natürlich nicht die alten Krautrocker reanimiert, sondern eine junge vierköpfige Truppe zusammengestellt, die ihre Sache auch wirklich exzellent macht, sich einerseits in den Dienst des Stückes stellt (neben Classic Rock werden da auch Balladen, Reggaeanklänge und noch zahlreiche andere Stilistika gefordert, wobei der Rock titelgemäß das Fundament bildet und die henkersbeilförmige Baßgitarre in der Schlußszene samt kapuzetragendem Bassisten eine schöne Reminiszenz an mehr oder weniger vergessene metallische Achtziger-Protagonisten wie Savage Grace, Hallows Eve oder gar die Mentors darstellt), aber in diesem Rahmen immer noch ein paar Freiheiten für Kabinettstückchen eingeräumt bekommt, allen voran die letzte Zugabe, die in einem wilden Instrumentalrocker kulminiert, zu dem die sechsköpfige Tänzerinnenfraktion frenetisch headbangend auf der Bühne steht. So endet ein kraftvolles und originelles Stück, das nicht viele Fragen bzw. Wünsche offenläßt. Die nächsten Termine und alle weiteren Infos: www.faust-rockoper.de



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